Ein Erfahrungsbericht: Die Welt war zu viel für mich

Nr. 7 –

Einmal Neurocovid und zurück: Unsere Autorin war schwer erkrankt – nun sucht sie nach einer Sprache, um ein gemeinsames Verständnis von Post-Covid zu erlangen.

überlagertes Foto: ein Traminnenraum und Verkaufsgestelle in einem Geschäft
«Als ich in den Laden trat, geschahen Dinge, die  ich nie zuvor erlebt hatte.» Foto: Florian Bachmann

Alles in meinem Leben wurde anders an diesem Nachmittag Anfang April 2023, als ich die Migros betrat. Ich war zuvor eine Woche mit einer Covid-19-Infektion im Bett gelegen. Es war meine erste Ansteckung mit dem neuen Virus, ein sogenannt milder Verlauf. Ermattet, aber ohne Fieber lag ich im Bett, ruhte mich aus und beantwortete zwischendrin berufliche E-Mails. Nach einer Woche wollte ich raus, an die frische Luft. Ansteckend war ich nicht mehr. Meine Beine waren noch schwach, aber das würde sich geben.

Als ich in den Laden trat, um ein paar Besorgungen zu machen, geschahen Dinge, die ich nie zuvor erlebt hatte. Ich kannte diesen Ort, ich wusste, wo sich welche Gestelle befanden und wie die Produkte aussahen, die darauf feilgeboten wurden. Ich wusste, wie ich mich bewegen musste, um vom Eingang durch die Verkaufsräume, zur Kasse und wieder zum Ausgang zu gelangen. Alles war in meiner Erinnerung gespeichert, alles schien belanglos alltäglich. Doch dann veränderten sich der vertraute Raum und die mit ihm verbundene Orientierung von einer Sekunde auf die andere. Es begann mit den Farben. Die Verpackungen waren zu grell, die Aktionsschilder zu eindringlich, sie stachen mir in die Augen, sie taten mir weh. Die Farben und Formen prasselten auf mich ein, ohne dass es möglich war, sie zu verarbeiten. Kurz noch hoffte ich, dass sich das wieder legen, dass mein Kreislauf sich fangen, dass ich mich wieder in die Masse der einkaufenden Menschen einfädeln könnte. Dann merkte ich, wie sich mein Gesichtsfeld verkleinerte und die Töne von weit weg herkamen. Ich war dabei, mein Bewusstsein zu verlieren. Hastig bewegte ich mich auf den Ausgang zu und stiess, wie durch ein Wunder, auf eine Sitzbank. Ich legte mich hin, und mir wurde schwarz vor Augen.

Ein fremd gewordener Körper

Das war der Anfang meiner Post-Covid-Erkrankung. Es war der Anfang einer fast einjährigen Krankheitszeit, die mich völlig unerwartet aus meinem vollen Leben riss. Ich lebte von einem Tag auf den anderen in einem Körper, der mir fremd war, auf den ich mich nicht mehr verlassen konnte, der ohne Vorwarnung Schmerzen und schauerliche Zustände hervorrief. Und ich wurde von einem Gesundheitssystem betreut, das wenig zu wissen schien, wie es mit diesem ausser Rand und Band geratenen Körper umgehen sollte. Während der schlimmsten Phase meiner Erkrankung war ich ans Bett gebunden und konnte mich ohne Rollstuhl hundert Meter pro Tag bewegen. Sprechen konnte ich zehn Minuten lang, gefolgt von fünfzehn Minuten Pause, geregelt durch einen Wecker, der ständig neu gestellt werden musste, damit die Erschöpfung nicht überhandnahm. Die Grundfunktionen meines Lebens, an die ich in der Regel keinen Gedanken verschwendete, Verdauung, Schlaf und Atmung, waren kapriziös und störungsanfällig. Ich schnappte tagelang nach Luft, nie schien genügend Sauerstoff in meine Lungen zu fliessen. Nachts lag ich wach und wusste nicht, was ich mit diesem Knoten aus Schmerz, Unbehagen und Entfremdung, der nun mein Körper war, anfangen sollte. Alles war völlig aus dem Lot. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich das je wieder ändern konnte.

