Feminismus: Jodeln gegen das Patriarchat

Nr. 24 –

Der feministische Streik am 14. Juni ist auch in ländlichen Regionen ein Thema. Wie organisieren sich Frauen und Queers im Rheintal, im Emmental oder in Schwyz? Und gegen welche Widerstände?

Frauen bemalen Plakate mit Parolen für den 14. Juni in Langnau
«Im Emmental steht der Diskurs über feministische Fragen noch woanders»: Vorbereitungen auf den 14. Juni in Langnau.

Extraprotest in Buchs

Schon den ganzen Morgen stecken die Organisator:innen des Streiks im st. gallischen Buchs die Köpfe bei Gähwilers im Garten zusammen. Es sind nur noch wenige Tage bis zum 14. Juni, aber für einen kleinen Extraprotest muss die Zeit dennoch reichen: Auf der Bahnhofstrasse findet gerade der «Buchser Samstig» statt – eine Veranstaltungsreihe, die das Stadtzentrum beleben soll. Das heutige Motto lautet «Hilfe naht», und nebst Feuerwehr und Samariterverein lädt auch das Militär mit einem Radpanzer die neugierigen Kinder zur Erkundungstour ein. Das passt nicht allen. In der Lokalzeitung «Werdenberger & Obertoggenburger» wurde bereits per Leser:innenbrief eine Gegenaktion angemeldet. Vier Aktivist:innen des Streikkomitees wollen ebenfalls spontan ein Zeichen setzen: Mit Peaceflagge posieren sie vor dem Panzer und den schoggiverteilenden Soldaten – und fangen sich damit ein paar giftige Blicke und Kommentare ein.

Damit können sie leben. Sie treten nicht an, um es bequem zu haben. Buchs habe eine gute Prise Feminismus dringend nötig, sagt eine der Aktivist:innen des Streikkomitees, von denen viele in der SP sind. Früher galt der Ort als roter Fleck im Rheintal, doch die einst starke Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbasis ist weggebröckelt, viele Junge hat es weggezogen, und wenn sie doch irgendwann zurückkehren, beschränkt sich ihr Aktivismus meist auf den eigenen Vorgarten. Seit 1991 hatte es in Buchs keinen Frauenstreik mehr gegeben – bis vor einem Jahr: 2023 haben Cécile Weber, Barbara und Nadja Gähwiler und Esther Rohrer den Streik wiederbelebt. Mit Erfolg: Rund vierzig Personen haben teilgenommen, darunter viele Junge. Die Demo hat es auf die Titelseite der Lokalzeitung geschafft. Seither findet in Buchs einmal im Monat ein feministischer Stammtisch statt, der mehr Sichtbarkeit, Austausch und Vernetzung schaffen will.

Geplante Aktionen

Ein historisches Ereignis jährt sich: Die Frauenstreiks von 1991, 2019 und 2023 waren die grössten Mobilisierungen in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten. Seit letztem Jahr heisst der Streik am 14. Juni offiziell nicht mehr Frauen-, sondern Feministischer Streik. Insgesamt 350 000 Menschen versammelten sich dazu in verschiedenen Städten, allein in Zürich waren es 120 000. Die geplanten Aktionen und Demonstrationen für dieses Jahr finden sich auf einer Karte auf der Website www.14juni.ch.

 

Zusammengetan hatte sich das Buchser Komitee 2023 erst zehn Tage vor dem Streik. Die Aktivist:innen improvisierten, zimmerten Schilder aus alten Schrankwänden, funktionierten einen ausrangierten Anhänger zum Kundgebungswagen mit Redepult um. Am Vorabend der Demo war die Küche bei Gähwilers bis oben voll mit violetten Ballonen. Dieses Jahr haben die Vorbereitungen schon früher begonnen, und Dorine Schruf hat das Komitee erweitert. Auch mobilisiert wird fleissig – in den sozialen Medien, per Mail und in persönlichen Gesprächen.

