Abstimmung zum Autobahnausbau: Mit gezinkten Karten

Nr. 43 –

Das in Schaffhausen geplante Nationalstrassenprojekt bringe allerlei Verbesserungen für die Bevölkerung, verspricht das Bundesamt für Strassen. Damit widerspricht es sich selbst.

Visualisisierung eines geplanten Autobahnkreisels
Das Astra dreht an der Verkehrsschraube: Der geplante Anschluss im Mutzentäli bei Schaffhausen.  Visualisierung: Bundesamt für Strassen ASTRA

In Schaffhausen ist man unzufrieden. Über die Köpfe der Bewohner:innen hinweg plant das Bundesamt für Strassen (Astra) mitten im Stadtzentrum ein gigantisches Autobahnprojekt. Mit der «Engpassbeseitigung A4 Schaffhausen-Süd – Herblingen» will das Astra die Autobahn auf dem besagten Abschnitt auf vier Spuren ausbauen, unter anderem direkt neben dem Bahnhof. Dabei sollen der Fäsenstaubtunnel um eine zweite Röhre erweitert und die Fahrbahnen abschnittweise doppelspurig übereinander geführt werden. Die Auffahrt Schaffhausen-Nord würde entfallen und durch einen Anschluss im Mutzentäli ersetzt. Kostenpunkt: 473 Millionen Franken. Geplante Bauzeit: achteinhalb Jahre.

Die Engpassbeseitigung A4 ist Teil des «Ausbauschritts 2023 für die Nationalstrassen», über den die Schweizer Stimmbevölkerung am 24. November abstimmt. Verkehrsminister Albert Rösti rührt bereits seit Monaten die Werbetrommel für den Ausbau von sechs Autobahnabschnitten. Er verspricht weniger Stau, weniger Ausweichverkehr, mehr Sicherheit.

Fragwürdiges Verkehrsmodell

Der Stadtrat von Schaffhausen ist weitaus weniger enthusiastisch. In einem Schreiben der Regierung ist von «gravierenden Problemen» und «unerwünschten räumlichen Effekten» die Rede. Im April 2023 hat der Stadtrat dem Astra verschiedene Vorschläge zur Verbesserung des Projekts mitgeteilt. Keiner davon wurde bisher in die Planung aufgenommen. «Wir fühlen uns nicht gehört», sagt Stadträtin und Baureferentin Katrin Bernath. Wirft man einen Blick in die zum Projekt gehörenden Akten, stellt sich in der Tat die Frage, worauf sich die luftigen Versprechen des Astra eigentlich stützen.

Die Engpassbeseitigung A4 bringe eine «Entlastung der Verkehrssituation in und um Schaffhausen», heisst es auf der Projektwebsite. In einem 2012 erstellten Papier prognostiziert das Astra jedoch auch einen Gesamtzuwachs des Verkehrs um 1850 Fahrzeugkilometer pro Tag auf den Lokalstrassen, weil unter anderem die Auffahrt Schaffhausen-Nord entfällt. Gemäss den Prognosen des Astra würde dies im Wohnquartier Niklausen bis zu 1500 zusätzliche Fahrzeuge pro Tag verursachen, was einem Anstieg von rund 25 Prozent entspricht. Auf zwei weiteren Quartierstrassen werden mindestens 10 Prozent Mehrverkehr erwartet.

Auf diesen Widerspruch hingewiesen, erwidert das Astra, sein Verkehrsmodell zeige klar, dass das städtische Hauptstrassennetz ohne den Autobahnausbau bis 2040 noch viel stärker überlastet sein werde – wegen der grundsätzlich erwarteten Verkehrszunahme. Mit dem Projekt könne das Verkehrsaufkommen hingegen in etwa auf heutigem Niveau gehalten und teils merklich reduziert werden, schreibt das Bundesamt.

Allerdings gibt es berechtigte Zweifel an den Prognosen des Astra. Der Stadtrat von Schaffhausen hat im September 2023 das renommierte Ingenieur- und Beratungsunternehmen Basler und Hofmann mit einem externen Expert:innenbericht zu den Auswirkungen des nationalen Autobahnprojekts auf die städtische Bevölkerung, die Wirtschaft und die Stadtentwicklung beauftragt. Der im Mai erschienene Bericht stellt das vom Astra verwendete Modell infrage: Es gehe von einem deutlich grösseren Verkehrszuwachs aus als viele alternative Modelle. «Ein anderes Mengengerüst hätte zu einer völlig anderen Einschätzung bezüglich der benötigten Verkehrskapazität geführt.»

Sebastian Schmid, Kopräsident der Interessengemeinschaft Fäsenstaub, befasst sich seit Jahren mit dem Projekt. Er sagt: Je mehr er sich damit auseinandergesetzt habe, desto eklatanter seien die Widersprüche zutage getreten. «Je tiefer man gräbt, desto mehr fängt alles an zu bröckeln.»