Die gute Nachricht vorweg: Ich bin wieder ganz gesund. Das zu schreiben, ist mir wichtig, weil ich an die Menschen denke, die gegenwärtig mit Post-Covid kämpfen. Als ich krank war, machte es für mich jeden Unterschied, Geschichten von Menschen zu hören, die aus einem so verstörenden Zustand in ihr Leben zurückfanden. Zeitweise war es unvorstellbar, wie sich dieser gänzlich aus dem Tritt geratene Körper wieder anders anfühlen, wie er sich je wieder selbstverständlich in der Welt bewegen sollte. Deshalb war es entscheidend, Genesungsgeschichten zu hören. Mehr noch: Sie wurden Teil meiner eigenen Genesung.

Gleichzeitig weiss ich, wie heikel es ist, darüber zu schreiben, dass ich nach einer schweren Post-Covid-Erkrankung gesund wurde. Viele Erkrankte erholen sich nur langsam und nicht immer ganz. Einige bleiben schwer krank. Sie kämpfen um die grundlegendsten Dinge, um die soziale, politische und medizinische Anerkennung ihrer Erkrankung, um Abklärungsverfahren der Invalidenversicherung (IV), die auf ihren Krankheitszustand Rücksicht nehmen und dadurch überhaupt durchführbar sind für sie, um kompetente Gutachter:innen und faire Zusprachen von IV-Renten, um dringliche Unterstützung im Alltag, etwa wenn erkrankte Menschen mit Kindern zusammenleben. Und sie kämpfen um ein basales Verständnis gegenüber einer Krankheit, die wir nur ansatzweise verstehen. Deswegen schreibe ich diesen Text. Ich möchte aus meiner Perspektive erzählen, wie es sich anfühlte, an Post-Covid erkrankt zu sein. Ich tue dies, weil wir neben den medizinischen Berichten und den medialen Reportagen, die zumeist mit einem Aussenblick auf die Betroffenen schauen, auch Innenperspektiven brauchen, Bilder und Worte, die beschreiben, wie sich diese Krankheit anfühlt. Solche Geschichten, davon bin ich überzeugt, sind ein wichtiger Bestandteil des Wissensgeflechts, das wir als Gesellschaft gerade herstellen, um ein gemeinsames und ansatzweise geteiltes Verständnis von Post-Covid zu erlangen.

Denn erst ein solches, komplexeres Verständnis von Post-Covid ermöglicht es, von den einfachen Urteilen wegzukommen, denen Betroffene oft ausgesetzt sind. Es ist brutal, einer an Post-Covid erkrankten Person zu sagen, sie solle wieder gesund werden, wie dies anderen auch gelang. Und es ist ebenso brutal, ihr zu sagen, sie werde wohl nie wieder gesund, dafür gebe es genügend Beispiele.

Als ich krank wurde, tat ich, was die meisten tun: Ich suchte im Internet nach Informationen. Bald stiess ich auf einen damals neuen Bericht auf der SRF-Website, der den Titel trägt: «Wer nach sechs Monaten noch Symptome hat, erholt sich nicht». Dieser Titel vereinfacht den medizinischen Zusammenhang zwischen den Heilungschancen und der Krankheitsdauer von Post-Covid auf unzulässige Weise. Das bedeutet für eine gesunde Leserin, dass sie eine ungenaue Information erhält, für eine kranke Person heisst es, dass sie mit einer schwindelerregenden Prophezeiung konfrontiert wird, die ihr eigenes Leben betrifft.

Im Bericht selbst wird die Aussage vorsichtiger formuliert, und ich fand bald heraus, dass sie in dieser Form falsch war. Aber der Titel und das Urteil, das er verkündet, verfolgten mich. Die Vorstellung, nach dem Übertreten einer Sechsmonatsmarke unwiederbringlich auf eine andere Seite zu gelangen, auf die Seite derjenigen, die sich nie mehr erholen würden, schwebte in schwierigen Momenten wie ein Damoklesschwert über mir. Obwohl ich mir als Wissenschaftlerin Zugang zu einem fundierten Wissen über diese Krankheit verschaffen konnte, machte mich mein Zustand verletzbar für solche Simplifizierungen. Und das ist der entscheidende Punkt: Der Titel wurde ohne Kenntnis oder Berücksichtigung der Situation von erkrankten Menschen gesetzt. Das aber ist die Arbeit, vor der wir stehen, wenn wir als Gesellschaft mit Post-Covid leben. Es bedeutet zu lernen, auch aus der Sicht von Betroffenen zu denken, zu sehen und zu fühlen.

