Wichtig zu wissen: Weiss im Verdacht

Nr. 12 –

Ruedi Widmer über Mutlosigkeit, politisch wie gestalterisch

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Der kulturelle Unterschied zwischen Afghanistan und den USA ist, dass Letztere ihre Henker selbst gewählt haben. Europa ist ebenfalls auf dem besten Weg dazu, doch es gibt auch viele positive Nachrichten.

Die USA verkommen zur nicht eierlegenden Wildsau, und der Tonfall der US-Schallkanone Elon Musk provoziert weltweit immer mehr Demonstrationen vor seinen Autofilialen.

Dann ist da der Mut der Ukrainerinnen, Serben, der Slowakinnen, Ungarn und Polinnen, die sich ihrer Rechtsextremen zu entledigen versuchen oder entledigt haben. Ganz anders bei uns, in unseren deutschsprachigen Arenen und Mainstreammedien (ein gutes, einst rechtes Wort): Aus Sorge, irgendeinen Trend zu verpassen, oder gar aus Furcht, die beiden Anführer zu verärgern, schalten viele Redaktionen auf Neutralität und reden die Vorgänge in den Bruderstaaten USA und Russland schön. Ja, es ist vielleicht crazy drüben, aber es ist auch gut, dass endlich der ganze Woke-Plunder entsorgt wird (übrigens: Schweiz = Entsorgungsweltmeisterin) – und als Beifang halt auch die überwoken Menschenrechte, die woke Medienfreiheit, die woke Meinungsfreiheit, die woke Wirtschaft, die woke Weltordnung und die woke Justiz, deren teure Mühlen doch – wenn wir ehrlich sind – immer nur für Kriminelle und Frauen mahlen, aber nie für den unbescholtenen weissen Schweizermann.

Der grosse Ketamin-Philosoph Musk sagte, das grosse Problem der westlichen Gesellschaften sei die Empathie. Und so ist Empathie für seine Follower:innen innert Tweetsekunden irgendetwas Linkes mit Flüchtlingen und Randgruppen und teuren Behinderten, ohne dass sie dieses schwierige fremdsprachige Wörtchen je vorher gehört oder verstanden haben.

Die Gefühlsverarmung der Welt ist sichtbar: in den grossen Autos, die ihre Insass:innen in einen Kokon aus «Branding» hüllen und mit riesigen Rädern und Elektronik von der bedrohlichen, aber eigentlich vom Auto selbst bedrohten Aussenwelt abbildschirmen. In der Architektur von Einkaufsläden, klinisch weiss sauber, ohne eine persönliche Note. Der «Tages-Anzeiger» berichtete jüngst, wie Bäckereien ihre Filialen wie Kunstgalerien designen, alles weiss und kubisch, damit die Aufmerksamkeit auf das Produkt, das frische Brot, gerichtet sei. Die Mitarbeiter:innen allerdings würden unter dieser Sterilität leiden.

Gegen den weissen Minimalismus, etabliert von den globalen Modekonzernen, Tesla, Apple und den ganzen neurechten Silicon-Valley-Bros, sind noch vor einigen Jahren die Rechten selber angetreten. Ihr esoterischer Flügel hat teilweise zu Recht die Vertechnisierung moniert. Das oberflächlich gesehen irgendwie schuldige Bauhaus wurde erst gerade von der AfD als «Irrweg der Moderne» kritisiert, was ich natürlich als Bösartigkeit kleingeistigen Blüemlivorhang-Griesgrams empfinde.

Als Fan des Bauhauses bin ich allerdings selber kritisch, was die Reduktion in Gestaltungsfragen (besonders in der Schweiz) angeht, die zur Banalisierung geworden ist: zum Ausdruck mittelmässiger Mut- und Ideenlosigkeit, wie diese gewinngetrimmten Wohnkuben der Zürcher Agglo zeigen, denen das Skulpturale der klassischen Moderne abgeht. Ähnliches äussert sich in der mehr auf Fantasielosigkeit als auf Intellekt gründenden minimalisierten Grafik und Typografie im «Branding», dieses Schwarz, Weiss, Grau und Silber, zelebrierte Farblosigkeit.

Das Lebendige verschwindet aus dem öffentlichen Raum und zieht sich in die bunten Reels auf Instagram zurück, in unsere Smartphones, damit die neuen bücherlosen weissen Riesenwohnungen ungestört vor sich hin sterilisieren können. Das kann man durchaus als faschistisch lesen.

Zum Glück können wir bald Ostereier färben, wenn Trump sie uns nicht wegfrisst.

Ruedi Widmer (Winterthur) ist langsam weiss im Gesicht.