Saudi-Arabiens Marketingoffensive: Mit Frauen, Technik, Sport

Nr. 39 –

Die PR Saudi-Arabiens wirkt: Das Land wird einen Sitz im Uno-Menschenrechtsrat erhalten. Derweil die Repressionen andauern, will die Schweiz weiter mit dem Königreich geschäften.

Abdullah al-Swaha, saudischer Kommunikations- und IT-Minister, sparte am vergangenen Wochenende auf dem Uno-Zukunftsgipfel in New York nicht mit Superlativen: In seiner Heimat, so Swaha, betrage der Frauenanteil im Technologiesektor 35 Prozent. Damit sei das Land fortschrittlicher als die EU und die G20-Länder. Millionen Frauen seien in den vergangenen Jahren ausgebildet worden. Mit der Medizintechnikerin Rajanah Barnawi sei im vergangenen Jahr sogar die erste Landsfrau ins All geflogen, betonte Swaha.

Ob die erwähnten 35 Prozent der Wahrheit entsprechen, lässt sich nicht überprüfen. Doch wer sich die aus dem Königreich kommenden Nachrichten der vergangenen Monate anschaut, gerät tatsächlich ins Staunen. Das Land, das hierzulande einst vor allem mit Köpfungen Schlagzeilen machte, zeigt sich nun progressiv.

Im März übernahm Saudi-Arabien den Vorsitz der Uno-Kommission zur Förderung von Frauen. Bei der Ernennung gab es keinen Widerspruch, auch nicht aus dem Westen. Im August wurde bekannt, dass Islands Spitzenfussballerin Sara Björk Gunnarsdóttir nun in der saudi-arabischen Women’s Premier League unter Vertrag steht. Die Verpflichtung wurde in Saudi-Arabien als Coup gefeiert, denn ausgerechnet Gunnarsdóttir hatte ihren damaligen Klub Lyon beim Weltfussballverband Fifa erfolgreich auf Schadensersatz verklagt, weil dieser die Mutterschutzregeln verletzt hatte.

Im September präsentierte Saudi-Arabien seine extravaganten Pläne für fünfzehn neue Stadien für die Fussballweltmeisterschaft 2034. Und im Oktober werden die Uno-Mitgliedstaaten Saudi-Arabien in den Menschenrechtsrat wählen – wie schon bei der Frauenrechtskommission wird mit keinerlei Widerstand gerechnet. Die PR-Strategie des Königreichs zeigt Wirkung. Es setzt gezielt Frauen und den Sport dazu ein, von den Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land abzulenken.

Neue Repressionen

In Saudi-Arabien sind heute Dinge möglich, die vor zehn Jahren noch undenkbar waren. 2016 kündigte Kronprinz und Premierminister Muhammad Bin Salman an, den Wüstenstaat zu liberalisieren, doch mit einer solchen Öffnung hatte wohl kaum jemand gerechnet. Heute dürfen Frauen Auto fahren, und sie haben Bildungschancen. Junge Saudis kehren in ihre Heimat zurück, weil sich das Land rasant entwickelt und ihnen Möglichkeiten eröffnet. Der Staat begrenzte die Befugnisse der Religionspolizei, und Bin Salman verspricht weitere liberale Wandlungen, um die Jugend und die Weltgemeinschaft für sich zu gewinnen. Er will das Land zu einer geopolitischen Supermacht machen und ihm in der Weltwirtschaft eine noch grössere Rolle verschaffen – so steht es in seiner Agenda «Vision 2030».

Doch während die Welt auf den Gazakrieg schaut und Saudi-Arabien eine überraschende Nachricht nach der anderen liefert, geht im Land die Repression gegen Frauen und Kritiker:innen weiter. Laut Menschenrechtler:innen wurden in Saudi-Arabien im vergangenen Jahr mindestens 170 Menschen hingerichtet, darunter auch politische Gefangene. Während seit zwei Jahren eine Frauennationalmannschaft für Fussball aufgebaut wird, haben saudische Frauen ganz andere Probleme: Im vergangenen Jahr wurde am Internationalen Frauentag ein Personenstandsgesetz verabschiedet, das die Herrschenden als «fortschrittlich» lobten – während darin weitere Diskriminierungen von Frauen verankert sind. So schreibt das Personenstandsgesetz vor, dass Frauen für eine Heirat die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen müssen.