Der Brustkasten brach ein

Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Vergleich mit einer anderen vielschichtigen Krankheit, mit der wir schon lange leben: Krebs. Wir alle kennen Geschichten von Menschen, die nach einer Krebserkrankung wieder gesund wurden, von solchen, die lange Jahre mit unterschiedlichen Symptomen und Einschränkungen leben, und wiederum von anderen, die innert Kürze an dieser Krankheit gestorben sind. Es gibt ein gesellschaftlich geteiltes Wissen darüber, dass eine Krebserkrankung in viele Richtungen führen kann. Ist es möglich, einen vergleichbaren Denkhorizont auch für Post-Covid auszurollen? Gelingt es uns als Gesellschaft, die grosse Spannbreite von Auswirkungen kennen und anerkennen zu lernen, die diese Krankheit auf das Leben von Menschen haben kann, ohne sie auf einen einzigen möglichen Verlauf zu reduzieren?

Das ist nicht zuletzt darum wichtig, weil betroffene Menschen andere Probleme haben, als sich mit den engstirnigen Post-Covid-Vorstellungen ihres Umfelds herumzuschlagen. Das führt mich zurück zu meinem Anliegen, in diesem Text aus einer Innenperspektive von Post-Covid zu erzählen. Nach meinem Zusammenbruch in der Migros lag ich mehrere Tage mit Halsweh und Schüttelfrost im Bett. Als es mir besser ging, packte ich frühmorgens meinen Rucksack und machte mich auf den Weg ins Büro. Die Strassen sahen aus wie immer, das Licht fiel in vertrauter Weise auf die Häuser und Strassen. Ich stieg in einen Bus und setzte mich hin. Aber etwas war nicht wie sonst. Erst dachte ich, es sei die Schwäche, die mir noch in den Gliedern steckte. Dann merkte ich, dass die Stimmen der Menschen schrill klangen. Die Farben ihrer Kleider schmerzten meine Augen. Die schwankenden Bewegungen des fahrenden Busses fühlten sich unerträglich an. Nach zwei Stationen stieg ich aus. Ich hätte die Fahrt bis zu meinem Arbeitsort nicht durchgehalten. Die Welt war zu viel für mich: Sie prasselte auf mich ein, ohne dass ich die Sinneswahrnehmungen einordnen konnte. Die Töne, Farben und Gerüche von Situationen, die früher vollkommen alltäglich waren, überwältigten mich. Ich wollte nach Hause. Und dann geschah wieder etwas, was ich nie zuvor erlebt hatte. Mein Brustkasten brach ein, er sackte so zusammen, dass ich einknickte und kaum mehr zu gehen fähig war. Meine Bewegungen verlangsamten sich. Es fühlte sich an, als müsste ich durch eine bleischwere Flüssigkeit waten. Ich versuchte, ein Bild zu formen, das mir helfen würde zu verstehen, was mit mir geschah.

Ich erinnerte mich an eine medizinische Schautafel des menschlichen Körpers. In die Umrisse des Körpers waren die Nervenbahnen mit all ihren Verästelungen eingezeichnet. Sie bildeten ein dreidimensionales Geflecht, das den Körper durchzog. Dieses Bild war hilfreich. Denn es fühlte sich an, als wäre ein metallener Absatz auf der Höhe meiner Brust mit voller Wucht in dieses Geflecht getreten und hätte es eingerissen. Als wäre ein tragendes Gerüst meines Körpers, von dem ich bis zu seinem Einsturz nichts gewusst hatte, in sich zusammengebrochen. Mir fiel auch ein, wie ich als Kind in eine gefrorene Pfütze trat. Mein Brustkorb war wie die gläserne Eisdecke damals, die unter meinem Schuh in tausend Stücke zersplitterte. Unendlich langsam schleppte ich mich die zwei Bushaltestellen nach Hause, von aussen eine Person, die sich ohne erkennbaren Grund im Zeitlupentempo bewegte, von innen ein Mensch, dessen Oberkörper ein zertretenes Geflecht, eine zerborstene Eisdecke war. Das Auseinanderklaffen zwischen Aussen und Innen und die Schwierigkeit, Worte für das zu finden, was ich erlebte, begleitete mich fortan pausenlos.

