Dänemark: Zu viele Schweine töten den Fjord
Dänemarks Fjorde sind in schlechtem Zustand. Das liegt vor allem an der intensiven Schweinezucht, deren Gülle das Meer verschmutzt. Die Regierung liess die Landwirt:innen zwei Jahrzehnte lang gewähren – doch immer mehr Menschen haben die Nase voll.

An diesem Mittwochmorgen ist der Himmel grau über dem Fjord vor der Hafenstadt Vejle. Es ist Mitte Dezember. Möwen drehen über dem Wasser Runden und kreischen laut. Das Thermometer zeigt drei Grad, es weht ein eisiger Wind. Kaare Manniche Ebert, weisser Bart und stechend blaue Augen, trägt einen Fischeroverall und steht bis zur Hüfte im unbewegten grünbraunen Meerwasser. Seine Stiefel sinken im bräunlichen Schlamm ein, einer Mischung aus Sand und verrotteten Algen. «Früher war der Grund hier sandweiss», sagt er.
Manniche Ebert kam oft zum Fischen nach Holtser Hage am südlichen Ufer des Vejle-Fjords, wo die Baltische See über 22 Kilometer ins Landesinnere reicht. «Früher habe ich pro Stunde drei Meeresforellen gefangen. Heute warte ich manchmal drei Tage, bis ich eine an der Angel habe.» Die hier einst heimischen Aale sind praktisch ausgestorben, der Kabeljau ist ebenfalls rar geworden. Dafür klagen die Fischer:innen seit einigen Jahren über eine Strandkrabbenplage. Sie vermehren sich exponentiell, weil der Kabeljau die Krabbeneier nicht mehr frisst.
Ein Sarg für den Fjord
«Es ist, als hätte ich einen alten Freund verloren», sagt Manniche Ebert. Im vergangenen April organisierte er gemeinsam mit Greenpeace ein Begräbnis für den Fjord. Hunderte folgten dem Aufruf, das nationale Fernsehen und Medienschaffende aus dem Ausland reisten an. Im Pavillon auf einer Wiese direkt am Fjord stand ein Sarg mit Meerwasser; Trauerlieder wurden gesungen, die Priesterin Sarah Dedieu hielt in der Johanneskirche von Vejle eine Abdankungsrede. «Wir wollten mit dem Begräbnis vor allem zum Ausdruck bringen, dass wir unglaublich traurig sind – aber trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass die Politik nun endlich einschreitet», sagt Manniche Ebert.
Er hält im Wasser Ausschau nach Seegras, findet jedoch nur noch einzelne verstreute Büschel. «Ich habe das Seegras hier noch nie in einem solch jämmerlichen Zustand gesehen», sagt der Biologe, der für den Sportfischerverband Dänemarks arbeitet und seit 27 Jahren in Vejle lebt. Mit einem blechernen Sieb fischt er einen Seegrashalm aus dem Wasser. Dieser ist braun und schmierig. Erst als er den Halm zwischen seinen Fingern reibt, kommt das frische Grün darunter zum Vorschein. «Fedtemøg», sagt Manniche Ebert mit einem verächtlichen Unterton. «Schleimiger Dreck» nennen Dän:innen die Braunalge, die in den vergangenen Jahren alles kolonisiert hat: Strände, Steine, Schiffsrümpfe und das Seegras. Letzteres stirbt ab, weil es im trüben Wasser nicht mehr genug Licht erhält. Seegras, hier vor allem die Art Zostera marina, ist ein wichtiger Lebensraum für Fische, Wasserschnecken, Krustentiere und Mikroorganismen. Stirbt das Seegras, stirbt auch die lokale Fauna. Es stabilisiert zudem den Grund, bremst die Wellen und wirkt so gegen Küstenerosion. Seegras entzieht der Luft auch CO₂ und lagert den Kohlenstoff daraus im Meeresboden ein, ebenso Stickstoff. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind die Seegrasbestände entlang der Küste Dänemarks um mehr als zwei Drittel geschrumpft.

