Wichtig zu wissen: Der Kapitalismus ist jetzt fertig

Nr. 2 –

Ruedi Widmer über die Bürgerlichen

Ich habe endlich mein Konto bei X gelöscht und meine 4000 Follower:innen verlassen müssen. Ich wollte nicht irrsinnig werden.

Aber schlage ich die heutige Zeitung auf, erfahre ich, dass Herbert Kickl mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit «Volkskanzler» in Wien wird, dass Justin Trudeau zurücktritt, Elon Musk das britische Parlament auflösen will und Javier Milei nur zwölf Kilometer von hier entfernt in Kloten sprechen wird – auf Einladung des Liberalen Instituts. Erst gerade waren Aleksandar Vučić und Alice Weidel in Zürich, vor einem Jahr Viktor Orbán. Wladimir Putin wäre schon lange im «Dolder» aufgetreten, würde ihn die Polizei nicht festnehmen. Auch werde ich gewahr, dass keine Zeitung vom 6. Januar 2025 etwas über die Vorgänge des 6. Januar 2021 geschrieben hat. Ja, lieber keine alten Geschichten aufwärmen.

Das Schweizer Bürgertum hat vollends aufgegeben – doch was heisst aufgegeben? Nicht «Woke» ist fertig, der Kapitalismus ist fertig, das Geld ist nun vollzählig im Besitz der Kapitalist:innen, Konsum ist nicht mehr gewinnbringend, beim Volk gibt es kaum noch was zu holen, ausser die Muskelkraft.

Deshalb wird das Geld in der Schatulle jetzt abgefeiert. Für viele Menschen sind das goldene Zeiten. Ich kenne niemanden, der zu diesen vielen Menschen gehört – gut: zwei, drei entferntere Bekanntschaften, die rechts geworden sind.

Es ist erstaunlich, dass die Schweizer Bürgerlichen diesen Wandel durchgemacht haben. Sie, die stets vom freien Markt redeten, von Chancen, von Innovation, himmeln nun Orbán, Vučić und Putin an. Altkommunisten, die Ländern vorstehen, deren BIP bekanntlich durch die Decke geht. Die ungarische Chipindustrie ist riesig und deckt zwei Drittel des weltweiten Chipbedarfs, die ganze Welt fährt die hochtechnologischen russischen Autos, und Serbien baut Schiffsmotoren, Flugzeuge et cetera.

Deutschland, mit immer noch der viertgrössten Autoindustrie der Welt, ist für die Bürgerlichen hingegen ein Drittweltland, das ebenfalls umorbanisiert gehört, ausgenommen, gerupft. Dafür zuständig ist ab Februar die AfD, Musk gibt das Kommando vor, AfD, alles für Döpfner. Der «Stürmer»-Herausgeber (vormals Springer) hat dem südafrikanischen Freiheitskämpfer Musk (vormals Mandela) seine «Welt» für seine «seven sinking steps» zum Sturz der Demokratie freigegeben.

Dabei haben manche dieser Gierigen selber keinen Bezug zu ihrem Geld mehr, die Zahlen sind inzwischen so riesig, der Nullen so viele, dass der menschliche Verstand nicht mehr nachkommt. Statt ihre esoterische Seite zu suchen und sich bei Orbán hypnotisieren zu lassen, würden sie besser mal im Geldspeicher nachzählen wie der gute alte Dagobert Duck. Besonders der von Präsident Musk ernannte Abgeordnete für Ineffizienz, Onkel Donald Trump, sollte über die Bücher.

Musk verarscht nämlich wie Dagobert den Donald nach Strich und Faden. Seine 250 Millionen US-Dollar für Trumps Wahlkampf sind nicht mehr als ein 1600stel seines Vermögens. Für drei Franken eines durchschnittlichen Schweizer Monatslohns von 5000 Franken hat er sich seine Stelle als König der USA erkauft. Wenn Trump das erfassen könnte, wäre Musk weg vom Fenster.

Zurück zur Realpolitik: Es ist absolut vorstellbar, dass die schon vor Amtsantritt völlig irrlichternde Administration Musk ihre Handelsabkommen mit Ländern wie etwa der Schweiz direkt bilateral mit der Familie Blocher oder der Jungen Tat beschliesst und nicht mehr mit dem Bundesrat. So entsteht hierzulande ein gewaltiger Druck, aus wirtschaftlichen Gründen die Demokratie zu beenden.

So was kann sehr schnell gehen. Geschichtliche Umbrüche sind immer zu schnell für den Menschenverstand. Ich wünsche trotzdem allen ein gutes 2025, stay tuned.

Ruedi Widmer ist Cartoonist in Winterthur.