Beschleunigte Asylverfahren: Lücken im System

Nr. 8 –

Der Verein Pikett Asyl hat abgewiesene Asylsuchende zu ihren Rechtsvertretungen befragt – und festgestellt, dass vielen das Vertrauen fehlt.

In den Bundesasylzentren können sich Asylsuchende von einer behördenunabhängigen Stelle gratis rechtlich beraten und vertreten lassen – das sieht das Asylgesetz vor. Dieser Rechtsschutz ist vertraglich zwischen dem Staatssekretariat für Migration (SEM) und Leistungserbringern – meist Hilfswerken wie das Heks oder die Caritas – geregelt. Der Anspruch darauf endet im Fall eines negativen Asylbescheids, sofern die Rechtsvertretung keine Beschwerde dagegen einlegt.

Der Verein Pikett Asyl berät abgewiesene Asylsuchende in den Regionen Nordwestschweiz und Zürich, die den negativen Asylentscheid vor Gericht anfechten wollen. Und hat solche nun erstmals ausführlich dazu befragt, wie sie die ihnen zugewiesene Rechtsvertretung erlebt haben.

Räumlich zu nahe

Die Ergebnisse der Umfragen sind in einem 36-seitigen Fachbericht festgehalten – und sie fallen, so Pikett Asyl, «besorgniserregend» aus: Über die Hälfte der 69 Befragten gab an, sie hätten wenig oder kein Vertrauen in ihre Rechtsvertretung gehabt. 22 Prozent bezeichneten ihre Haltung gegenüber ihren Rechtsvertreter:innen als neutral, 24 Prozent gaben an, ihrer Rechtsvertretung eher oder sehr vertraut zu haben. Knapp 40 Prozent berichteten von häufig wechselnden, über 60 Prozent von schwer zu erreichenden Rechtsberater:innen.

Das mangelnde Vertrauen zeigt sich etwa in einer gefühlten Nähe zwischen SEM und Rechtsberatung: «Wir denken, dass die Rechtsvertretung mit dem SEM zusammenarbeitet. Sie war nett, aber sie vertritt die Entscheide des SEM mehr als das Interesse der Asylsuchenden», so eine der befragten Personen. Dieser Eindruck entstehe auch durch die fehlende räumliche Trennung, meint Pikett Asyl. In manchen Bundesasylzentren liegen zwischen dem SEM und der Rechtsvertretung nur wenige Treppenstufen. Die Unabhängigkeit der Rechtsvertreter:innen sei so nur schwer wahrnehmbar.

Pikett Asyl befürchtet, dass das mangelnde Vertrauen Asylsuchende daran hindern könnte, auch über sexualisierte Gewalt oder ihre sexuelle Orientierung zu sprechen – was für das Verfahren zentral wäre.

Das SEM sieht das anders. «Die Tatsache, dass alle Akteure unter einem Dach vereint sind, erleichtert den direkten Kontakt zwischen den Asylsuchenden und der Rechtsvertretung im Rahmen des beschleunigten Verfahrens», sagt Mediensprecherin Magdalena Rast. Das sei «ganz im Interesse der Asylsuchenden». Zum mangelnden Vertrauen der Asylsuchenden in ihre Vertretung sagt Rast, dieses könne nicht dem SEM zugeschrieben werden.

Einer der vom SEM mandatierten Leistungserbringer ist die Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not (RBS). Auf Anfrage sagt der fachverantwortliche Jurist Thierry Büttiker: «Wenn ein Teil der Personen, die von uns vertreten wurde, kein Vertrauen zu uns aufbauen konnte, bedauern wir das sehr.» Allerdings handle es sich bei den von Pikett Asyl befragten Personen nur zu einem sehr kleinen Teil um von der RBS vertretene Personen.

Systematischer Einbezug notwendig

Auch die RBS hat Asylsuchende befragt. Sämtliche Befragten hätten mit der Zeit grösseres Vertrauen zur RBS aufbauen können, sagt Büttiker. «Keine einzige Person äusserte sich dahingehend, dass sie den Eindruck habe, unsere Organisation stehe stärker aufseiten des SEM als auf ihrer.» Dort, wo SEM und Rechtsschutz im selben Gebäude tätig seien, werde derzeit diskutiert, ob Klient:innen zusätzliche Hilfestellungen benötigten, um die RBS und ihre Rolle klar erkennen zu können.

Sowohl das SEM als auch die RBS kritisieren die Anlage der Befragung von Pikett Asyl: Der Zeitpunkt der Befragung – jeweils kurz nach Erhalt des negativen Asylentscheids – und der Umstand, dass nur Asylsuchende befragt worden seien, deren zugewiesene Rechtsvertretung das Mandat niedergelegt habe, würden die Ergebnisse des Fachberichts verzerren, sagt Büttiker dazu.

Auch Dieter Wüthrich, Mediensprecher des Heks, das in der Asylregion Nordwestschweiz noch bis im Februar (ab März übernimmt die RBS) die Rechtsberatungen durchführt, verweist darauf, dass die Rückmeldungen, die sie von Schutzsuchenden erhielten, in der Regel weit positiver ausfallen würden. Gerade diese Diskrepanz zur Befragung von Pikett Asyl zeige aber auf, dass ein systematischer Einbezug der Sicht der Betroffenen notwendig sei, sagt Wüthrich. Sowohl das Heks als auch die RBS sind sich einig: Diese Perspektive müsse berücksichtigt werden, wenn es darum gehe, die Qualität des Rechtsschutzes im beschleunigten Verfahren zu erheben.

Tatsächlich tun weitere Untersuchungen not. Pikett Asyl räumt im Fachbericht ein, dass der Kontext der Befragung die Ergebnisse beeinflusst haben dürfte. Während die RBS bekräftigt, dass alle Gesuchstellenden auch nach Erhalt eines negativen Entscheids «Zugang zu unserem geschulten Beratungsteam» hätten, verweist der Bericht des Vereins darauf, dass viele Asylsuchende weitergehende Unterstützung benötigen – und die behördlichen Anlaufstellen Lücken hinterlassen. «Es ist eine schwierige Lebenssituation, in der sich die Menschen befinden, nachdem sie einen negativen Entscheid erhalten haben», sagt Koleiterin Lara Hoeft. «Es braucht eine umfassende externe Evaluation des beschleunigten Asylverfahrens unter Einbezug der Sicht Asylsuchender.»