«Das Ökosystem im Vejle-Fjord ist kollabiert», sagt Stiig Markager, Professor für Meeresbiodiversität und Ökologie an der Universität Aarhus. Er wertet regelmässig die Daten eines seit Mitte der achtziger Jahre bestehenden nationalen Fjordmonitorings aus. Bis zu fünfzigmal pro Jahr nehmen die Forscher:innen Wasserproben und messen den Gehalt an Mikronährstoffen, Sauerstoff, die Temperatur und die Salzkonzentration. Von insgesamt 109 Wassereinzugsgebieten in Dänemark seien heute nur gerade fünf in einem guten ökologischen Zustand, sagt er. Den Kollaps des Vejle-Fjords macht Markager an einer Reihe von Faktoren fest, neben dem Rückgang an Seegras an der weitverbreiteten Sauerstoffarmut im Wasser und der Zerstörung der Seetangwälder, in denen Krebse, Muscheln und Fische leben. «Viele Komponenten eines funktionierenden Ökosystems existieren schlicht nicht mehr.»
10 000 Ferkel pro Tag
Um zu erklären, was den Tod der Fjorde verursacht hat, holt Markager eine Drohnenaufnahme auf seinen Bildschirm. Sie zeigt einen Bauernhof entlang des Limfjords, rund 130 Kilometer nordwestlich von Vejle. Rund um den Hof liegen Hunderte von Hektaren braunes, gepflügtes Ackerland, auf dem Getreide für die Viehzucht angebaut wird. Die Felder reichen bis direkt an den Fjord. Ein begradigter Fluss, eingepfercht in einen Betonkanal, zieht sich durch die Felder und endet im Fjord. «Ich nenne das eine Landschaft der Habgier», sagt Markager. «Jeder Quadratmeter wird ausgebeutet; die Natur hat in einer solchen Landschaft keinen Platz mehr.» Er erklärt, dass Stickstoff und Phosphor aus Gülle und synthetischen Düngern, die von den Pflanzen nicht aufgenommen werden, durch Niederschläge in den Kanal oder direkt in den Fjord gespült werden. Besonders stört er sich an der Nähe der Felder zum Wasser. «Bei grösseren Abständen können die Nitrate tief in den Boden einsickern und werden auf dem Weg von Mikroorganismen in unschädlichen Stickstoff umgesetzt.» Solche Pufferzonen entlang der Küsten sollten laut Markager mindestens 500 Meter breit sein. «Heute gibt es keinen Zweifel mehr, dass die grösste Belastung der Fjorde der Nährstoffüberschuss aus der Landwirtschaft ist. Das Hauptproblem sind Nitrate.»
Wer entlang von ausgedehnten, gleichförmigen Äckern durch Dänemark fährt, wundert sich vielleicht, dass nirgends Tiere zu sehen sind. Es könnte der Eindruck entstehen, dass hier vor allem Getreide und Gemüse für den Teller wachsen. Bis man realisiert, dass dies lediglich das Hinterland für die Versorgung der lang gezogenen Höfe ist, in denen abgeschirmt von den Blicken der Öffentlichkeit intensiv Schweinezucht betrieben wird. Sechzig Prozent der Fläche Dänemarks wird landwirtschaftlich genutzt – der höchste Anteil in Europa. Mehr als drei Viertel davon dienen der Produktion von Futter, vor allem für die Schweinemast. Täglich werden in Dänemark rund 10 000 Ferkel geboren und innert sechs Monaten von einem Kilo auf hundert Kilo gemästet. Mit 11,5 Millionen Schweinen kommen auf jede Einwohnerin und jeden Einwohner fast zwei Schweine – das ist die höchste Quote in der EU und zwölfmal mehr als in der Schweiz.

Die Schweinemast hat in Dänemark eine lange Geschichte, sie wurde über Jahrzehnte optimiert und globalisiert. Kein Land Europas produziert heute pro Kopf mehr Fleisch. Neunzig Prozent werden exportiert, in Form von Ferkeln oder Fleisch. Meist in EU-Länder, aber auch nach China. Mit immer weniger Menschen und Höfen wurden immer mehr Tiere «produziert» – und damit auch Fäkalien, die auf den Feldern landen. Erst seit wenigen Jahren nimmt der Schweinebestand leicht ab.