Dass ich das Bild des Nervensystems zu Hilfe nahm, um meinen Zustand zu erfassen, war kein Zufall. Die medizinische Forschung geht davon aus, dass von den über 200 Post-Covid-Symptomen, die gemäss WHO beschrieben wurden, viele auf eine Störung des Immun- und des Nervensystems zurückgehen. Mir drängt sich dieser Zusammenhang auch aus einem anderen Grund auf. Noch nie hatte ich erlebt, dass Farben oder Töne unaushaltbar auf mich einprasseln. Ich kannte aber die Erfahrung, dass ich in bestimmten Situationen das Bewusstsein verlor, etwa bei einer Impfung. Eine Ärztin erklärte mir einmal, dass mein Vagusnerv empfindlich auf Stress reagieren würde. Es gebe keine Möglichkeit, meinte sie, diese Reaktion willentlich zu kontrollieren. Ich solle stattdessen einen pragmatischen Umgang mit meiner Sensibilität finden. Seither lege ich mich bei Impfungen oder Blutentnahmen auf die Liege und komme gut damit über die Runden. Offensichtlich reagierte mein Nervensystem nun auf gewöhnliche Situationen (wie Busfahren oder Einkaufen) so wie früher auf aussergewöhnliche. Beim Versuch, einen Begriff für das zu finden, was ich erlebte, fiel mir ein Wort ein, das passender schien als Long- oder Post-Covid: Neurocovid. Die unglückliche Verhakung des Virus mit dem Nervensystem.

Kostbare Zeit verrann

Damit reagierte ich auch auf einen schwer verständlichen Umgang des Gesundheitssystems mit meiner Zeit: Ich wusste schon sehr bald nach meiner Covid-19-Infektion, dass mit meinem Körper etwas Grundsätzliches nicht mehr stimmte. Nachdem ich einige Wochen lang immer wieder von unbekannten und verstörenden Symptomen heimgesucht worden war, meldete ich mich deshalb für die Long-Covid-Sprechstunde an. Aber man beschied mir, ich sei zu früh dran. Ich musste mich mehrere Monate lang in die allgemeinärztliche Praxis oder auf den Notfall begeben, wo man mir jeweils sagte, ich würde in die Hände von Spezialist:innen gehören. Erst nach dreieinhalb Monaten, als ich bereits weitgehend immobil war, erhielt ich den ersehnten Termin. Dieses Hingehaltenwerden, während kostbare Zeit verrann, brachte mich auf Kriegsfuss mit den Vorsilben «Long-» und «Post-». Darum diagnostizierte ich mir selbst Neurocovid: Mein Nervensystem war durch das Virus entgleist.

Neben dem Umgang mit meinem zunehmend eingeschränkten Körper bestand eine Herausforderung darin, das Fachwissen über Post-Covid kennenzulernen und es in Verbindung zu bringen mit dem, was ich erlebte. Die kurzen Momente, die ich ohne Kopfweh am Computer verbringen konnte, nutzte ich dafür, mich über die Krankheit zu informieren. Ich lernte Begriffe wie «PEM – Post Exertional Malaise», «Crash», «Pacing» oder «Fatigue» kennen und versuchte, sie in ein Verhältnis zu meinen Erlebnissen zu setzen. Die Eindringlichkeit der Krankheitserfahrung weckte mein Bedürfnis, präzise Beschreibungen zu finden für Zustände, für die es erst einmal keine Worte gab. Eigene Begriffe wie «Neurocovid» (der, wie ich beim Schreiben dieses Artikels herausfinde, auch im medizinischen Kontext Verwendung findet) und Bilder wie die zerborstene Eisdecke halfen mir, meine Erlebnisse in eine Sprache zu fassen, die für mich Sinn ergab. Wie aber liess sich das in ein medizinisches Vokabular übersetzen? Eine Zeit lang dachte ich, die Wahrnehmung eines eingebrochenen Brustkorbs würde zu jedem «Crash» gehören. Erst nach und nach merkte ich, dass ich meine eigene, sehr spezifische Erfahrung von PEM machte, sowohl was die körperliche Wahrnehmung betraf als auch die Assoziationen, die sich damit verbanden.

