Repression in Basel: Ein Kessel ist kein Kessel
Der Einsatz der Basler Polizei am feministischen Kampftag 2023 machte international Schlagzeilen. Aktivist:innen kämpfen nun vor Gericht dafür, dass er als unrechtmässig anerkannt wird – mit Rückenwind aus Strassburg.

Es ist schon Abend, als sich am 8. März 2023 in den Strassen Basels eine gewaltbereite Menschengruppe bildet. Ihre Mitglieder tragen blaue Uniformen. Kurz nach 20 Uhr beginnen die Polizist:innen mit ihrem Einsatz gegen die friedlichen feministischen Demonstrant:innen. Sie kesseln über 200 Personen stundenlang ein, beschiessen sie aus nächster Nähe mit Gummischrot und prügeln auf sie ein.
Der Einsatz trat eine Welle der Empörung los. Sogar deutsche Medien berichteten. Basler SP und Grüne forderten den Rücktritt des damaligen Polizeikommandanten Martin Roth. Die Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) kam aber immer wieder zum Schluss, der Einsatz sei rechtens gewesen.
Anders sehen das die drei Aktivist:innen, die zwei Jahre später vor der Basler Kaserne sitzen. Gemeinsam mit achtzehn weiteren Personen haben sie im Nachgang des Einsatzes Beschwerde eingereicht. Die Gerichte sollen feststellen, dass der Einsatz rechtswidrig gewesen sei. «Damit solche Gewalt nicht mehr vorkommt», sagt Lou Maurer*. «Wir wollten das einfach nicht mehr auf uns sitzen lassen: Zu dieser Zeit war es klar, dass wir, immer wenn wir demonstrieren gehen, niedergeschrotet und eingekesselt werden.» Es gehe darum zu zeigen, dass man sich dagegen wehren könne – auf der Strasse, aber auch vor Gericht. «Die Polizei will uns spalten; dieser Vereinzelung wollen wir auch durch den gemeinsamen Rekurs eine kollektive Kraft entgegensetzen.»
Bekanntes Sexismusproblem
Die Basler Polizei ging in jenen Monaten mehrmals hart gegen linke Demonstrationen vor. Schon am feministischen Streik 2022 kesselte sie Demonstrant:innen ein, ebenso wie Teile des bewilligten Umzugs am 1. Mai 2023. Seither hat sich die Situation etwas entspannt. In den vergangenen zwei Jahren zeigte sich die Polizei, wie auch am feministischen Kampftag am vergangenen Samstag, etwas zurückhaltender.
Sie war mit sich selbst beschäftigt. Eine externe Untersuchung, die 2024 veröffentlicht wurde, stellte eklatante Missstände im Korps fest – nicht zuletzt ein Sexismusproblem. Demnach würden Frauen intern etwa «mit derber Terminologie für weibliche Geschlechtsteile» qualifiziert. Konkret heisst das gemäss Recherchen der WOZ, dass Polizistinnen von ihren Kollegen auch mal in Kategorien wie «fickbar» und «unfickbar» unterteilt wurden (siehe WOZ Nr. 26/24). Kommandant Roth wurde schliesslich doch noch entlassen.
Dieses Korps verantwortete den Einsatz gegen die feministische Demonstration 2023. Ein Fehlverhalten gesteht aber bis heute niemand ein, deshalb der Rechtsweg. Die Behörden so zur Rechenschaft zu ziehen, ist allerdings teuer. 10 000 Franken hat das Verfahren schon gekostet. Derzeit sammeln die Aktivist:innen unter dem Titel «Kesseli gegen Polizeigewalt» per Crowdfunding Geld dafür. Monate hat es schon gedauert, bis ihnen eine Verfügung zugestellt wurde, gegen die sie Beschwerde erheben konnten. Anfang Jahr gab die erste Instanz der Polizei vollumfänglich recht. Was nicht überrascht: Erste Beschwerdeinstanz ist das Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement (BJS), dem die Polizei selbst angehört.
Abenteuerliche Rechtfertigung
Den Rechtsweg weiter zu begehen, lohnt sich auch, weil der Fall generelle Fragen zur Legitimität von Einkesselungen betrifft. «Es geht um Grundsatzfragen im Umgang mit einer unbewilligten Demonstration in Basel», sagt die Rechtsanwältin Constanze Seelmann, die die Aktivist:innen vertritt. «Insbesondere darum, ob überhaupt oder ab wann die Einkesselung einer Demonstration rechtlich zulässig ist.»
2024 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diesbezüglich gleich zwei wegweisende Entscheide – einen gegen Frankreich, einen gegen die Zürcher Stadt- und die Kantonspolizei. Die Richter:innen in Strassburg urteilten in beiden Fällen, dass es für die Einkesselung von Demonstrant:innen einer konkreten gesetzlichen Grundlage bedarf. Das BJS stellt sich in seinem Entscheid nun auf den Standpunkt, dass in Basel eine solche Grundlage bestehe. Es stützt sich dabei auf den Regierungsrat, der vergangenen August verlautete, es handle sich bei Einkesselungen um Personenkontrollen gemäss Polizeigesetz. Wobei es «rechtlich keinen Unterschied» mache, «ob eine einzelne Person von drei Polizistinnen und Polizisten umstellt und kontrolliert oder ob 50 Personen von 100 Polizistinnen und Polizisten umstellt und kontrolliert werden».
Die Begründung ist abenteuerlich – eine Einkesselung geht mit stundenlangem Freiheitsentzug einher. Sollte sie vor Gericht durchfallen, müsste die Polizei vorerst von solchen Einkesselungen absehen. «Wir erhoffen uns, dass ein Gerichtsentscheid Klarheit bringt und die Meinungsäusserungs- und die Versammlungsfreiheit in Basel zukünftig besser geschützt werden», sagt Anwältin Seelmann.
Innert weniger Tage hat die Gruppe dafür bereits über 8000 Franken gesammelt. «Die queerfeministische Bewegung hat sich auch dank dieser neuen Gruppe neu vernetzt», sagt Nora Müller*, eine der Rekurrent:innen: «Die Bewegung ist wie ein Maulwurf, auf den die Behörden einschlagen und der dann immer wieder an einem neuen Ort auftaucht.» Die Kantonspolizei Basel-Stadt schreibt auf Anfrage, dass sie laufende Verfahren weder kommentieren könne noch wolle.
* Name geändert.