Lotte Skade, breites, helles Gesicht, Nase und Ohren von der Kälte gerötet, steht im Stall ihrer Schweinemast. Sie beobachtet, wie ein Dutzend neugeborener Ferkel an den Zitzen einer Muttersau saugen. Diese liegt am Boden, eingepfercht in ein Metallgitter, einen sogenannten Kastenstand, der nur Liegen oder Aufstehen erlaubt. So ergeht es rund dreissig Sauen in diesem Stall. Knapp einen Monat bleiben sie hier mit den Jungen, dann werden sie wieder zu den nicht trächtigen Sauen verlegt, in Gehege mit etwas mehr Bewegungsfreiheit. Dort werden sie erneut besamt. Zwei- bis dreimal pro Jahr gebärt jede Sau durchschnittlich achtzehn Ferkel, weiss Skade. Sie mästet sie bis auf dreissig Kilogramm Gewicht und verkauft sie an Höfe, die die Tiere zu Ende mästen. Erreichen sie das Schlachtgewicht von rund hundert Kilo, werden sie von Danish Crown abgeholt, einem Fleischverarbeiter mit 24 000 Mitarbeitenden in 27 Ländern. 26 000 Tiere verkauft Skade jährlich – mit nur sieben Angestellten aus der Ukraine.

«Das Metallgitter ist da, damit die Mutter die Kleinen nicht zermalmt», sagt Skade. Aber mit Blick auf die eingepferchten Sauen findet auch sie: «Es ist eindeutig: Sie haben zu wenig Platz.» Gerne würde sie den Tieren mehr Auslauf lassen, aber das könne sie sich schlicht nicht leisten: Der Preisdruck sei zu hoch. «Wir haben ein System aufgebaut, um billiges Fleisch zu produzieren – und dafür die Tiergesundheit kompromittiert», sagt Skade. Die Veterinärmedizinerin und Agronomin hat 2022 die Hälfte des Hofs ihres Vaters übernommen und führt diesen nun mit ihm zusammen. Kürzlich hat sie eine Abrechnung ihres Grossvaters gefunden. Er erhielt damals denselben Preis für sein Fleisch wie sie heute. Die Produktivitätssteigerung wurde genutzt, um die Teuerung auszugleichen und das Fleisch billig zu halten.
Skades Hof liegt ausserhalb von Kolding, achtzig Kilometer nördlich der deutschen Grenze. Er umfasst mehrere lang gezogene Stallanlagen, drei grosse Futtersilos und vier riesige Güllebecken. 8000 bis 9000 Kubikmeter Kot und Urin produzieren die Tiere jährlich. Die Fäkalien werden durch Ritzen im Stallboden und Rohre direkt in die Güllebecken geleitet. Zum Hof gehören 180 Hektaren Land, die vor allem dazu dienen, die enormen Mengen an Gülle loszuwerden. Skade baut darauf Weizen, Hafer und Raps an und nutzt das Getreide für die Fütterung der Schweine. Soja kauft sie extern hinzu, alle acht Wochen kommt ein Truck mit einer Fünfzigtonnenladung. Dänemark ist der sechstgrösste Sojaimporteur in der EU. Die importierten Nährstoffe landen als Gülle auf den Feldern – und als Nitrate und Phosphate in den Fjorden.
Skade zeigt ein Getreidefeld, das Anfang Januar gefroren und mit Reif überzogen ist. Dieses grenzt an einen Bach, der mit einem Moor und einem geschützten Waldgebiet verbunden ist. Lediglich zwei Meter Abstand zwischen Feld und Bach sind gesetzlich vorgeschrieben. Sie bestreitet nicht, dass hier Nitrate vom Feld ins Wasser ausgewaschen werden, besonders bei intensiven und lang dauernden Regenfällen, wie sie in den letzten Jahren häufiger wurden. Auch jetzt sind vielerorts auf den Feldern kleine gefrorene Teiche zu sehen, weil das Wasser nicht mehr versickern kann. Eine Folge des Klimawandels, ist Skade überzeugt. «Auch wir möchten, dass so viele Nährstoffe wie möglich im Feld bleiben und den Pflanzen zugutekommen – und nicht, dass sie im Bach landen.»

