Leser:innenbriefe

Äusserst aufschlussreich
«Migrationsgeschichte: Die Kehrseite der Medaille», WOZ Nr. 36/24
Zweimal spricht der Redaktor in seiner Filmbesprechung von einer «verdrängten» Geschichte. Der hervorragende Film von Samir rückt genau dieses Paradox ins Zentrum. Die Arbeiter:innen, die grossen Anteil am Aufbau der Schweizer Wohlstandsgesellschaft hatten und die auch kulturell und menschlich Teil dieses Landes sind, wurden von Behörden und Einheimischen immer wieder als Bittsteller, Prügelknaben und Sündenböcke benutzt. Der Film zeigt eindringlich, dass Apartheiddenken, Ghettokonzepte, Entmenschlichung näher sind, als wir glauben. Gleichzeitig ist dieses Muster der Ausgrenzung jener, auf die man aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen ist, ein ganz wesentliches Merkmal des modernen Kapitalismus seit dem Kolonialismus.
Und Samir scheut sich auch nicht, den Blick auf Süditalien zu richten, woher viele kamen und wo heute ebenfalls schockierende Ausbeutungsverhältnisse bestehen und man die Ausgebeuteten ausgrenzt oder dämonisiert. Dass es positive Beispiele von Widerstand und Kooperation gibt, ist eine wichtige Perspektive. Aus der Tretmühle des Oben und Unten ausbrechen wäre wichtig. James Baldwin forderte, in den USA nicht nur die Schwarzen zu befreien, sondern auch die Weissen mit ihren Ängsten. Die Dämonisierung und Ausgrenzung des Anderen ist so gesehen die Folge der eigenen verdrängten Anteile. Ein äusserst aufschlussreicher Film!
Peter Boller, Zürich
Staatsbashing
«Finanzpolitik: Schalteggers Ideologiemaschine», WOZ Nr. 35/24
Vielen Dank für diese Recherche. «Wes Brot ich ess, des Lied ich sing», lässt sich da nur sagen. Wenn ich mich recht erinnere, hatte Christoph Schaltegger bei seinem Start in Luzern die Intention (gar den Auftrag?), die unterschätzte Rolle von Genossenschaften ins Licht zu rücken. Offensichtlich war damit kein ergiebig sprudelndes Sponsorengeld zu generieren. So war ein Wechsel zum Staatsbashing naheliegend, zumal dies auch wesentlich besser zum neoliberalen «Approach» Schalteggers passt.
Max Huber, per E-Mail
Folge der Besatzungspolitik
«Westjordanland: Furcht vor dauerhafter Vertreibung», WOZ Nr. 36/24
Es müsste mittlerweile auch dem letzten denkenden Menschen gedämmert haben, dass der Zionismus – im Grunde seit Herzl – Alleinherrschaftsanspruch auf das ganze historische Palästina geltend macht und seither unablässig daran ist, ein möglichst araberfreies Erez Israel auf dem gesamten Territorium zu erlangen. Wer Widerstand gegen die Besatzung leistet, wird mit Tod oder Einkerkerung in einem der Folterzentren bestraft. Wer kapituliert, wird eingezäunt und hat die Wahl, in Perspektivlosigkeit zu leben oder Flüchtling zu werden. Das ist nicht erst seit heute so. Alles Schreckliche, welches in Palästina geschieht, ist Folge der Besatzungspolitik. Eine Friedenslösung wird es so lange nicht geben, wie die Herrschenden im Westen Israel gewähren lassen.
Hanspeter Gysin, Basel
PFAS: weiter nutzen?
«Giftstoffe: ‹Wir sind in einem Teufelskreis gefangen›», WOZ Nr. 36/24
Besten Dank für das Interview mit der Ökotoxikologin Alexandra Kroll. Dazu ein paar Fragen: Ist es sinnvoller, PFAS enthaltende Dinge, etwa Funktionskleidung, weiter zu nutzen und somit keine neuen derartigen Artikel zu kaufen, aber vermutlich beim Gebrauch stetig Schadstoffe freizusetzen? Oder ist es besser, diese Gegenstände durch schadstofffreie zu ersetzen (sofern es sie gibt) und die alten fortzuwerfen, womit sie vermutlich auch Luft und Wasser belasten? Was sind die «guten Alternativen» zu bisheriger Funktionskleidung?
Können bei der Entwicklung neuer Stoffe und Verfahren die möglichen Auswirkungen besser vorausgesehen werden? Oder sind die Konsequenzen unseres Handelns erst im Nachhinein erkennbar, und ist es somit am besten, möglichst wenig zu brauchen? Darüber würde ich gerne mehr lesen.
Christa Wellauer, Ebnat-Kappel
Biodiversität schützen
«Biodiversität: Vielfalt braucht andere Strukturen», WOZ Nr. 34/24
Die bürgerlichen Parteien versprechen, viel zu tun für die Natur, und Bundesrat Rösti verheisst im Radio, dass sich der Bundesrat mit «Augenmass» für die Biodiversität einsetze. Und immer wird die «Eigenversorgung» für ein Nein vorgeschoben, obwohl sich die Schweiz nie eigenversorgen kann, weder energietechnisch noch in der Ernährung. Der Naturschutz auf Behördenebene funktioniert nicht. Warum verschwinden immer mehr Insekten? Wieso werden die Rote und die Schwarze Liste mit bedrohten Arten stetig länger? Weshalb hat die Schweiz im Vergleich zu Europa den kleinsten Anteil an Naturschutzgebieten? Warum geraten die Zersiedelung und die Versiegelung des Mittellandes aus dem Ruder? Weil die Regierung, die Wirtschaft samt Bauernverband ihr Bestes für die Natur geben?
Urs Heinz Aerni, Zürich