Im ländlichen Raum sei das schwieriger, sagt Cécile Weber. Nicht zuletzt, weil man sich hier nicht in der Masse verstecken könne. Sich deswegen aber inhaltlich zurückzunehmen, komme nicht infrage. Die Forderungen in Buchs sind die gleichen wie in den grossen Städten: Aufwertung der Arbeit von Frauen, mehr Zeit und Geld für Care-Arbeit, Respekt statt Sexismus am Arbeitsplatz. Nur die Parolen sind vielleicht etwas diplomatischer, um möglichst alle abzuholen.

Velokarawane im Emmental

Wer die Organisatorinnen des Emmentaler Frauenstreiks ohne Auto besuchen will, muss eine halbe Stunde den Berg hochwandern. Oben auf dem Balmeggberg im Napfgebiet leben drei von ihnen auf einem Permakulturhof in einer Wohngemeinschaft. Ein alternatives Projekt mitten im konservativen Emmental. An einem Tisch vor dem Bauernhaus erzählen Miriam, Julia und Stefanie – sie stehen lieber nicht mit vollem Namen in der Zeitung – wie sie, die alle noch nicht lange hier wohnen, dazu kamen, den Emmentaler Streik zu organisieren. Angefangen habe alles mit einem Besuch im Landgasthof Löwen in Trub, in den Stefanie mit ihren Kindern vor dem Räbeliechtliumzug ging. «Wir sassen gleich neben dem Stammtisch, wo natürlich nur Männer waren.» Hinten an der Wand hing ein Plakat des Films «Die Herbstzeitlosen», der in Trub gedreht wurde und davon handelt, dass Frauen den Dorfladen in eine Boutique für Dessous umwandeln. «Die Frauen im Film waren ja auch auf eine Art rebellisch», sagt Stefanie. «Und da dachte ich plötzlich, es sollte eigentlich auch einen Stammtisch für Frauen geben.»

Ihren Mitbewohnerinnen auf dem Hof gefiel die Idee, sie hatten sowieso vorgehabt, sich in der Region mehr zu engagieren. Im Januar fand der erste Frauenstammtisch im «Löwen» statt. Zehn ganz unterschiedliche Frauen seien an jenem Abend in die Beiz gekommen. Leute, die wie die drei vom Balmeggberg zugezogen waren, vielleicht auch schon in einem urbanen und linkeren Umfeld gelebt hatten, aber auch Einheimische, von denen einige von Politik nichts wissen wollten. Das sei für sie okay gewesen, meint Julia. «Der Stammtisch sollte ganz niederschwellig der Vernetzung dienen.» Schon beim zweiten Treffen sei dann trotzdem eine hitzige Diskussion entbrannt. «Eine Frau meinte, der Feminismus sei schädlich, weil er dafür sorge, dass ihre Arbeit als Hausfrau nicht mehr wertgeschätzt werde», erinnert sich Julia. Jemand habe dann erklärt, dass es gerade eine feministische Forderung sei, Care-Arbeit auch als Arbeit anzuerkennen. «Damit konnten wir sie abholen.» Es ist nur ein Beispiel dafür, dass der Diskurs über feministische Fragen im Emmental «noch woanders steht», wie Miriam es nennt. So würden etwa noch traditionellere Rollenbilder vorherrschen. Gemeinsam mit zwei Frauen aus Langnau, die sie am Stammtisch kennenlernten, beschlossen die drei, für den 14. Juni selber etwas zu organisieren, statt wie im Vorjahr nach Bern zu fahren. «In Bern macht es keinen Unterschied, ob wir zwanzig oder hundert Personen mehr sind – hier schon», meint Miriam.

Geplant ist eine Velokarawane von Trub ins 8,5 Kilometer entfernte Langnau. Um 17 Uhr startet der Umzug, für den sie Christine Lauterburg, die «Grande Dame des Avantgarde-Jodels», gewinnen konnten. Dass der Umzug keine Demo ist und das Ganze nicht Feministischer Streik, sondern Frauen*streik heisst, hat einen Grund: «Wir versuchen, anschlussfähig zu sein», sagt Miriam. Manchmal sei es ein Spagat, Leute nicht abzuschrecken und gleichzeitig die eigenen Überzeugungen nicht zu verraten, meint Julia nachdenklich. Queere Personen seien selbstverständlich willkommen. Mobilisiert haben die Organisatorinnen über Chats und per Mail, aber auch mit zahlreichen Flyern, die sie in Langnau und umliegenden Dörfern verteilten.