Die Agroindustrie in der Regierung
97 Prozent der Baltischen See haben eine stark erhöhte Konzentration an Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Wie im Rest Europas ist die Stickstoffproblematik auch in Dänemark nicht neu. Bereits 1986 sorgten Bilder dänischer Fischer, die in ihren Netzen tonnenweise tote Hummer bargen, für landesweite Empörung. Die Tiere starben an Sauerstoffmangel. Damals betrug der Stickstoffüberschuss, der durch die dänische Landwirtschaft in die Umwelt gelangte, rund 500 000 Tonnen pro Jahr: sieben Mal so viel wie noch Anfang des Jahrhunderts. 1987 verabschiedete die Regierung den ersten Wasseraktionsplan; Kläranlagen wurden saniert und technologisch aufgerüstet, womit vor allem Phosphate aus Waschmitteln und Toiletten zurückgehalten wurden. Auch der Düngereinsatz wurde reguliert, und Bäuer:innen wurden dazu verpflichtet, «catch crops» zu pflanzen – zum Beispiel Winterroggen oder Kohlarten –, die überschüssigen Stickstoff aus dem Boden aufnehmen. Die Strategie war erfolgreich: Zwischen 1990 und 2001 konnten die Stickstoffemissionen im Wasser um 42 Prozent reduziert werden, die Phosphoremissionen sogar um 90 Prozent. Seither blieben die Werte jedoch weitgehend konstant.
Grund dafür war ein Regierungswechsel: 2001 löste eine bürgerliche Regierungskoalition die Sozialdemokrat:innen ab. Im Lead war nun die konservative Venstre, dänisch für «links». Ursprünglich eine progressive Partei der Kleinbäuer:innen, ist sie heute ein Sprachrohr der Agroindustrie und eng mit der mächtigen Landbrug & Fødevarer verbandelt, dem grössten Bauernverband Dänemarks mit über 600 Mitarbeitenden und 20 000 Mitgliedern. In der Folge hat die Regierung Regulierungen zum Ausbringen von Gülle aufgeweicht, die Einhaltung von Umweltauflagen und Nitratgrenzwerten beruhte nun weitgehend auf «freiwilligen Massnahmen». 2015 hat sie die Regelung über die Mindestabstände zu Flüssen und Küsten gelockert und Kontrollen auf den Höfen abgebaut. Alles unter dem Banner der dänischen «Wettbewerbsfähigkeit».
Dabei hatte sich Dänemark schon 2003 durch den Beitritt zur EU-Wasserrahmenrichtlinie dazu verpflichtet, die Stickstoffverschmutzung des Meeres bis 2027 um ein Drittel zu reduzieren. Der Agroindustrielobby unter Landbrug & Fødevarer gelang es zweimal in Folge, die Expert:innenstudien der Regierung anzuzweifeln und eine Zweitmeinung durch externe Fachleute zu erwirken. Diese kamen jedoch fast zum gleichen Schluss wie ihre dänischen Kolleg:innen. Die Datenlage war eindeutig: Entweder musste der Stickstoffeinsatz in der Landwirtschaft um ein Drittel reduziert werden – oder der Landwirtschaft ein Drittel des Landes entzogen werden.
Fingierte Zahlen, verunglimpfte Forscher:innen
2016 kam es aufgrund der Stickstoffregulierungen sogar zu einem Politskandal. Der damalige Ministerpräsident und Präsident von Venstre, Lars Løkke Rasmussen, schloss einen Deal mit Landbrug & Fødevarer. Der Verband unterstützte seine Politik, dafür lockerte Rasmussen die Düngerbestimmungen. Um trotzdem den Schein zu wahren, dass Dänemark sich an die Vorgaben der EU halte, frisierte die damalige Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, Eva Kjer Hansen, die Zahlen. Die Zeitung «Berlingske» deckte den Skandal auf, basierend auf Berechnungen, die Stiig Markager anstellte. Der Ökologe wurde vom Parlament angehört, die Ministerin musste ihren Posten räumen. Seither ist er für die Agrarlobby ein rotes Tuch. Als Markager, basierend auf neusten Messungen, öffentlich machte, dass der Stickstoffgehalt in den Fjorden zwischen 2010 und 2017 weiter zugenommen hatte, wurde er von Bæredygtigt Landbrug (Nachhaltige Landwirtschaft), einer radikalen Splittergruppe von Landbrug & Fødevarer, wegen «Reputationsschädigung der dänischen Bauern» angeklagt. Bæredygtigt Landbrug leugnet wissenschaftliche Fakten und erfindet alternative Erklärungen für die Zerstörung der Fjorde. Markager gewann vor Gericht, wird aber bis heute von der Agrarlobby diffamiert, zuletzt prominent von Thor Gunnar Kofoed, dem Vizepräsidenten von Landbrug & Fødevarer, der ihn öffentlich «sindsforvirret» (verrückt) nannte. «Die letzten 25 Jahre wurde Dänemark von den Bauern und deren politischem Arm regiert», sagt der Forscher.
