Auf allen Kanälen: Weg vom Schaufenster

Nr. 50 –

Als hätten sie bloss noch das Ende der Weltklimakonferenz abgewartet, verhafteten Aserbaidschans Behörden letzte Woche sechs Journalist:innen. Diesmal traf es Meydan TV, das grösste unabhängige Onlinemedium des Landes.

stilisiertes Logo des Fernsehsenders Meydan TV

Dass etwas vorgefallen sein musste, hätten er und sein Team am Freitagnachmittag rasch realisiert, schildert Matt Kasper die Geschehnisse von letzter Woche: «Wir haben eine sehr lebhafte Redaktion, da fällt sofort auf, wenn Leute in Nachrichtenchats während Stunden nicht mehr reagieren.» Kasper ist Geschäftsleiter von Meydan TV, dem grössten unabhängigen Onlinemedium Aserbaidschans. Bald sei klar gewesen: Sechs seiner Kolleg:innen waren inhaftiert worden – unter dem fadenscheinigen Vorwand, sie hätten Fremdwährungen ins Land geschmuggelt. Damit stützen sich die Behörden nicht zum ersten Mal auf ein hochumstrittenes NGO-Gesetz von 2014, das es unter anderem auch Journalist:innen verbietet, Geld aus dem Ausland anzunehmen.

Der Zugriff erfolgte weniger als eine Woche nach dem Ende des Weltklimagipfels in Baku. Fast scheint es, als hätten die Behörden dafür bloss noch den Abflug der vielen Spitzenpolitiker, Funktionärinnen und Medienschaffenden aus der ganzen Welt abgewartet, die sich während zweier Wochen in der aserbaidschanischen Hauptstadt aufgehalten hatten.

Harte Hand in Baku

Unter den Verhafteten befindet sich auch Aynur Elgunesh, die Chefredaktorin von Meydan TV. Matt Kasper hingegen ist nicht journalistisch tätig, er kümmert sich um die administrativen Belange der Organisation. Und er tut dies nicht etwa in Baku, sondern in Berlin, wo das Medium und dessen Trägerverein seit der Gründung im Jahr 2013 ihren Sitz haben. «In Aserbaidschan wäre das nicht möglich», sagt Kasper. Im autoritär regierten Land zwischen Kaukasus und Kaspischem Meer steht es schon lange schlecht um die Medien- und Informationsfreiheit. Dafür sorgt das Regime von Ilham Alijew, der das Präsidentenamt 2003 von seinem Vater geerbt hat und seither mit harter Hand ausübt.

Nur wenige Journalist:innen von Meydan TV arbeiten deshalb vor Ort, die meisten sind international ansässig. Sie greifen politische und gesellschaftliche Themen auf, bereiten etwa Videos auf, die ihnen aus der aserbaidschanischen Bevölkerung zugesandt werden. Die Inhalte erscheinen teils auch auf Russisch und Englisch. Mit beträchtlichem Erfolg: Fast eine Million Follower:innen zählt Meydan TV auf Instagram, dazu kommen weitere auf anderen Plattformen. Für Alijews Regime scheint das bedrohlich – wohl gerade auch unter dem Eindruck der aktuellen Grossproteste in Georgien oder des Umsturzes in Syrien.

Medien im Visier

Das durch Öl- und Gasexporte fürstlich alimentierte Regime Alijews ging schon im Verlauf des letzten Jahrzehnts zunehmend repressiv gegen Oppositionelle, Aktivistinnen und sogar Wissenschaftler:innen vor. Zwar hat sich Alijew im letzten Jahr mit seinem Krieg in Bergkarabach und der Vertreibung von 100 000 Armenier:innen durchaus erfolgreich um das patriotische Empfinden in der Bevölkerung bemüht; aber er scheint sich seiner Macht noch immer nicht sicher genug.

Seither gerieten nämlich auch die verbliebenen unabhängigen Medien ins Visier der Behörden. Im November 2023 traf es sechs Journalist:innen des Investigativ-Onlinemediums «Abzas Media»; auch gegen sie wurde das NGO-Gesetz von 2014 in Stellung gebracht. Weitere Verhaftungen folgten, etwa im März dieses Jahres, als fünf Mitarbeitende des Youtube-Kanals «Toplum TV» unter demselben Vorwand festgenommen wurden. Die NGO Reporters sans Frontières (RSF) zählt derzeit neunzehn inhaftierte Medienschaffende in Aserbaidschan. Wenig überraschend hat RSF in seinem Medienfreiheitsindex das Land in diesem Jahr noch einmal herabgestuft: Nur in 29 der aufgelisteten 180 Länder steht es demnach noch schlechter um die Medienfreiheit.

Den Betroffenen von Meydan TV droht nun ein ähnliches Schicksal wie den Kolleg:innen von «Abzas» und «Toplum»: Deren Untersuchungshaft wurde in diesem Jahr wiederholt verlängert, erst in den kommenden Wochen soll der erste Prozess beginnen. Sie haben mehrjährige Haftstrafen zu befürchten. Meydan TV werde seine Arbeit aber unvermindert weiterführen: «Wir waren schon immer ein Medium, das vor allem im Exil arbeiten musste», sagt Kasper. «Und wir haben viele mutige Vorbilder auf der ganzen Welt.»