EU-Rüstungspolitik: Panzer und Raketen im Portfolio

Nr. 3 –

Die EU lockert ihre Nachhaltigkeitskriterien, um mehr privates und öffentliches Kapital in den europäischen Rüstungssektor zu lenken. Die Lobbyorganisationen haben ganze Arbeit geleistet.

Die Zeiten ändern sich gewaltig und gewalttätig. Bereits jetzt hat Russlands Krieg gegen die Ukraine gemäss Schätzungen der Nato über eine Million Tote und Verletzte gefordert. Und seit Beginn vor bald drei Jahren hat er auch zu grossen Verwerfungen in der Politik der EU-Staaten geführt – und manche Werthaltungen auf den Kopf gestellt. Nicht zuletzt in Bezug auf Europas Rüstungsindustrie, die rapide wächst und einen grossen Bedeutungs- und Imagewandel erfahren hat – in einem solchen Ausmass, dass sie von EU-Behörden in einem problematischen Schritt nunmehr als «nachhaltig» kategorisiert werden soll.

Die entsprechende Einstufung passiert im Rahmen der sogenannten EU-Taxonomie: einer Verordnung, die einheitliche Kriterien für die Einhaltung der Uno-Richtlinien für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) vorgibt. Die Kriterien greifen unter anderem für Finanzprodukte, zum Beispiel Aktienfonds; auf diesem Weg sollen zum Beispiel die Investitionen von Klein- und Grossanleger:innen in ökologisch und sozial nachhaltige Bahnen gelenkt werden, etwa in die Produktion erneuerbarer Energie. Und nicht nur Firmen, sondern auch staatliche Institutionen müssen die Vorgaben in ihren Tätigkeitsbereichen berücksichtigen.

Wirkungsvolle Änderung

Im Mai vergangenen Jahres hat die Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde der EU aktualisierte Leitlinien für «nachhaltigkeitsbezogene Zusätze in Fondsnamen» veröffentlicht. Demnach werden Fonds, die als «nachhaltig» verkauft werden, fortan nicht mehr davon abgehalten, in Unternehmen der Rüstungsbranche zu investieren. Einzig Investitionen in völkerrechtlich geächtete Waffen – also etwa in Unternehmen, die mit Streubomben, Antipersonenminen oder chemischen und biologischen Waffen Geschäfte machen – bleiben untersagt.

Die Anpassung der EU-Taxonomie zeigt offenbar bereits Wirkung. Gemäss Angaben der französischen ESG-Ratingagentur Ethifinance vom November gibt es demnach in etlichen ESG-Fonds einen Anstieg im Bereich der Rüstungsinvestitionen. Es sei «für Fondsanbieter einfacher geworden, Rüstungsunternehmen wie Airbus und Rolls-Royce in nachhaltige Fonds aufzunehmen», heisst es bei Ethifinance. Die Änderung auf EU-Ebene habe unter Fondsanbietern zu «Flexibilität» geführt – wobei die ursprüngliche Bedeutung der ESG-Richtlinien «verwässert» werde. Die Umfrage eines Londoner Fondsanbieters unter fünfzig Vermögensverwalter:innen in Grossbritannien, Italien und Deutschland hat im Herbst beispielhaft ergeben, dass 94 Prozent von diesen das Investieren in Rüstungsunternehmen für ESG-kompatibel halten.

Die Änderungen der Taxonomiekriterien hatten einen politischen Vorlauf: Bereits Anfang 2024 hielt die EU in ihrer jüngsten «Strategie für die Verteidigungsindustrie» fest, dass «die Verteidigungsindustrie angesichts ihres Beitrags zu Resilienz, Sicherheit und Frieden für mehr Nachhaltigkeit» sorge. Folglich müsse die Branche von regulatorischen Hürden befreit werden. Denn bislang könne «die Bereitschaft der Finanzakteure, mit der Verteidigungsindustrie zusammenzuarbeiten», durch «Mutmassungen» in Bezug auf die ESG-Richtlinien beeinträchtigt werden.

Und im September wurde der vieldiskutierte «Draghi-Report» veröffentlicht, den der ehemalige italienische Ministerpräsident und einstige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, im Auftrag der EU-Kommission erstellt hat. Auch darin findet sich ein Hinweis darauf, dass die Rüstungsindustrie besseren Zugang zu Kapital erhalten müsse: Es bedürfe einer Änderung der EU-Rahmenverordnung zu nachhaltigen Investments, heisst es im Report.