Kosten überwiegen Nutzen

Schmid weist etwa auf das Versprechen des Astra hin, mit dem Autobahnausbau den Umwelt- und Lärmschutz zu verbessern. In einer 2016 durchgeführten Kosten-Nutzen-Analyse hat das Astra die Engpassbeseitigung A4 nach den drei Nachhaltigkeitsdimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt bewertet. Beim Faktor Umwelt kommt sie auf eine Bilanz von minus 1,16 Millionen Franken jährlich – klar negativ. Insgesamt berechnet der Bericht ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von 0,57. Ein Wert von unter 1 bedeutet: Das Projekt verursacht mehr Kosten als Nutzen.

Das Astra redet die Ergebnisse der eigenen Analyse mit der Begründung klein, sie beschränke sich auf rein monetäre Aspekte. Insgesamt wirke sich das Projekt hingegen «positiv auf die direkt betroffenen Anwohner:innen sowie auf die Umwelt aus». Dies aufgrund des geplanten Einbaus lärmarmer Beläge, der Realisierung zusätzlicher Lärmschutzwände sowie weiterer «Verbesserungen bei den Anlagen zur Behandlung des Strassenabwassers».

Wie das Astra zu diesen Schlussfolgerungen kommt, lässt sich nicht nachvollziehen. Der ihnen zugrunde liegende Umweltverträglichkeitsbericht ist nicht öffentlich und liegt auch der Stadt Schaffhausen nicht vor. Der bereits erwähnte externe Expert:innenbericht folgert daher, anhand der einsehbaren Unterlagen lasse sich «nicht überprüfen, ob die Angaben im Astra-Bericht vollständig, zweckmässig und angemessen sind».

Und dann ist da noch das Versprechen einer «verbesserten Lebensqualität für die Bevölkerung der Stadt Schaffhausen». Das Projekt Engpassbeseitigung A4 mitten im dicht bebauten Stadtgebiet von Schaffhausen sei ein «sehr hochwertiges, gut durchdachtes Ingenieurprojekt», heisst es dazu im externen Expert:innenbericht. Der «auffällig einseitige» Fokus auf den Verkehr führe aber zu «äusserst schwierigen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung und den Stadtraum». Gleichzeitig würden viele neue Erkenntnisse und Anforderungen wie beispielsweise die Klimastrategie nicht berücksichtigt. Durch Verdrängungseffekte gebe es sogar «eine negative Wirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung». Bessere Lebensqualität klingt anders.

Das Schaffhauser Autobahnprojekt ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten standen die Ämter unter Verkehrsminister Rösti gleich mehrfach wegen beschönigter Zahlen und irreführender Aussagen in der Kritik. Im August legte die NZZ offen, dass der vom Astra prognostizierte volkswirtschaftliche Nutzen des Autobahnausbaus stark überhöht ist. Für seine Berechnungen stützte sich das Bundesamt auf einen sogenannten Zeitkostenansatz von 2009. Wie das Astra selbst einräumt, ist dieser längst überholt und wird nächstes Jahr ersetzt. Anfang Oktober musste das Bundesamt für Raumplanung die durch den Autoverkehr verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden um sechzig Prozent nach oben korrigieren. Und in den Zeitungen von CH Media war vergangene Woche zu lesen, dass sich gemäss den Expert:innen des Astra vier der sechs geplanten Ausbauten «neutral bis klar negativ» auf die Sicherheit auswirkten. Ein direkter Widerspruch zum oft wiederholten Versprechen, der Ausbau erhöhe die Verkehrssicherheit.

«Bewusste Irreführung»

Den Vorwurf, das Astra nehme es «nicht so genau mit den Fakten», wie es CH Media ausdrückte, weist das Bundesamt als «nachweislich falsch» zurück. Dennoch sagt der Verkehrsplaner und GLP-Politiker Thomas Hug: «Ich würde mich nicht wundern, wenn das Referendumskomitee wie bereits angedroht Beschwerde einlegen wird wegen der vom Astra verbreiteten Fehlinformationen.» Der an der ETH Zürich ausgebildete Experte für Verkehrswende und nachhaltige, inklusive Mobilität ist Teil einer Gruppe von Verkehrsplaner:innen, die über das Öffentlichkeitsgesetz Zugang zu den Projektunterlagen des Astra erlangt haben. Er sagt: Die Häufung der fragwürdigen Zahlen und Versprechen machten auf ihn den Eindruck, als handle das Astra systematisch. «Ich glaube, man muss mittlerweile von einer bewussten Irreführung der Wähler:innen sprechen.»

In Schaffhausen ist die Stimmung derweil gedämpft. Im November befinden die Schweizer Stimmberechtigten über die sechs Autobahnprojekte. Wird die Vorlage angenommen, muss aber vor allem die betroffene Bevölkerung die negativen Folgen des Ausbaus tragen. Dennoch können Katrin Bernath und der Stadtrat wenig ausrichten. Nach der Abstimmung hat die Stadt während der dreissigtägigen Auflage die Möglichkeit, ihre Interessen mit einer Einsprache einzubringen. Bis dahin will das Astra keine Anpassungen vornehmen.