Globale Steuerpolitik: Chancen auf einen fairen Deal
Die OECD-Mindeststeuer kann den globalen Steuerwettbewerb nicht zähmen. Der nötige Wandel könnte aber von der Uno ausgehen, wo sich afrikanische Staaten gegen die reichen Länder durchgesetzt haben.
Als «Durchbruch», ja als «historischen Sieg» bezeichnen Vertreter:innen der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung dieses Abstimmungsergebnis: Mit 125 Ja-Stimmen hat die Uno-Generalversammlung letzte Woche in New York eine Resolution angenommen, die den Grundstein für eine Rahmenkonvention zur internationalen Kooperation in Steuerfragen legt. Das Vorhaben klingt ambitioniert: Alle Länder der Welt sollen sich gemäss Resolutionstext an der Entwicklung und Ausarbeitung künftiger Regeln zur Besteuerung von Unternehmen, Personen und Handelsgütern beteiligen dürfen. Diese müssten, heisst es in der Resolution, «in angemessener Weise berücksichtigen, wie moderne Märkte funktionieren und Geschäfte gemacht werden», um Steuerhinterziehung, Gewinnverschiebungen und den Verlust von Steuersubstrat verhindern zu können.
Die Vorlage stammt von der Afrikagruppe in der Uno, unter Federführung von Nigeria, Ägypten und Ghana. Nach dem Durchbruch in der Generalversammlung folgt ein weiter diplomatischer Weg mit grossen Herausforderungen: Im nächsten Jahr wird es zunächst darum gehen, welche Fragen auf Basis der beschlossenen Rahmenkonvention künftig überhaupt verhandelt werden sollen. Kommt der Prozess aber planmässig voran, findet ab 2025 jedes Jahr eine globale Steuerkonferenz statt.
Ins Absurde verkehrt
Seit Jahrzehnten fordern Staaten des Globalen Südens einen solchen Prozess auf Uno-Ebene. Für manche von ihnen geht es um existenzielle Summen: Gemäss einer Studie des Tax Justice Network, eines internationalen NGO-Zusammenschlusses für Steuergerechtigkeit, gehen den betroffenen Ländern jährlich bis zu 480 Milliarden US-Dollar an potenziellen Einkünften verloren, weil sie in Steueroasen wie die Schweiz abfliessen.
Das Abstimmungsresultat offenbart denn auch einen schroffen Nord-Süd-Graben. Die EU-Mitgliedsländer etwa haben geschlossen gegen die Steuerkonvention gestimmt – obwohl sich das EU-Parlament noch im Sommer für eine solche ausgesprochen hat. Unter den 48 Nein-Stimmen findet sich auch ein Grossteil der OECD-Länder, des mächtigen Verbunds wirtschaftsstarker, vor allem «westlicher» Länder, allerdings mit interessanten Ausnahmen: Norwegen und Island zum Beispiel haben sich enthalten, Kolumbien und Chile sogar Ja gestimmt.
Die Schweiz, ebenfalls OECD-Mitglied, hat die Resolution abgelehnt. Kommentiert haben dies zunächst weder das Aussendepartement (EDA) noch die schweizerische Uno-Mission. Die Resolution berge «die Gefahr einer Fragmentierung der internationalen Steuerarchitektur», schreibt das EDA nun auf Anfrage. Zudem werde «nur ein auf Konsens basierender Prozess in der Lage sein, eine allgemein umsetzbare Konvention zu etablieren». Ein Rahmenübereinkommen nach dem in der Uno geltenden Mehrheitsprinzip sei da nicht zielführend. Vor allem aber betont das Aussendepartement, dass eine Uno-Konvention eine «Verdoppelung bestehender Prozesse, Mechanismen und Instrumente» darstelle. Das EDA verweist dabei insbesondere auf die OECD.
Diese hat sich in den letzten Jahren mit einer Steuerreform zu profilieren versucht, die unter anderem einen Mindeststeuersatz für Unternehmen beinhaltet. 136 Staaten haben das Reformpaket 2021 unterschrieben, doch schon während der Entstehungsphase war es immer stärker in die Kritik geraten, allein schon deshalb, weil die Mindeststeuer mit fünfzehn Prozent viel zu tief angesetzt wurde. Unter finanzschwachen Ländern droht sich der Steuerwettbewerb dadurch sogar noch zu verstärken, während reiche Länder wachsende Steuereinnahmen verzeichnen – und diese anderweitig in ihre Standortattraktivität investieren können.
Im Sommer wurde die Reform in der Schweiz mit fast achtzig Prozent Ja-Stimmen angenommen. Und als wollten sie die OECD-Steuerreform besonders plakativ ins Absurde verkehren, befürworteten am vergangenen Sonntag im Tiefsteuerkanton Zug fast drei Viertel der Abstimmenden eine erneute Senkung der Vermögenssteuern. Der Kanton schwimmt im Geld – da wolle man nicht «auf Vorrat» Steuern erheben, argumentierten die bürgerlichen Befürworter:innen.
Ein diplomatisches Glanzstück
Angesichts der gewaltigen Budget- und Schuldenprobleme, mit denen sich die grosse Mehrheit der Länder weltweit herumschlägt, mutet das schlicht zynisch an. Vielen fehlen die Mittel, um die wichtigsten Staatsaufgaben zu erfüllen. Die Enttäuschung über den Werdegang der OECD-Reform dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Steuerpolitik nun auf Uno-Ebene eine Mehrheit gefunden hat.
Dennoch bleibt die Annahme der Resolution ein diplomatisches Glanzstück der Afrikagruppe. Es ist bei weitem nicht selbstverständlich, dass etwa die G77, der mittlerweile 134 Staaten umfassende Verbund zur Süd-Süd-Kooperation, dem Vorhaben grösstenteils zustimmten. Schliesslich gehört dazu auch China, das mit seinen aussen- und geopolitischen Ambitionen für gewöhnlich wenig rücksichtsvoll auftritt, gerade in afrikanischen Ländern. Oder auch Singapur, eine der wichtigsten Steueroasen der Welt. Damit zeichnet sich ab: Die OECD- und EU-Staaten werden einen weiteren Moment verpassen, um dem eigenen Ansehen im Globalen Süden einen positiven Schub zu verleihen – und mit ihnen die Schweiz.