Literatur: Prächtige Underdogs?

Nr. 44 –

Cover von «Die Spielerin»
Isabelle Lehn: «Die Spielerin». Roman. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2024. 271 Seiten. 35 Franken.

Was für eine Hauptfigur! Ein Chamäleon, eine Unterschätzte, die sich ärgert, dass man sie nicht ernst nimmt, und dann genau das zu ihrem Geschäftsmodell macht. Eine Rächerin. Eine Hochstaplerin? Vielleicht auch das. «Die Spielerin» von Isabelle Lehn spielt mit Rollen und Erwartungen – auch mit denen von uns Leser:innen.

Lehns Ausgangspunkt für ihren glänzenden, vielstimmigen Roman war ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 2018. Der Journalist Sandro Mattioli geht darin der Frage nach, ob die Mafia versucht habe, den Deutschen Depeschendienst (ddp) zu kaufen. Mittendrin: eine geheimnisvolle Unauffällige, die zuletzt als einfache Telefonistin im Kundendienst des ddp gearbeitet hat – und das Relais zwischen der serbelnden Presseagentur und der kalabrischen ’Ndrangheta gewesen sein soll.

Lehn (re)konstruiert den Werdegang dieser Frau, die sie A. nennt: von der deutschen Sparkassenbeamtin zur Hedgefondsmanagerin an der Bahnhofstrasse in Zürich, schliesslich zur Buchhalterin für die millionenschweren Transaktionen der Mafia. Die Einblicke in die Finanzszene der neunziger Jahre basieren auf Recherchegesprächen – und sind ein Krimi für sich. Der literarische Clou: Diese A. hat keine eigene Stimme, kein Innenleben. Sie besteht nur aus den Beschreibungen ihres vornehmlich männlichen Umfelds – und wirkt trotzdem nicht flach, bloss konsequent nicht fassbar.

In Interviews zerlegt die Autorin ihren Romanstoff messerscharf: Ja, es gehe ihr durchaus um gesellschaftliche Dimensionen des Falls, darunter etwa die ungemütliche Frage, was denn die Schattennetzwerke der Mafia genau von den Finanzkonstrukten gewisser Bankenabteilungen unterscheidet. Zugleich warnt Lehn vor falschen Schlüssen: Nein, diese A. sei keine emanzipatorische Figur. Zur Begründung zitiert sie Theodor W. Adorno: «Die Glorifizierung der prächtigen Underdogs läuft auf die des prächtigen Systems heraus, das sie dazu macht.»