Die Attacken gegen Wissenschaftler:innen seien vor allem ein Ausdruck des Frusts, sagt die Schweinezüchterin Lotte Skade. «Seit den neunziger Jahren haben wir die Stickstoffemissionen in der Landwirtschaft um fast die Hälfte reduziert – und trotzdem werden wir weiter kritisiert.» Heute werde die Gülle gezielter über Schläuche ausgebracht, die Mengen würden dem Bedarf der Pflanzen angepasst, und man arbeite mit Güllezusätzen, damit die Pflanzen den Stickstoff besser aufnehmen könnten. «Das kostet alles Geld.» Sie habe das Gefühl, dass sie heute für die Sünden ihrer Grosseltern bezahle. Den meisten Bäuer:innen leuchte zudem nicht ein, weshalb die Probleme in den Fjorden gerade heute so drastisch seien, wo doch viel weniger Stickstoff ausgebracht werde als früher.
Zum Kollaps der Fjorde hat nicht allein der Stickstoffüberschuss geführt. Als Folge des Klimadesasters ist das Wasser in den Küstengewässern Dänemarks in den vergangenen vierzig Jahren auch zwei Grad wärmer geworden. Es bindet weniger Sauerstoff, was tote Zonen sowie die Freigabe von Giftstoffen aus Sedimenten begünstigt. Für Algen sind das ideale Wachstumsbedingungen; für Seegras ist es der Tod – wodurch wiederum weniger Stickstoff im Meeresboden gebunden wird. Gleichzeitig zerstören Trawler vor den Küsten die bodennahe Flora und Fauna und überfischen das fragile Ökosystem.

Keine Bauernproteste in Dänemark
Als Anfang 2024 Landwirt:innen in vielen europäischen Ländern mit Traktoren vor die Parlamentsgebäude ihrer Städte fuhren und entlang Autobahnen Heuballen anzündeten, blieb es in Dänemark ruhig. «Ein Aufstand wäre für die Bauern Dänemarks politischer Selbstmord gewesen», sagt Christian Fromberg von Greenpeace Dänemark. «Sie haben sich in den letzten Jahren sämtliche Unterstützung durch die Bevölkerung verspielt.» In den Parlamentswahlen von 2022 erlitt Venstre das schlechteste Ergebnis seit 1988: Die Partei verlor zwanzig Sitze.
Dass es zu diesem politischen Stimmungsumschwung kam, hat auch mit Kaare Manniche Eberts Engagement zu tun. Im Sommer 2021 lancierte der Sportfischerverband eine Kampagne auf den sozialen Medien und rief seine über 20 000 Mitglieder auf, Fotos von Algenblüten in ihren Fjorden zu schicken. Aus ganz Dänemark gingen Bilder ein, die einen braungrünen, schleimigen Teppich auf dem Wasser zeigten. Die Medien schnappten die Geschichte auf, im August 2022 wurde Manniche Ebert zu «Genstart» eingeladen, einem der meistgehörten Podcasts Dänemarks. Viele Zuhörer:innen waren berührt. Darunter auch zwei Journalisten der Tageszeitung «Berlingske». Sie kontaktierten den Biologen und Angler und produzierten mehrere Monate lang Unterwasservideos in den Fjorden: Bilder von leblosen Wüsten und Sümpfen am Meeresgrund, Korallen und Seegrasfelder, überzogen mit verrotteten Braunalgen. «Die Videos waren ein Wendepunkt», sagt Manniche Ebert. «Zum ersten Mal konnte die dänische Bevölkerung mit eigenen Augen sehen, wie miserabel der Zustand der Fjorde ist.» Lange waren der Sportfischerverband und einzelne besorgte Forscher:innen die Einzigen gewesen, die versucht hatten, die Politik wachzurütteln. Nun entstand in kürzester Zeit eine zivilgesellschaftliche Koalition aus Fischerinnen, Tierschützern, Jägerinnen, Umweltverbänden, Klimabewegung, NGOs, Gemeindeverwaltungen und Forschenden, die gegen die Zerstörung der Fjorde demonstrierte. Unüblich im konsens- und harmonieorientierten Dänemark.

