Durch den Monat mit Asa Hendry (Teil 2): Gibt es auf dem Land andere queere Möglichkeiten?
Auf der Suche nach einer queeren Community zog Asa Hendry in die Stadt – und vermisste das Dorf. Heute geht Hendry gern zurück. Mit den Geschichten über Armut, die alte Leute erzählen, versucht Hendry als Autor:in respektvoll umzugehen.

WOZ: Asa Hendry, Sie sind im Bündner Val Lumnezia aufgewachsen. Queerness wird immer noch vor allem mit Städten in Verbindung gebracht.
Asa Hendry: Ja. Auch ich war lange in diesem Narrativ gefangen: «Die Provinz ist queerfeindlich, ich muss in die Stadt gehen, dort werde ich meine Community, mein Zuhause finden.»
Haben Sie eine Community gefunden?
Ja, schon. Aber ich merkte schnell, dass mir dort auch etwas fehlt. Ich konnte mit niemandem Romanisch sprechen, das habe ich vermisst. Und ich hatte halt einfach andere Interessen. Ich interessiere mich immer noch sehr für Landwirtschaft und Alpwirtschaft, Berge und Tiere. Ich merkte, dass ich mit manchen Bauern aus dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, besser reden kann, während ich in urbanen queeren Spaces am Anfang einfach nur ängstlich und verschupft war und nicht wusste, worüber ich reden sollte. Ich hatte das Gefühl, es gebe tausend Regeln, tausend Geheimcodes. Ich verstand anfangs gar nicht, was abgeht.
Wurde das mit der Zeit besser?
Ja, ich habe mich dann schon eingelebt, und Städte sind mir mittlerweile auch sehr wichtig. Aber ich möchte dem Narrativ entgegenwirken, die Provinz sei per se queerfeindlich. Das habe ich anders erlebt.
Wie haben Sie es erlebt?
Der grösste Schritt war für mich, dass ich mir selber erlaubt habe, in diesem Umfeld queer zu sein. Da habe ich gemerkt, dass es die Leute gar nicht so kümmert. Wenn du einen guten Job auf der Alp machst oder zum Beispiel einen schönen Garten hast, wirst du respektiert. Es gibt auch auf dem Land viele Leute, die ein bisschen «weird» sind, die einfach ihr Ding machen. Es wird schon über sie geredet, aber Gossip gibts ja überall.
Und es gibt auch andere queere Menschen, nehme ich an?
Auf jeden Fall. Es gibt sie heute, und auch früher gab es etwa Frauen, die zusammenlebten, auch wenn sie das nicht unbedingt als lesbisch labelten. Ich denke, ich kann von diesen Geschichten lernen, ich habe ja auch meinen Struggle mit Labels. Heute habe auch ich einen urban geprägten Blick – ich möchte ihn nicht Leuten überstülpen, die andere, nichtstädtische Formen von Queerness leben. Ich sträube mich dagegen zu sagen, das eine sei queerer als das andere.
Auch in Ihren Texten tauchen queere Motive auf. An einer Stelle heisst es: «And dirt has no gender.» An einer anderen: «Mein Körper ist halb Boy, halb Kuh.» Gibt einem das Land auch andere queere Möglichkeiten als die Stadt?
Ja. Das hat mit der Landschaft zu tun. Wieso habe ich mir als Kind gar nicht so oft die Geschlechterfrage gestellt? Weil ich halt megaviel draussen war, unter Tieren, unter Kühen, den ganzen Sommer. Dort wurde nicht über Geschlecht diskutiert. Erst wenn man unter Leute kam. Wenn ich in der Landschaft bin, geht es mir eigentlich am besten. Da bin ich am meisten bei mir. Und kämpfe nicht mit so einer Aussenperspektive.
Allein in der Landschaft müssen Sie sich nicht die ganze Zeit definieren.
Genau, und auch keine Performance hinlegen, meinen Ausdruck nicht zensieren. Nicht überlegen, wie meine Kleider wirken, wie meine Stimme wirkt. Die Kühe interessiert das nicht so. Oder meinen Hund.
Wenn Sie einen Text schreiben, überlegen Sie, für wen er ist?
Bei romanischen Texten ist mir sehr bewusst, dass ich für die romanische Community schreibe. Und es geht oft um Landwirtschaft. In deutschen Texten viel weniger. Wenn ein romanischer Text von mir ins Deutsche übersetzt wird, habe ich sofort Angst vor Exotisierung. Ich möchte auf keinen Fall Klischees füttern und poche immer sehr darauf, dass es total unterschiedliche romanische Lebensentwürfe gibt. Romanisch ist nicht generell mit Landwirtschaft und Kühen verbunden, nur weil ich es bin.
Verändern Sie die Texte beim Übersetzen?
Oft übersetze ich sie gar nicht. Und wenn, dann mache ich das nicht selber. Weil ich es fast nicht aushalte.
Aber Ihre Texte sind ja weit weg von Klischees der Tourismuswerbung. Sie haben zum Beispiel über zwei Brüder geschrieben, die als Kinder gezwungen wurden, das Fleisch einer verendeten Kuh zu essen …
Nur frage ich mich gerade bei solchen Geschichten noch mehr: Wie gehe ich damit um? Sie werden mir erzählt. Die Leute, die heute siebzig oder achtzig sind, haben diese Armut noch erlebt. Die harten Winter, fehlende medizinische Versorgung, kein warmes Wasser. Und Kinder, die sehr hart arbeiten und ziemlich untendurch mussten, etwa auf der Alp. Ab den sechziger Jahren ging die Entwicklung plötzlich so schnell, dass man gerne vergisst, dass diese Armutsgeschichten immer noch unter uns sind. Ich wehre mich gegen diese Kultur des Schweigens.
Asa Hendry (25) studiert Angewandte Theaterwissenschaft in Giessen und schreibt auf Romanisch (Sursilvan) und Deutsch. «Car Guys Gay Trucks and Oil», ein Stück von und mit Asa Hendry und Rosa Rotach, wird am Freitag, 8. November, in der Postremise Chur aufgeführt.