Kanton Freiburg: 2000 Franken für ein Grundrecht
Wer in Freiburg demonstrieren will, muss tief in die Tasche greifen: Seit Jahren stellen Stadt und Kanton Organisator:innen Polizeieinsätze in Rechnung. Eine Verletzung des Demonstrationsrechts, findet ein linkes Bündnis – und wehrt sich.

Statt zur Demo wird zum «Spaziergang» aufgerufen: ein klassisches Manöver bei unbewilligten Demonstrationen. So auch am Dienstag in Fribourg. Die List funktioniert: Die wenigen anwesenden Polizeibeamt:innen halten sich im Hintergrund, während in der Dämmerung rund sechzig Menschen vor dem Rathaus in der Altstadt zusammenkommen, um sich zum «Spaziergang für das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit» zu treffen. Unter ihnen sind Aktivist:innen, Mitglieder von Parteien und Gewerkschafter:innen. Kurz nach 18.15 Uhr marschieren sie los und fordern lautstark, genau das tun zu dürfen, was eigentlich ihr Recht ist – und zwar kostenlos.
Ein Ancien Régime
Im Kanton Freiburg wird nicht besonders häufig demonstriert. Oft waren es die Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahren Demos organisierten und sich um die damit verbundene Bürokratie kümmerten. Diesen Dienst übernahmen sie manchmal auch für kleine Kollektive, die die Mittel dazu nicht hatten, erzählt Guy Zurkinden, Freiburger Journalist und Aktivist. Er engagiert sich seit fast zwanzig Jahren für verschiedene Anliegen, etwa für die Rechte von Sans-Papiers oder auch im Kollektiv Palästina-Solidarität. Dieses organisierte in den vergangenen anderthalb Jahren mehrere Demonstrationen – ohne offizielle Unterstützung der Gewerkschaften. So mussten die Aktivist:innen feststellen, wie teuer Demonstrieren in Freiburg ist.
1380 Franken stellte die Kantonspolizei dem Kollektiv für eine Demo im November 2023 in Rechnung, 549.25 Franken die Ortspolizei. Die Kosten wurden mit den im Einsatz stehenden Beamt:innen begründet, die während des Umzugs durch die Stadt etwa den Verkehr regelten. Knapp 2000 Franken sollte das Kollektiv also dafür zahlen, seine demokratischen Grundrechte wahrzunehmen. Das konnte und wollte es nicht hinnehmen. Zum einen hatten die Mitglieder die nötigen Mittel nicht, zum anderen ging es ihnen ums Prinzip: «Wenn du nur demonstrieren kannst, wenn du das nötige Geld hast, dann ist das keine richtige Demokratie, sondern Ancien Régime», sagt Guy Zurkinden.
Die Mitglieder des Kollektivs legten gegen beide Rechnungen Rekurs ein und suchten Verbündete, um sich auch auf politischer Ebene zu wehren. Rasch wurden sie fündig: Nicht nur SP und Grüne, auch die Gewerkschaften, die die Polizeirechnungen bis zu diesem Zeitpunkt widerspruchslos gezahlt hatten, schlossen sich im vergangenen Mai der neu gegründeten «Koalition für das Demonstrationsrecht» an. Mit dabei waren weitere aktivistische Gruppen, darunter das feministische Streikkollektiv, gegründet anlässlich des Frauenstreiks 2019 und seither eine wichtige Instanz innerhalb der Freiburger Linken.
Die teuersten Demos der Schweiz
«Ich habe ausgerechnet, dass wir die Polizei seit unserer Gründung mit ungefähr 11 000 Franken gesponsert haben», sagt Marie Spang bei einem Treffen im Café Ancienne Gare. Die 25-Jährige ist seit 2020 Teil des feministischen Streikkollektivs. Bei den 11 000 Franken seien die Gebühren für Bewilligungen miteingerechnet, den grössten Anteil hätten sie aber für die Polizeieinsätze bezahlt. 11 000 Franken – ein stolzer Betrag für ein relativ kleines und noch junges Kollektiv. Mit dem Verkauf von Merch-Artikeln und Spenden hätten sie die Kosten in der Vergangenheit decken können, erzählt die Freiburgerin. Man habe zwar immer gefunden, dass es viel Geld sei, um ein demokratisches Recht wahrzunehmen, erinnert sich Spang. «Doch erst im Austausch mit Kollektiven aus anderen Kantonen haben wir herausgefunden, dass niemand so viel zahlt wie wir.»