Oft war mir nicht klar, ob die Worte, die mein Gegenüber und ich in einem Gespräch verwendeten, auf einem annähernd gemeinsamen Verständnis beruhten. Konnte sich die Ärztin, die mit mir über PEM sprach, vorstellen, dass sich mein Brustkorb wie das Eis einer gefrorenen Pfütze anfühlte, das in tausend Stücke zerborsten war? Oder dass sich, als in einem Café ein Löffel an eine Tasse schlug, dieses Geräusch wie ein Dolch mitten durch meinen Kopf bohrte? Sollte ich ihr erzählen, dass ich nicht geschlafen hatte, weil eine kugelige Walze im Innern meines Rumpfs über meine Eingeweide donnerte, hin und her, die ganze Nacht? Ergab es Sinn, meine Schilderungen möglichst genau an meinen Erfahrungen auszurichten? Oder sollte ich bei der Sprache der Ärzt:innen bleiben und schlicht sagen, ich hätte einen Crash gehabt und sei erschöpft? Die Perspektive, die die gesunde Aussenwelt an mich legte, und diejenige, die mein kranker Körper vorgab, divergierten so stark, dass ich oft nicht wusste, ob sie ineinander übersetzbar waren. Das machte mich manchmal unerträglich einsam.

Die Bäume blieben, wo sie waren

Was half mir in dieser Zeit? Die Freund:innen, die zu meinen Kindern schauten, für mich kochten, meine Verzweiflung teilten, mir Fotos aus ihrem Leben schickten, um eine Verbindung zur Welt aufrechtzuerhalten, und all die Arbeiten übernahmen, die im Fahrwasser meiner Krankheit liegen blieben oder erst entstanden waren. Aber auch die Pflegerin, die mich in den Flur führte, um mir die Aussicht vom Inselspital auf die Alpen zu zeigen. Der Arzt an meinem Spitalbett, der mir sagte: «Es braucht viel Zeit, aber das kommt wieder.» Die Treppe in der Klinik, vor der ich viele Tage lang mutlos stand, bevor ich sie hochstieg, Tritt für Tritt. Die anderen Patient:innen in der Reha, mit denen ich langsam wieder zu einem sozialen Wesen wurde. Die Physiotherapeutin, die mir Boxen beibrachte. Die Bäume, die blieben, wo sie waren, als alles sonst ins Schlittern kam. Und die Ruhe, die mich umgab, wenn ich mich unter sie setzte.

Wir leben mit Post-Covid. Wir tun es als Individuen mit Geschichten wie der meinen. Und wir tun es als Gesellschaft, die Wege finden muss, mit diesem Phänomen umzugehen. Dazu gehört, dass die Krankheit und ihre Folgen weiter erforscht werden, dass Hausärzt:innen mit dieser Krankheit vertraut gemacht werden, dass sich spezialisierte Ärzt:innen, Pflegefachleute, Physio-, Psycho- und Ergotherapeut:innen um die Erkrankten kümmern, dass es faire und machbare IV-Verfahren und berufliche Wiedereingliederungsprogramme gibt. Es gehört dazu, dass soziale Netzwerke um die Betroffenen herum geknüpft werden, damit diese nicht isoliert bleiben, sondern gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung erhalten. In der ersten Zeit einer Erkrankung, wenn die Welt auseinanderzubrechen scheint. Und bei chronischen Verläufen, wenn sich ein ganzes Umfeld auf langfristige Veränderungen einstellen muss.

Für den Übergang in ein Leben mit Post-Covid, das von der ganzen Gesellschaft getragen wird, kommen wir alle nicht darum herum, in ein Verhältnis zu dieser Erkrankung zu treten. Wenn sie mehr sein soll als ein Schicksal, das hoffentlich immer nur die anderen ereilt, benötigen wir Bilder, Vorstellungen und Worte für diese neue Krankheit. Die gibt es aber noch kaum. Wir müssen sie erst erschaffen. Dabei verlassen wir uns mit Vorteil auch auf das Wissen und die Erfahrungen derjenigen, die auf intimste Weise mit ihr leben oder gelebt haben.

Patricia Purtschert ist Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Bern.