Zurich Film Festival: Und den Swing bezahlte die CIA
Politik, Krieg, Entertainment: Der belgische Künstler Johan Grimonprez beleuchtet immer wieder die Überlappungen dieser drei Domänen. Seinen neusten Film, «Soundtrack to a Coup d’État», hat er jetzt in Zürich vorgestellt.
Die Slogans auf den Protestschildern wirken seltsam vertraut: «Freedom for Ukraine» oder «Russians stay out of Ukraine». Aber diese Aufnahmen im Dokumentarfilm «Soundtrack to a Coup d’État» sind in körnigem Schwarzweiss und offensichtlich nicht von heute. Was wir da sehen, ist keine Demonstration gegen Russlands anhaltenden Krieg gegen die Ukraine, auch wenn die Parolen teils identisch sind. Im September 1959 protestieren sie in New York gegen den Staatsbesuch des damaligen sowjetischen Regierungschefs Nikita Chruschtschow.
Die Filme des belgischen Künstlers Johan Grimonprez sind voll von solchen historischen Echos und Spiegeleffekten. Und Chruschtschow spielte auch schon eine wichtige Rolle in seinem Essayfilm «Double Take» (2009), einer Art archivarischem Thriller, in dem Grimonprez die Paranoia des Kalten Krieges am vielleicht einflussreichsten Filmemacher jener Ära spiegelte: Alfred Hitchcock. Mithilfe zweier Hitchcock-Doubles (einem, der dessen Stimme imitiert, und einem, der Hitchcock täuschend ähnlich sieht) verwickelt er den Master of Suspense in eine unheimliche Begegnung mit einer älteren Version seiner selbst. Auf einer weiteren Ebene zeigt der Film in Archivaufnahmen, wie der nukleare Suspense zwischen den Grossmächten als weltpolitisches Strategiespiel aufgeführt wird, samt Werbepausen mit historischen Spots für Instantkaffee.
Seine Schweizer Premiere hatte «Double Take» seinerzeit am Videoex, dem Zürcher Festival für Experimentalfilme. Mit «Soundtrack to a Coup d’État» ist Grimonprez diesmal zu Gast in einer Nebensektion des Zurich Film Festival. Beim Mittagessen am Tag nach der Premiere zitiert er einen Spruch von Frank Zappa: «Politik ist die Unterhaltungsabteilung des militärisch-industriellen Komplexes.» Es klingt wie das inoffizielle Motto für seine eigene künstlerische Arbeit. Denn seit seinem ersten längeren Film, «Dial H-I-S-T-O-R-Y» (1997), beleuchtet Grimonprez immer wieder die unsauberen Überlappungen dieser drei Domänen: Politik, Krieg, Entertainment. Zuletzt hat er «Shadow World» (2016), das Standardwerk des südafrikanischen Autors Andrew Feinstein über den internationalen Waffenhandel, verfilmt.
Seinen neusten, am Sundance Film Festival preisgekrönten Film umschreibt Grimonprez jetzt leicht scherzhaft als «akademisches PDF, getarnt als Musikvideo». Das klingt lustig, trifft es aber schon deshalb ziemlich gut, weil die vielen Zitate im Film samt bibliografischen Verweisen inklusive Seitenzahlen eingeblendet werden. Vor allem aber ist «Soundtrack to a Coup d’État» eine atemlose Montage aus Archivmaterial: In zweieinhalb Stunden fächert sich hier ein ganzes weltpolitisches Panorama auf, verdichtet auf die Zeit unmittelbar vor und nach dem Jahr 1960, als die Demokratische Republik Kongo unabhängig wurde – und dabei doch auswärtigen Interessen ausgeliefert blieb. Es geht, vereinfacht gesagt, um Dekolonisation und um die verdeckten Operationen, mit denen der Westen die Bestrebungen um Unabhängigkeit in Afrika vielfach zu hintertreiben trachtete, um sich zum Beispiel in der ehemals belgischen Kolonie Kongo weiterhin den Zugriff auf die Bodenschätze zu sichern. Und es geht um die Rolle, die der Jazz bei alledem spielte.
Jazz als Köder
Nur ein Beispiel von vielen: Als Nina Simone 1961 auf Einladung der American Society of African Culture (Amsac) in Nigeria auftritt, weiss sie nicht, dass die Amsac vom US-Geheimdienst finanziert wird. Ähnlich läuft es mit Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und anderen, die als staatlich alimentierte «Jazz Ambassadors» in die ehemaligen Kolonien entsandt werden, weil man fürchtet, dass die jungen Staaten in Afrika und anderswo dem Einfluss der Sowjetunion erliegen könnten. «Jazz wurde als Köder und zur Ablenkung eingesetzt», sagt Grimonprez im Gespräch. Implizit sei es für die USA dabei auch darum gegangen, sich vor den Augen der afrikanischen Welt vom alltäglichen Rassismus auf eigenem Boden reinzuwaschen. Einer, der damals vor der Uno-Generalversammlung lautstark auf diese kognitive Dissonanz im demokratischen Selbstverständnis der USA hinweist, ist – Nikita Chruschtschow.