Zum letzten Mal rief die Bewegung am 16. November 2024 zu einer Demonstration auf, diesmal in Kopenhagen auf dem Palastplatz vor der Christiansborg, die vielen aus der Serie «Borgen» bekannt ist. Während die Regierung unter Ministerpräsidentin Mette Frederiksen mit Vertreter:innen aus Landwirtschaft, Industrie und der grössten Umweltschutzorganisation im Schloss über ein neues Landwirtschaftsabkommen verhandelte (vgl. «Milliarden für weniger Landwirtschaft» im Anschluss an diesen Text), machten rund tausend Protestierende deutlich, dass sie dieses nur akzeptieren, wenn es einen effektiven Schutz für die Fjorde bietet.
Als Manniche Ebert rund einen Monat später hüfthoch im trüben Wasser des Vejle-Fjords steht und sich über den omnipräsenten «Fedtemøg» nervt, sagt er, er glaube nicht daran, dass das vereinbarte Abkommen ausreichen werde, um seinen Fjord wiederzubeleben. Es sei wie bei einem Boxer: «Er kann eine Reihe von Schlägen einstecken, doch irgendwann ist fertig, und dann sinkt er zu Boden.» Der Vejle-Fjord habe seine Resilienz längst verloren. Experten hätten ihm gesagt, dass es selbst bei einer signifikanten Reduktion der Stickstoffbelastung mindestens dreissig Jahre dauern würde, bis sich das Ökosystem erholt hätte. Hoffnungsvoll stimmt ihn lediglich die Bewegung: «Erstmals haben wir in Dänemark eine starke Zivilgesellschaft, die sich für den Schutz der Fjorde einsetzt.»
Das Abkommen: Milliarden für weniger Landwirtschaft
Im November 2024 wurde das Dreiparteienabkommen («Green Tripartite Agreement») zwischen der dänischen Regierung, Gewerkschaften, Industrieverbänden, der Dänischen Gesellschaft für Naturschutz (einer unabhängigen Naturschutzorganisation mit 135 000 Mitgliedern) und der Agroindustrielobby Landbrug & Fødevarer verabschiedet. Dafür war im August eigens ein neues Ministerium geschaffen worden. Das Abkommen zielt auf die Restaurierung der zerstörten Fjordökosysteme (vgl. Haupttext).
Durch Umwandlung von mehr als fünfzehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Feuchtgebiete, Wälder und Moore bis 2045 sollen Puffer geschaffen werden, damit weniger Nährstoffe von Feldern in die Fjorde gelangen. Die Stickstoffemissionen sollen um fast 14 000 Tonnen jährlich reduziert werden. Für den Landkauf und die Transformation stellt die Regierung 5,76 Milliarden Euro zur Verfügung. 250 000 Hektaren Wald sollen aufgeforstet und sechs neue Nationalpärke geschaffen werden. Zudem führt Dänemark als weltweit erstes Land eine CO₂-Steuer für die Landwirtschaft ein. Ab 2030 bezahlen Landwirt:innen pro Tonne CO₂-Äquivalente nach Steuerabzug sechzehn Euro. Die Einnahmen sollen in Klimaschutz und grüne Initiativen in der Landwirtschaft reinvestiert werden.
Christian Fromberg, Kampagnenleiter für Landwirtschaft bei Greenpeace Dänemark, sieht das Abkommen kritisch. Es sei von den Interessen der Agroindustrie dominiert. Die CO₂-Abgabe sei zu tief, um eine Wirkung zu entfalten. Auch die Umwandlung von Agrarflächen reiche nicht aus, um die Fjorde wirkungsvoll zu schützen. Die Regierung konzentriere sich auf technische Lösungen, ohne die Strukturen der auf Schweinemast fokussierten Landwirtschaft verändern zu wollen. «Wie schon in der Vergangenheit sind viele Massnahmen freiwillig», sagt Fromberg. «Es würde mich deshalb nicht wundern, wenn das Abkommen 2030 aufgrund fehlender Fortschritte neu verhandelt werden müsste.»