Damit wird eine langjährige saudische Praxis kodifiziert. Verheiratete Frauen sind verpflichtet, ihren Ehemännern in «angemessener Weise» zu gehorchen. Der finanzielle Unterhalt durch den Ehemann hängt ausdrücklich vom «Gehorsam» der Frau ab. Diese kann ihr Recht auf Unterhalt verlieren, wenn sie sich ohne «legitime Entschuldigung» weigert, mit dem Ehepartner Sex zu haben. Während sich ein Mann einseitig von seiner Frau scheiden lassen darf, kann eine Frau vor Gericht nur aus bestimmten Gründen einen Antrag auf Auflösung des Ehevertrags stellen – und sie muss dabei «den Schaden» nachweisen, den eine Fortsetzung der Ehe für sie mit sich bringen würde.

Bin Salman hat einen Überwachungsstaat aufgebaut. Unter seiner Herrschaft hat die Zahl der Hinrichtungen gar noch zugenommen, es gibt keine freie Presse, und Social Media werden umfassend kontrolliert. Gut vierzig internationale Organisationen forderten Mitte September in einem offenen Brief, alle Inhaftierten freizulassen, die wegen kritischer Äusserungen im Internet festgenommen wurden. Sie kritisieren, dass im Dezember das Internet Governance Forum (IGF) in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen in Riad durchgeführt werden soll. Eines der Hauptthemen des jährlichen Forums zur digitalen Weltpolitik ist die Förderung der Menschenrechte. Dabei, so heisst es im Brief, lasse Saudi-Arabien Menschen einsperren oder verschwinden. Jene, die sich im Internet kritisch äusserten, würden durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht. «In weniger als hundert Tagen werden die saudischen Behörden kritische Gespräche über die Gestaltung der Zukunft der Internetgovernance führen, während sie Menschen in ihrem Land beispielloser Repression und jahrzehntelangen Haftstrafen aussetzen, nur weil sie online kritische Meinungen äussern», heisst es im Brief.

Nestlé baut in Dschidda

Um nur drei Beispiele zu nennen: Im Juli 2020 wurde der Kinderarzt Osama Chalid inhaftiert, weil er als engagierter Wikipedianer online Inhalte teilte, die den Herrschern missfielen. Ein «Antiterrorgericht» verurteilte Chalid wegen «Beeinflussung der öffentlichen Meinung» und «Verletzung der öffentlichen Moral» zu fünf Jahren Gefängnis. Der Arzt legte Berufung ein, worauf man seine Strafe im vergangenen Jahr auf 32 Jahre erhöhte.

Im Januar 2024 verurteilte dasselbe Gericht Manahel al-Otaibi, eine Fitnesstrainerin und Frauenrechtsaktivistin, zu elf Jahren Gefängnis. Sie habe «terroristische Straftaten» begangen, befanden die Richter. Grund dafür waren ihre Tweets zur Unterstützung der Frauenrechte sowie Fotos, die sie auf Snapchat gepostet hatte und die sie im Einkaufszentrum ohne Abaja zeigten, das traditionelle langärmlige Gewand. Das Urteil gegen sie erging nur drei Monate nachdem Saudi-Arabien als Gastgeber des IGF bestätigt worden war. Und Salma al-Schehab, eine Doktorandin und Mutter von zwei kleinen Kindern, sitzt seit 2021 im Gefängnis, weil sie sich in den sozialen Medien für die Rechte der Frauen einsetzte. Im letzten Jahr reduzierte die Berufungskammer des Obersten Gerichtshofs ihre Strafe von 34 Jahren auf 27 Jahre Gefängnis. Der offene Brief hält fest, dass eine Freilassung dieser und all der anderen zu Unrecht inhaftierten Personen dringend erforderlich sei, wenn das Regime zeigen wolle, wie ernst es seine gesellschaftlichen Reformen nehme.

Die Schweiz macht derweil weiterhin zahlreiche Geschäfte mit Saudi-Arabien. Laut Economiesuisse ist das Land nach den Vereinigten Arabischen Emiraten der wichtigste Exportmarkt in der Region. Trotz der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen kooperieren Schweiz Tourismus und die saudische Tourismusbehörde; die beiden Organisationen unterzeichneten im Februar eine entsprechende Vereinbarung. Vergangene Woche wurde zudem bekannt, dass Nestlé im nächsten Jahr seine ersten Produktionsstätten in Saudi-Arabien in Betrieb nehmen will.