Der sowjetische Polterer bleibt eine widersprüchliche Figur in diesem Film. Jazz kann Chruschtschow nicht leiden, bei ihm löse diese Musik nur Magendrücken aus, sagt er einmal. Zugleich aber macht er sich in der Uno für die Resolution gegen Kolonialismus stark und stellt seinen Vierjahresplan zur globalen Abrüstung vor – worauf die New Yorker Börse prompt mit einem Absturz reagiert.
Chruschtschow als Pionier der Dekolonisation? «Ich will ihn sicher nicht als Heiligen darstellen», sagt Grimonprez. «Aber schon bei Hitchcock kann man lernen, dass es oft interessanter ist, eine Geschichte aus der Perspektive des Bösewichts zu erzählen.» Dass der kommunistische Gegenspieler der Westmächte unmissverständlich für Abrüstung und Dekolonisation plädiert, das ist in der Tat ein erhellender Twist. Und dann muss Grimonprez schmunzeln, weil im Restaurant, wo wir sitzen, genau in diesem Moment das passende Lied für den Weltfrieden läuft: John Lennon selig singt «Imagine».
Gebaut auf Gummi
Die Ermordung eines anderen Hoffnungsträgers bildet dann den historischen Fluchtpunkt in «Soundtrack to a Coup d’État»: Patrice Lumumba (1925–1961), Galionsfigur der panafrikanischen Bewegung und erster Premierminister der unabhängigen Republik Kongo. Von den Westmächten wird Lumumba strategisch zum Kommunisten gestempelt und später mehr oder weniger unverhohlen zum Abschuss freigegeben, im US-Kongress tituliert ihn ein demokratischer Senator als «halb Medizinmann, halb Marxist». Wer alles an den diversen Komplotten gegen Lumumba beteiligt war, hat auch Grimonprez überrascht. Dass die CIA politische Morde planen könne, sei ihm schon klar gewesen – nicht aber, wie weit damals auch die belgische Regierung involviert war.
Auch wenn in Belgien eine breite Aufarbeitung der historischen Gräuel der eigenen Kolonialherrschaft stattfindet: Vieles werde bis heute verdeckt, sagt Grimonprez. Das habe auch mit dem Schatten von König Leopold II. (1835–1909) zu tun, etwa bei den Debatten um die Frage, ob man die Denkmäler des brutalen Kolonialherrschers stürzen und aus dem öffentlichen Raum entfernen solle. «Klar, das ist auch sehr wichtig. Aber dadurch wird die jüngere Geschichte ihrerseits wieder verdrängt.» Und müsste man, so fragt er, dann nicht auch die prächtigen Strassen und Paläste in Brüssel abbrechen, diesen ganzen kolonialen Reichtum, gebaut aus dem Profit von Gummi aus dem Kongo?
«Soundtrack to a Coup d’État» wirft auch ein Schlaglicht darauf, wie die USA und die alten Kolonialmächte um 1960 die Voraussetzungen für einen demokratischen Panafrikanismus sabotierten – im Interesse letztlich von dem, was Grimonprez die heutige «Corporatocracy» nennt, also die transnationale Herrschaft der Konzerne. Am Ende des Films ist es dann der Jazz, der die Empörung über das Unrecht artikuliert: Archivbilder von 1961 zeigen, wie die Sängerin Abbey Lincoln zusammen mit dem Schlagzeuger Max Roach und anderen aus Protest gegen den Mord an Patrice Lumumba eine Sitzung des Uno-Sicherheitsrats stürmt. Drei Jahre später sind die beiden im belgischen Fernsehen zu sehen, in einer Aufnahme von «We Insist!», Max Roachs Freiheitssuite zur afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung: Abbey Lincoln in Grossaufnahme, schier endlos der gesungene Schrei, den sie ausstösst. Von der eigenen Komplizenschaft bei den Intrigen gegen Lumumba weiss das TV-Publikum in Belgien damals noch nichts.
«Soundtrack to a Coup d’État» am Zurich Film Festival: So, 13. Oktober 2024, 17 Uhr, Kino Corso 3. Weitere Filme von Johan Grimonprez: www.johangrimonprez.be