In einer aktuellen Stellungnahme begründet die EU-Kommission ihr Vorgehen etwa mit den «Anstrengungen dieses Sektors zur Verbesserung der Nachhaltigkeit, zur Verringerung der CO₂-Emissionen und zur Steigerung der Kreislauffähigkeit bei der Ressourcennutzung». Für den Europäischen Verteidigungsfonds sei zum Beispiel eine eigene Kategorie «Energieresilienz und ökologischer Wandel» festgelegt worden. Die Kommission bekräftigt, dass sie den Zugang der Verteidigungsindustrie zu Finanzmitteln unbedingt verbessern wolle.

Widerstand gegen Umetikettierung

Für die Rüstungsbranche bedeutet das Nachhaltigkeitslabel also nicht nur eine weitere Aufwertung, sondern vor allem auch Zugang zu erheblichen Mengen an Kapital. So sollen Mittel für die Rüstungsindustrie in Zukunft etwa auch von der Europäischen Investitionsbank (EIB) kommen, die die Bereiche Sicherheit und Verteidigung jüngst zu einer Priorität erklärt und bislang geltende Eigenauflagen aufgeweicht hat. Daneben zählt die Rüstungsindustrie aber auch auf Geld von Privaten. Viele Anleger:innen wollen spezifisch in ESG-zertifizierte Wertpapiere und Branchen investieren – aber explizit nicht in Rüstungsgüter. Nun aber dürften sich vermehrt auch Herstellerfirmen von Panzern und Raketen in ihren Portfolios befinden, und zwar ohne dass sie sich dessen bewusst wären.

Tatsächlich hat Russlands Überfall auf die Ukraine die EU bereits einmal dazu gebracht, den Begriff der Nachhaltigkeit aufzuweichen: Unter dem Eindruck drohender Energieknappheit und auf Druck Frankreichs und Deutschlands hat sie 2022 Erdgas und Atomenergie kurzerhand als nachhaltig eingestuft. Schon damals gab es Widerstand gegen die Umetikettierung, wie auch heute mit Blick auf die Rüstungsindustrie – nicht zuletzt aus der Finanzbranche selbst.

Das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) zum Beispiel, das in Deutschland, Österreich und der Schweiz agiert und etwa 200 Mitglieder zählt (darunter Banken, Kapitalanlagegesellschaften und Ratingagenturen), spricht sich gegen die Lockerung der Kriterien aus. Nachhaltigkeit müsse auch die Wahrung von Menschenrechten beinhalten, wohingegen Waffen zur Zerstörung von Infrastruktur, Menschenleben und Kultur eingesetzt würden, argumentiert das FNG.

Umtriebige Lobby

Es sind Argumente, die in Brüssel derzeit offenbar am Zeitgeist abprallen. Oder auch an den Machtverhältnissen in Politik und Wirtschaft. Recherchen der «taz» und des Vereins Lobbycontrol haben letzten Oktober aufgezeigt, dass Verbände und Rüstungslobbyist:innen offenbar wesentlichen Einfluss auf die Entscheidungen zu den ESG-Richtlinien nahmen. Nach Angaben der Organisation Lobbyfacts, die den Lobbyeinfluss auf die Geschäfte in Brüssel auf einer Website dokumentiert, traf sich die EU-Kommission in den letzten fünf Jahren über 350 Mal mit Vertreter:innen der Rüstungsindustrie, beispielsweise mit jenen des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), des wichtigsten Lobbyverbands der deutschen Rüstungsbranche. Der BDSV schreibt an offizieller Stelle: «Wir fordern ein bindendes Regelungsvorhaben, das Rüstung für EU- und Nato-Streitkräfte als positiv nachhaltig kategorisiert, ähnlich der Kategorisierung von Kernenergie in der Umwelttaxonomie.»

Aber nicht nur auf die Politik will der BDSV direkten Einfluss nehmen – sondern auch auf das gesellschaftliche Bild der Branche. Ein denkwürdiger Slogan, den der Verband dabei besonders gern verwendet: «Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit.»