Bedrohte Wissenschaft: Ab sofort gilt: Unwissenheit ist Stärke
Massenentlassungen, Forschungsverbote und vorauseilender Gehorsam in Bundesbehörden und Hochschulen: In den USA wird gerade das Rad der wissenschaftlichen Erkenntnis zurückgedreht.

in Denver am 17. Februar. Foto: Mark Makela, Getty
Der neue US-Präsident Donald Trump ist keine hundert Tage im Amt und stürzt das Land bereits ins Chaos: mit einer Flut an Dekreten und einem erfundenen Ministerium, dem «Department of Government Efficiency» (DOGE). An dessen Spitze lässt er den rechtslibertären Techmilliardär Elon Musk nach Belieben schalten und walten. Die Silicon-Valley-Devise «Move fast and break things» gehört jetzt zum Regierungsprogramm. Geschwindigkeit und Ausmass, mit denen Bundesbehörden und -institutionen zerschlagen werden, sind atemberaubend. So willkürlich und menschenfeindlich das Vorgehen, so deutlich zeichnet sich ein Fokus ab: Im Visier stehen Wissenschaft und Bildung.
Ende Januar hat Musk alle rund zwei Millionen zivilen Bundesangestellten per E-Mail dazu aufgefordert, ihre Kündigung einzureichen, und ihnen eine Lohnfortzahlung bis im Herbst in Aussicht gestellt – an die 75 000 Beamt:innen haben daraufhin gekündigt. Seit Anfang Februar folgen Massenentlassungen, oft per sofort und mit dem Pauschalvorwurf mangelnder Leistung verfügt, auch wenn manche inzwischen revidiert wurden. Der Justizapparat ist angelaufen, aber träge, derweil Musk mit dem DOGE Tatsachen schafft.
Umfassende Zensur
Tausende von Wissenschaftler:innen sind in den vergangenen Wochen auf die Strasse gestellt worden, insbesondere im Gesundheitsbereich: 1200 – sechs Prozent aller Angestellten – bei der biomedizinischen Forschungsbehörde National Institutes of Health (NIH), um denselben Anteil wurde mit 750 Entlassenen die Public-Health-Behörde CDC dezimiert, über 230 waren es beim Amt für Lebensmittelsicherheit und Arzneimittelkontrolle FDA. Auch in der Umwelt- und Gesundheitsschutzbehörde EPA mussten Hunderte Wissenschaftler:innen ihren Arbeitsplatz räumen. Bei der staatlichen Förderinstitution für Grundlagenforschung NSF traf es jede:n Zehnte:n. Dem Bildungsministerium mit seinen 4200 Angestellten hat Trump gar die Schliessung angedroht, im Fall des Instituts für Erziehungsforschung will er diese mit einer Budgetkürzung von rund einer Milliarde Dollar de facto erzwingen.
Dass renommierte Fachzeitschriften wie «Nature» und «Science» von «Belagerung», «Krieg» und «Zerstörung der Wissenschaft» schreiben, hängt mit einer Serie weiterer Attacken zusammen: Bei der NSF wurden sämtliche Forschungsgelder eingefroren (gerichtlich vorübergehend aufgehoben); unzählige Websites mit wissenschaftlichen Daten mussten quer durch alle Behörden vom Netz genommen werden (manche inzwischen wieder aufgeschaltet); Forschungsprojekte wurden per Dekret gestoppt oder aufgekündigt. Letztere machen den Hauptteil der bislang vom DOGE «gesparten Ausgaben» aus, gemäss Musks «wall of receipts» auf der Plattform X jedenfalls, die gekündigte Verträge auflistet.
Die Attacken haben System – zumindest insofern, als sie Trumps zentrale Direktiven widerspiegeln, die verlangen, dass sämtliche Projekte, Programme und Forschungsresultate getilgt werden, die mit Diversität, Chancengleichheit und Inklusion (DEI) zu tun haben oder mit Klimaerhitzung und erneuerbaren Energien. Es gibt nur einen adäquaten Begriff dafür: Zensur. Die Präsidentin der American Association of Colleges and Universities, Lynn Pasquarella, spricht im «Guardian» von einem «Angriff auf die akademische Freiheit und die institutionelle Autonomie», die eine «existenzielle Bedrohung» darstelle. Und Matthew Lawrence, Experte für Wissenschaftspolitik, mutmasst gegenüber «Nature», Trump ziele darauf ab, künftig von ihm eingesetzte Bevollmächtigte statt unabhängige Expert:innengremien über die Vergabe öffentlicher Forschungsgelder entscheiden zu lassen.
Und auch wenn Donald Trumps Direktiven juristisch angefochten werden: Die Zensur schafft hauruckmässig Tatsachen. Die Wetter- und Ozeanografiebehörde und das US Global Research Program haben, seit Trump aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist, sämtliche Forschungsaktivitäten für den Weltklimarat IPCC eingestellt. Bei der EPA mussten 171 Wissenschaftler:innen per sofort ihren Arbeitsplatz verlassen, alle waren im selben Programm tätig: Es half armen Wohnquartieren, sich vor Umweltverschmutzung und den Folgen der Klimaerhitzung zu schützen. Der von Trump eingesetzte Leiter der EPA will darüber hinaus die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Treibhausgasemissionen die Gesundheit gefährden, für nichtig erklären und damit der Behörde wie den Klimaschutzgesetzen der Regierung die Basis entziehen.