Zwar wurden in den letzten Jahren in verschiedenen Kantonen, wie 2024 in Zürich, gesetzliche Verschärfungen angenommen, die etwa Kostenüberwälzungen vorsehen, wenn es im Zuge einer Demonstration zu Sachbeschädigungen oder gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Doch dass man für friedlich verlaufende Kundgebungen so hohe Beträge bezahle wie in Freiburg und damit die Polizei bei der Ausübung ihrer Aufgaben finanziere, sei schweizweit einzigartig, sagt Anita Goh, Juristin bei Amnesty International. «Unseres Wissens ist es nirgendwo so teuer, eine Demonstration zu organisieren.» Goh arbeitet derzeit an einem Bericht mit, der das Recht auf Protest in den Kantonen Bern, Basel-Stadt, Zürich, Freiburg, Genf und Waadt analysiert. Er soll im April erscheinen.
Für Goh ist klar: In Freiburg wird das Demonstrationsrecht untergraben. Das Problem seien dabei sowohl die Gesetze wie auch deren Auslegung durch die Behörden. So sei im Gesetz über die Kantonspolizei etwa von «kulturellen Veranstaltungen» die Rede, ohne dass klar sei, was darunter genau zu verstehen sei. Tatsächlich werden politische Demonstrationen im Westschweizer Kanton heute grundsätzlich gleich behandelt wie etwa Kultur- oder Sportveranstaltungen. Anders als ein Marathon sei eine politische Demonstration aber durch die Verfassung sowie über internationale Verträge geschützt, betont Goh. «Die Behörden sind verpflichtet, alles dafür zu tun, dass friedliche Demonstrationen stattfinden können. Sobald sie Hindernisse errichten, beispielsweise finanzielle, verstossen sie gegen diese Verpflichtung.»
Seit wann einem in Freiburg für das Demonstrieren hohe Kosten auferlegt werden, scheinen zumindest die, die sie bisher bezahlten, nicht zu wissen. Der Freiburger Gewerkschaftsbund schreibt auf Anfrage: «Die Polizeikosten wurden seit je von den Organisator:innen übernommen und waren immer hoch.» Man wisse aber nie genau, wie hoch die Rechnung ausfallen werde. Die Kosten variierten von Jahr zu Jahr, je nach Anlass und je nachdem, wer diese organisiere. Letzteres bestätigt auch die Unia Freiburg, deren Verantwortlicher schreibt, er könne keine Logik hinter den variierenden Höhen der Rechnungen erkennen. «Kleinere Organisationen zahlen manchmal mehr als wir.»
Die Ortspolizei antwortet auf Anfrage, das stimme nicht, es würden alle gleich behandelt. Die Kantonspolizei schreibt, ihr sei nie ein Verdacht auf Doppelstandards oder eine willkürliche Abrechnung von Polizeikosten gemeldet worden. Sie fordert Betroffene auf, sich bei Unverständnis bei der Kantonspolizei zu melden.
Bereits ein Etappensieg
Dass ausgerechnet der Kanton Freiburg das Demonstrationsrecht so restriktiv handhabe, sei kein Zufall, meint Marie Spang. Die Historikerin hat sich mit der Geschichte von Demonstrationen im Kanton beschäftigt, insbesondere mit der feministischen Mobilisierung seit den siebziger Jahren. «Der Kanton ist katholisch und konservativ geprägt», sagt Spang. Die historische Allianz zwischen Kirche, Staat und Teilen der Zivilgesellschaft wirke bis heute. Gleichzeitig gebe es kaum eine Tradition der Arbeitskämpfe. «Der Frauenstreik 2019 war mit 12 000 Teilnehmenden die grösste Mobilisierung in der Geschichte des Kantons», so Spang.