Der Zufall will es, dass am Wochenende in Langnau auch das kantonale Jodlerfest stattfindet. «Wir mussten der Gemeinde versichern, dass es nicht unsere Absicht sei, das Jodlerfest zu crashen, sondern dass wir einen friedlichen und kämpferischen Umzug veranstalten wollen», sagt Stefanie. Zunächst war der Ton versöhnlich, man diskutierte sogar, ob die Jodler:innen den Streikenden vielleicht die Bühne für ein paar Minuten überlassen würden. Wenige Tage vor dem Streik drehte der Wind plötzlich: Die Gemeinde lehnte das kurzfristig gestellte Gesuch ab und droht den Streikenden nun mit der Polizei.

Keine Parolen in Schwyz

Schwyz ist das, was man sich unter Swissness vorstellt: bewaldete Hügel, schmucke Kirchen, saubere Gassen, vor dem Mythen-Bergmassiv Häuser, fast so alt wie die Eidgenossenschaft. Die SVP ist wähler:innenstärkste Partei in der Kleinstadt, gefolgt von der Mitte. Feminismus kennt man, also das Wort. Viele benutzen es aber nicht so gern. Obschon auch in Schwyz einige Frauen grundsätzlich die Forderungen begrüssen, die in den grossen Städten ausgerufen werden: Lohngleichheit, bessere Renten, Kinderbetreuungsgesetze. Doch, dahinter können viele Schwyzerinnen stehen. Aber Druck aufbauen, indem man sich gegen vorherrschende Strukturen auflehnt? Zu einer Demo aufrufen?

«Da stünden wir allein auf dem Dorfplatz», sagt Katja Aldi und lacht entschuldigend. Die 35-jährige Grafikdesignerin ist im Vorstand der FDP-Frauen Kanton Schwyz und hat im Zuge eines pragmatischen Rebrandings den Frauenstreik zum «FEMtastisch»-Festival umgedeutet: Statt Reden von Parteimitgliedern und Gewerkschafterinnen gibt es dieses Jahr Musik- und Tanzbeiträge von lokalen weiblichen Kunstschaffenden sowie Marktstände, an denen Frauen aus der Gegend ihre Waren verkaufen. Hübsche Keramik statt Transparente, nette Schwätzchen statt wütende Parolen: Kann das funktionieren? «Seit 2019 sind die Forderungen dieselben geblieben. Mit einem Streik kommen wir in Schwyz aber nicht weiter», sagt Aldi. 2019 gab es auch in Schwyz Aktionen zum Streiktag. Doch vom revolutionären Geist ist, so scheint es, nicht viel übrig. Man sei hier eher konservativ, alles dauere etwas länger, meint Katja Aldi. Sie klingt dabei nicht resigniert, sondern eher wie eine, die gut Kompromisse eingehen kann.

Man sei in diesem Jahr in einem grossen Kreis zusammengesessen, sogar eine Vertreterin der SVP sei dabei gewesen, man habe sich überlegt, wie man zusammen diesen Tag begehen könne. Die Entscheidung sei einstimmig ausgefallen: Statt allein auf dem Dorfplatz zu stehen, will man den 14. Juni mit einem Fest begehen. Wie Aldi sagt: «Steter Tropfen höhlt den Stein.» Das «Thema» müsse langsam in die Köpfe der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger:innen rein, wie eine Art Grundrauschen. Um das hinzukriegen, brauche es erst einmal Sichtbarkeit für die Frauen in der Region. Die politischen Inhalte fallen dabei fast ganz weg. Nur auf der Website der Veranstaltung sind sie noch da, ganz unten, in einer übersichtlichen Chronik des Schweizer Frauenstreiks. Am Event selbst sind öffentliche politische Äusserungen nicht unbedingt erwünscht. «Das wäre eher kontraproduktiv», sagt Katja Aldi.

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von Heiko

Sa., 15.06.2024 - 10:10

Ich bin gespannt über weitere Berichterstattung der drei Orte, wie was gelaufen ist!