Denunziationen und «Säuberungen»
Seit Trumps Amtsantritt erwachen die Menschen in den USA jeden Tag in einer neuen, dystopischen Realität. «Was heute gilt, kann morgen schon nicht mehr gelten», schreibt auf Anfrage die Schweizer Germanistin Aleksandra Prica, Professorin an der University of North Carolina at Chapel Hill. Die Verunsicherung unter Wissenschaftler:innen ist enorm. Nicht von ungefähr fühlen sich viele in die fünfziger Jahre zurückversetzt, als die von Senator Joe McCarthy angezettelte Hatz auf vermeintliche Kommunist:innen für Paranoia sorgte. In den Medien ist von «Säuberungen» die Rede, von einer drohenden «Apokalypse» für die Wissenschaft.
Im Grunde erinnert die neue, dystopische Realität vor allem an George Orwells Science-Fiction-Roman «1984» mit seiner dreifaltigen Staatsdoktrin, die im Diktum «Unwissenheit ist Stärke» gipfelt. «Big Brother» Trump wacht über alles, sein «Ministerium für Wahrheit», DOGE, sorgt für die Umdeutung von wissenschaftlichen Fakten zu Fake als neuer Wahrheit: Klimawandel gibt es nicht, ebenso wenig wie Rassismus, Sexismus, Ableismus oder soziale Benachteiligung, geschweige denn mehr als zwei Geschlechter. Kommuniziert wird über Propagandakanäle wie X und Donald Trumps Plattform Truth Social, auf denen öffentliche Hetzjagden gegen einzelne Bundesangestellte ähnlich den «Hasswochen» in Orwells Roman angezettelt werden. Während ebendiese Angestellten via E-Mail und unter Androhung von Strafe zur Denunziation von Kolleg:innen angehalten werden, die sich nicht an die «Wahrheit» halten und weiterhin den verbotenen DEI-Konzepten anhängen.
An der Basis herrschen, davon berichten viele Wissenschaftler:innen aus den Bundesbehörden, Angst und Paranoia vor einem «Überwachungsstaat», in dem Musks DOGE mithilfe künstlicher Intelligenz jede Eingabe auf der Computertastatur registriere und in Teamsitzungen hineinhorche. Sie alle wollen sich nur anonym äussern. Ihre Vorgesetzten haben ihnen einen Maulkorb verpasst. Selbst kommunizieren die Behörden zunehmend in orwellschem «Newspeak»: Man folge «der Führung der Administration» und unternehme alles, «um die breiten Anstrengungen des Präsidenten zur Umstrukturierung und Rationalisierung der Bundesverwaltung zu unterstützen», heisst es etwa von höchster Stelle aus den NIH, den CDC und der FDA.
Kein Aufmucken, nirgends
Das vielleicht Beängstigendste an den Entwicklungen seit Trumps Amtsantritt: mit welch vorauseilendem Gehorsam die Behörden sich selbst in ihrer Arbeit zensieren. Die CDC, die NSF und andere durchforsten wissenschaftliche Papers und an die 10 000 Forschungsstipendien nach Begriffen, die Trumps Direktive gegen DEI zuwiderlaufen könnten, von «Klima» über «People of Color» bis zu «Frauen» und «Gender». Die Begutachtung neuer Anträge ist eingestellt. Dasselbe Bild bei den NIH, wo ein Grossteil der Entlassenen zum wissenschaftlichen Personal gehörte, das mit der Evaluation und Vergabe von Forschungsstipendien betraut ist. Derweil stapeln sich die Gesuche, rund 60 000 sind es jedes Jahr, und sie müssen bis Ende September bearbeitet und die 47 Milliarden Forschungsgelder verteilt sein. Andernfalls verfallen sie, und es drohen juristische Konsequenzen – in den Worten eines wissenschaftlichen Begutachters in «Nature»: «We’re fucked.»
Dieser Satz trifft ebenso auf die Situation der Forschenden an den Universitäten zu. Nachdem Trump angekündigt hat, bei den NIH Milliarden an Forschungsgeldern zu kürzen, haben viele Hochschulen bereits präventiv Einstellungsstopps verfügt und ihren Institutionen den Geldhahn zugedreht. Selbst an Forschungsstätten wie dem Massachusetts Institute of Technology zirkulieren laut der Zeitschrift «Atlantic» jetzt Listen mit Begriffen, die es in Anträgen zu vermeiden gelte.
«Innere Emigration»
Aleksandra Prica findet Selbstzensur in Bezug auf das Verhalten von Universitäten «eine Untertreibung» – viele Unileitungen hätten sich schon längst auf die Seite von Trump geschlagen, auch an ihrer Universität in Chapel Hill, und Stellen gestrichen oder umfunktioniert, die mit DEI assoziiert seien, sowie den Lehrplan angepasst. Widerstand, schreibt sie, gebe es an den Unis kaum, vor allem keine Massenproteste – im Gegenteil: Man versuche, sich anzupassen, «unter dem Radar» zu bleiben. «Ein wenig fühlt sich die Situation an wie eine ‹innere Emigration›.»
Derweil sind die Gerichte vom Tempo der präsidialen Dekrete und ihrem faktischen Vollzug durch Musks DOGE völlig überfordert. Wie viel wird in der US-Wissenschaftslandschaft in Trümmern liegen, bis – und falls – die Mühlen der Justiz greifen? In «Nature» ist von «Jahrzehnten von Fortschritt in der wissenschaftlichen Forschung» die Rede, die «unterbrochen, wenn nicht rückgängig gemacht» werden könnten. Mit gravierenden Konsequenzen: Mehr als sieben Millionen behinderte Kinder, die keine Unterstützung für die Teilnahme am regulären Unterricht mehr erhielten; Frauen, ethnische Minderheiten, queere Menschen, deren spezifische Gesundheitsrisiken unberücksichtigt blieben; alle, letztlich, die den Folgen von Umweltverschmutzung, Klimaerhitzung und sich entwickelnden Seuchen uninformiert, unüberwacht und ungeschützt ausgeliefert werden.