Auf allen Kanälen: Jeden Tag ein «Vorfall»
Die Klapp-App verändert die Beziehung zwischen Eltern und Schule. Plötzlich sind wir alle Teil des Kollegiums.
Nach der Wahl von Donald Trump sind tausend Personen der SP Schweiz beigetreten und immerhin hundert den Grünen. Das klingt bizarr, aber es geht um Selbstwirksamkeit in Zeiten politischer Ohnmacht. Man grenzt sich von Dingen ab, die sich nicht beeinflussen lassen, und gibt alle Energie dort hinein, wo sich etwas verändern lässt. Ich habe mich deswegen entschieden, die Pushnachrichten des «Tages-Anzeigers» abzustellen, wo seit der Wahl jede Zuckung Trumps vermeldet wird.
Typische Klapp-Momente
Die einzige App, die noch pushen darf, ist die Klapp-App. Über Klapp läuft die Kommunikation zwischen der Schule, an der unsere Kinder sind, und uns Eltern. Protokolle der Elternratssitzungen werden darüber verschickt und wichtige Aufrufe (Wer macht den Mocktailstand am Schulhausfest?) durchgegeben. Klapp ist eine Schweizer Erfolgsgeschichte, 1400 Schulen nutzen sie nach eigenen Angaben. Sie ist noch ganz unberührt geblieben vom Zugriff toxischer Techbros – und hat doch einen mindestens so starken Einfluss auf unser Leben wie X oder Instagram.
Rückblende auf Mittwoch während der US-Wahl, der «Tagi» meldet aufgeregt, dass das «Trump-Zeitalter seinen Höhepunkt erreicht hat», da pusht zeitgleich Klapp einen Terminvorschlag für ein Elterngespräch zur Überprüfung des «Lern- und Arbeitsverhaltens» unseres Sohns. Eine Sorge wird von der nächsten überlagert, wir leben im Zeitalter der multiplen Krisen.
Als der Sohn nach Hause kommt, stellt sich ein typischer Klapp-Moment ein. Man sitzt abends am Küchentisch und nähert sich behutsam dem Thema. «Na, wie wars in der Schule? Ist was Besonderes passiert?» Nervöse Blicke – was wissen die Eltern? Der Lümmel setzt alles auf eine Karte: «Alles ganz normal.» Zack, schnappt die Falle zu.
Klapp ist ein Newsticker fürs eigene kleine Leben. Die App erschüttert einen frühmorgens, wenn sie von einer Amokdrohung berichtet, die jemand im Schul-WC an die Wand gekritzelt hat. Die Polizei sei präsent auf dem Schulareal, aber eine akute Gefahr bestehe nicht, meldet die Schulleitung. Soll man jetzt besorgt sein oder nicht? Klapp-Meldungen werfen oft neue Fragen auf. Am berührendsten sind Dankesbekundungen, wenn etwa die kranke Kindsgilehrerin ein Geschenk erhalten hat und alle Emojis und Ausrufezeichen ausspielt, die die App vorrätig hat. Am meisten Spannung erzeugen Nachrichten, deren Betreff nur aus einem einzigen Wort besteht. Wie «Heute» oder «Vorfall» oder «Läuse». Hinter erschöpft hingeworfenen Wörtern verbirgt sich fast immer ein dringender Handlungsauftrag an die Eltern.
Doch dieser eigentliche automatische Informationsaustausch zwischen Eltern und Lehrer:innen birgt auch Gefahren. Zunächst nimmt er den Kindern jenes bisschen Beinfreiheit, das ihnen der Raum zwischen Schule und Daheim früher gewährt hat. Als man mit ein wenig Glück darauf hoffen konnte, dass die Lehrerin den «Vorfall» bis zum nächsten Elterngespräch vergessen haben würde. Wo auch einmal das Postmäppchen mit dem Elternbrief auf dem Schulweg verloren gegangen ist. Oder man mit ein wenig Geschick dafür sorgen konnte, das Telefon besetzt zu halten, damit der Lehrer nicht durchkommt.
Ein neues Disziplinierungsinstrument
Mit Klapp wird jede Unregelmässigkeit meldefähig – und die Kommunikationslösung damit automatisch auch zum Disziplinierungsinstrument. Doch die App setzt nicht nur Schüler:innen unter Druck. Sie verändert auch die Beziehung zwischen Eltern und Schule. Der Gesellschaftsvertrag, wonach die Lehrer:innen uns die Kinder für ein paar Stunden am Tag abnehmen und wir die Pädagog:innen dafür machen lassen, scheint aufgekündigt. Als Vater wird man unweigerlich Teil des Kollegiums, und abends sitzt der Klassenlehrer zu Hause mit am Tisch. Gehört nicht zur Magie der Volksschule, dass man gar nicht so genau weiss, was dort vor sich geht und wie sich das eigene Kind so schlägt? Und dass am Ende der Schulzeit alle sehr überrascht sind, dass es irgendwie doch gut herausgekommen ist?
Klapp ist schon eine gute Sache. Aber all die Pushmeldungen erzeugen letztlich auch nur eine Illusion: Dass wir mehr über unsere Kinder wissen, als sie uns preisgeben wollen.