Vielleicht wird sich das in Zukunft ändern, sollten die Hürden zur Organisation von Demonstrationen fallen. So ist etwa eine Motion der Grossräte Alexandre Berset (Grüne) und Grégoire Kubski (SP) hängig, die vorschlägt, mit einer Gesetzesänderung künftig politische Demonstrationen von Polizeikosten für Ordnungs- und Schutzdienst zu befreien. Die «Koalition für das Demonstrationsrecht» konnte derweil bereits einen Etappensieg verbuchen: Im vergangenen November gab das Oberamt des Saanebezirks dem Rekurs des Kollektivs Palästina-Solidarität statt und annullierte die Rechnungsstellung der Ortspolizei, unter anderem mit der Begründung, die hohen Polizeikosten stellten eine Einschränkung der in der Bundesverfassung garantierten Grundrechte dar.
Auch die Tatsache, dass politische Demonstrationen gleich behandelt werden wie andere Veranstaltungen, kritisierte das Oberamt. Die Ortspolizei hat bereits bekannt gegeben, sich daran zu halten und künftig für die Verkehrsregelung keine Rechnungen mehr zu stellen. Noch hängig ist der Rekurs gegen die Rechnung der Kantonspolizei, die aktuell beim Kantonsgericht liegt. Notfalls werde man bis vor Bundesgericht gehen, sagt Guy Zurkinden von der Koalition.
Nachtrag vom 12. Juni 2025: Strasse frei im Kanton Freiburg
1380 Franken: Diesen Betrag stellte die Kantonspolizei Freiburg dem Kollektiv Palästina-Solidarität dafür in Rechnung, dass es im November 2023 eine Demonstration in der Innenstadt von Fribourg organisiert hatte. Es handelte sich dabei nicht etwa um eine Kundgebung, bei der es zu Sachbeschädigungen gekommen wäre, sondern um einen friedlichen, bewilligten Umzug.
Und es war auch nicht die einzige Rechnung, die das Kollektiv erhielt; auch die Ortspolizei forderte 550 Franken. Hintergrund dieser Rechnungsstellungen ist eine schweizweite Besonderheit, die im Westschweizer Kanton bisher gängige Praxis war: Wer in Freiburg demonstrieren wollte, zahlte dabei anfallende Kosten wie etwa Stundenlöhne der im Einsatz stehenden Beamt:innen.
Die Rechnungen konnten und wollten die Mitglieder des kleinen Kollektivs nicht zahlen. Sie schlossen sich mit anderen aktivistischen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften zur «Koalition für das Demonstrationsrecht» zusammen und reichten Rekurs gegen die Verfügungen ein.
Nachdem das Oberamt des Saanebezirks im vergangenen November bereits die Rechnung der Ortspolizei annulliert hatte, entschied nun vor kurzem auch das Freiburger Kantonsgericht: Die Erhebung hoher Polizeikosten stelle eine ungerechtfertigte Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar. Das Gericht folgt damit der Argumentation nicht nur der Beschwerdeführer:innen, sondern auch der NGO Amnesty International, die die Praxis der Freiburger Behörden bereits mehrfach kritisiert hatte.
Die Koalition für das Demonstrationsrecht feiert das Urteil des Kantonsgerichts als historischen Sieg und fordert in einer Mitteilung den Gesetzgeber auf, seine systematischen Praktiken zur Behinderung des Demonstrationsrechts zu beenden und die Rechtsgrundlage anzupassen. Eine entsprechende Motion wurde im Frühjahr im Kantonsparlament eingereicht. Weiter fordert die Koalition, dass Freiburgs schwerfälliges Bewilligungsverfahren für politische Demonstrationen durch ein einfaches Meldeverfahren zu ersetzen sei.