Sexual Politics: Die Wahl zwischen den Beinen

Nr. 39 –

Von Taylor Swift bis zum Cat Suit von Miley Cyrus: In ihrem alltagsfeministischen Drive treffen sich Popstars mit der Kampagne von Kamala Harris. Im ostdeutschen Bibelgürtel hingegen ist am weltweiten Aktionstag für das Recht auf Abtreibung nichts selbstverständlich.

Foto von Billie Eilish
«Wählt, als ob euer Leben davon abhängt, das tut es nämlich»: Billie Eilish setzt sich für Kamala Harris ein. Foto: Britta Pedersen, Keystone

«You can grab ’em by the pussy!» Mit der Frauengrapschernummer war Donald Trump 2016 noch durchgekommen – bis ins Weisse Haus. Das könnte diesmal anders sein. Taylor Swifts Wahlempfehlung für Kamala Harris darf getrost als Retourkutsche auf Trumps Übergriffsrhetorik verstanden werden: «No, you can’t!» Ausdrücklich lobt die einflussreichste Popkünstlerin der Gegenwart den demokratischen Vizekandidaten Tim Walz, der sich «seit Jahrzehnten für LGBTQ+-Rechte, IVF (In-vitro-Fertilisation) und das Recht einer Frau auf ihren eigenen Körper einsetzt».

Das kommt an bei 283 Millionen Swift-Follower:innen auf Instagram, die nicht mehr als «skurrile Minderheiten» abgetan werden können, wie die Putin-Freundin Sahra Wagenknecht das mit Leuten tut, die von der Heteronorm abweichen. Selbstverständlich kommuniziert Swift mit Kürzeln wie LGBTQ+ und IVF, selbstverständlich propagiert Harris das Recht auf Abtreibung, selbstverständlich sind die Rechte queerer Personen, künstliche Befruchtung und die Freiheit von Frauen, über ihren Körper selbst zu bestimmen, keine Petitessen mehr, kein «Gedöns», wie der Putin-Kumpel und ehemalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu sagen pflegte.

Kamala, Taylor und die Swifties haben den Spiess umgedreht, haben die Gefahrenzone zwischen den Beinen bewusst zum Schauplatz des Wahlkampfs umgewidmet. Diese Sexual-Politics-Offensive geht Männern wie Trump auf die Eier. Ja, zwischen den Beinen sitzt das Unbehagen an der Kultur, genau dort, so die diffuse Angst gewisser Eierträger, könnte die US-Wahl kippen.

Cyndi Lauper auf der Demo

Zumal sich nach Swift der nächste weibliche Superstar pro Kamala einmischt, mit hehren Worten: «Wählt, als ob euer Leben davon abhängt, das tut es nämlich», verkündet Billie Eilish zusammen mit Bruder Finneas am 18. September bei Instagram (120 Millionen Follower:innen) und beruft sich ausdrücklich auf reproduktive Gerechtigkeit. Tags darauf veröffentlicht Harris «Monster», einen dramatischen Videoclip. Da erzählt die heute 22-jährige Aktivistin Hadley Duvall, wie sie mit zwölf Jahren von ihrem Stiefvater vergewaltigt und geschwängert wurde. Sie selbst habe zwar noch medizinische Hilfe beanspruchen können, aber mit der Aufhebung des Grundsatzurteils «Roe v. Wade», das das Recht auf Abtreibung in den USA garantierte, «haben Mädchen und Frauen im ganzen Land das Recht verloren, zu wählen, selbst bei Vergewaltigung oder Inzest. Donald Trump hat uns die Freiheit genommen.» Untermalt wird der Clip von einem nicht minder dramatischen Song: «When the Party’s Over» von: Billie Eilish.

Dass Kandidat:innen der Demokratischen Partei von Hollywoodgrössen und Rockstars wie Bruce Springsteen oder R. E. M. unterstützt werden, ist nicht neu. Neu ist der alltagsfeministische Drive von Harris’ Kampagne und ihre Social-Media-gestützte Allianz mit jungen Popfrauen mit Massenappeal. «My pussy, my choice», verkünden nicht mehr nur Riot Grrrls und Radikalfeministinnen. Das steht auch auf dem Cat Suit (!) von Miley Cyrus, die Swift und Eilish punkto Reichweite kaum nachsteht. Cyndi Laupers Achtzigerhit «Girls Just Want to Have Fun» erlebt ein Revival als Demoparole, mit dem Zusatz: «-damental rights» – fundamentale Rechte.

Sachsens Bibelgürtel

Um fundamentale Rechte geht es am 28. September, dem Safe Abortion Day. Dafür mobilisieren in der sächsischen Hauptstadt Dresden gleich zwei Gruppen. Auch Pro Choice Dresden und Kuzynka z Drezna bedienen sich im Pop und produzieren Features beim unabhängigen Lokalradio. Auch sie schlagen die Brücke in die USA: «Kamala Harris setzt sich für reproduktive Gerechtigkeit ein – Trump und sie könnten also in der Abtreibungsfrage nicht gegensätzlicher sein», sagt Anke Schäfer. Doch so selbstverständlich wie in der linksliberalen US-Öffentlichkeit ist hier in Sachsen gar nichts. Die Pro-Choice-Aktivistin heisst eigentlich anders: «Klarnamen kommen angesichts der Anfeindungen, Drohungen und Belästigungen durch religiöse Rechte nicht infrage, das würde unsere Arbeit gefährden.» Das gilt besonders in Sachsen, wo die rechtsextreme AfD bei der Landtagswahl Anfang September auf ein knappes Drittel der Stimmen kam.

Angefangen hat Pro Choice mit Protesten gegen den alljährlichen «Schweigemarsch für das Leben» von christlich-fundamentalistischen Gruppen in Annaberg-Buchholz, Erzgebirge. «Das Erzgebirge gilt als ‹sächsischer Bible Belt› mit einer fundamentalistischen Szene, die eng vernetzt ist mit konservativen bis rechtsextremen Kräften», erzählt Anke Schäfer. Bibelgürtel gibt es also nicht nur zwischen Arkansas und Oklahoma.

Jenseits der sächsischen Grenze im katholischen Polen ist Abtreibung kriminalisiert. Hier engagiert sich die zweite Dresdner Aktivistinnengruppe, Kuzynka z Drezna (Cousine aus Dresden). Auch Fenja Kowalska heisst anders: «Wir arbeiten an Unterstützungsstrukturen für Menschen aus Polen, die in Dresden einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen möchten», sagt sie. Von politischen Gegner:innen wird die unglamouröse Kleinarbeit der Dresdner Cousinen denunziert. Sie nennen es «Abtreibungstourismus».

Unterdessen reist Kamala Harris nach Georgia zum Grab von Amber Nicole Thurman. Die 28-Jährige gilt als Opfer der rigiden Abtreibungspolitik in Georgia, Ärzte sollen aus Angst vor Konsequenzen den rettenden Eingriff verweigert haben.