Basler Polizei: Beschossen wird, wer stört

Nr. 11 –

Am Weltfrauentag eskaliert in Basel ein Polizeieinsatz gegen einen Protest von Frauen und Queers. Nun stellt sich vor allem eine Frage: Wie lassen sich die Fronten aufweichen?

Polizei steht auf der Strasse hinter Absperrband am Weltfrauentag in Basel
Weltfrauentag in Basel: Die Demonstrant:innen werden eingekesselt, Journalist:innen auf Distanz gehalten. Foto: Kostas Maros

Als sie sich vergangenen Sonntag auf dem Barfüsserplatz versammeln, erst zaghaft, dann zu einem ordentlichen Pulk anwachsend, fährt ein grauer VW-Transporter der Basler Polizei vor. Es steigt ein gross gewachsener Mann mit kurzem grauem Haar und Stoppelbart heraus, den Körper mit Protektoren umhüllt wie ein Krieger aus einer fernen Zukunft. Er kneift die Augen zusammen und späht auf den Platz hinüber. Da löst sich eine Frau aus dem Pulk und tritt an ihn heran. «Eine Standkundgebung lassen wir zu», sagt der Polizist zu ihr und stemmt die Hände in die Hüfte. Sie geht zurück in die Gruppe und signalisiert ihm: Angebot abgelehnt.

Kurz darauf stehen gut 200 Frauen und Queers vor der ehemaligen Basler Hauptpost. Die Stimmung ist aufgeladen, nur wenige Tage zuvor, am Weltfrauentag vom 8. März, war eine queerfeministische Demonstration von der Polizei eingekesselt worden. Nun skandieren sie Parolen gegen Polizeigewalt, gegen strukturelle Benachteiligung, gegen eine rassistische und sexistische Gesellschaft. Wenige Meter vor ihnen stehen Polizist:innen in Kampfmontur und mit dem Gummischrotgewehr im Arm. Wieder eilt die Frau zum Einsatzleiter. Der droht: Weitergehen führe zum Mitteleinsatz.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Basler Innenstadt stark belebt. Es ist «Bummelsonntag», Fasnächtler:innen ziehen durch die Strassen, die Strassencafés sind voll besetzt. Danielle Kaufmann, die Frau, die zu vermitteln versuchte, sagt später, sie habe Angstzustände durchlebt: «Unvorstellbar, was passiert wäre, hätte die Polizei geschossen.» Sie tut es schliesslich nicht, denn die Demonstrant:innen drehen ab. Doch Kaufmann, Vorstandsmitglied der Demokratischen Jurist:innen, sagt: «Allein dass die Polizei dazu bereit war, erschreckt mich zutiefst.»

«Wie in einem Polizeistaat»

Dass die Basler Polizei zu vielem bereit ist, um unbewilligte Demonstrationen zu verhindern, ist mittlerweile bekannt. Die Liste der Eskalationen ist lang, keine andere Schweizer Stadt setzt derart auf Repression. Vorläufiger Tiefpunkt dieser Entwicklung war der 8. März. Heidy Mader, 76 Jahre alt, erinnert sich: «Ich bin mir vorgekommen wie in einem Polizeistaat.» Seit 1968, erzählt sie, begehe sie den Frauentag auf der Strasse. «Der 8. März ist eine Institution – und plötzlich soll der illegal sein?» Als Mader am diesjährigen Weltfrauentag auf dem Barfüsserplatz eintrifft, findet sie eine Hundertschaft Polizei vor. Einen Polizisten spricht sie an. «Er sagte, sie müssten einschreiten, weil die Bewilligung fehle.»

Es ist die Standardbegründung für die massiven Polizeieinsätze der letzten Monate und Jahre. Rechtlich ist sie umstritten. Juristin Kaufmann sagt: «Eine Demo ist nicht illegal, nur weil sie nicht bewilligt ist.» Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit bestehe weiterhin. Nur bei deutlicher Gefahrenlage könne dieses ausgesetzt werden.

So eine hatte die Polizei am Tag vor der 8.-März-Demo ausgerufen: Sie warnte öffentlich, «dass sich unter den Demonstrierenden auch Teilnehmende aus linksextremen und gewaltbereiten Kreisen befinden könnten». Damit sei ein «chilling effect», also ein Abschreckungseffekt erzielt worden, kritisierten die Demokratischen Jurist:innen und die linken Parteien später, es würden Menschen vom Demonstrieren abgehalten, was grundrechtlich hochproblematisch sei.

Doch am Weltfrauentag lassen sich rund 250 Demonstrant:innen nicht einschüchtern. Sie ziehen vom Barfüsserplatz hoch zur Universität, wo sie schliesslich stundenlang eingekesselt werden. Journalist:innen werden von der Polizei auf Distanz gehalten, mit der Taschenlampe geblendet. Einmal feuert ein Polizist einen Warnschuss ohne Gummischrot in die Richtung von Reporter:innen. Beschossen wird, wer stört. Ein Video hält trotzdem fest, was passiert: Die Polizei stürmt auf die Eingekesselten zu, entreisst ihnen ein Transparent und feuert aus kürzester Entfernung Gummischrot in die Menge.

Kommandant soll zurücktreten

Martin Roth, Kommandant der Basler Kantonspolizei, sagt später, seine Mitarbeiter:innen hätten «korrekt und nach Gesetz gehandelt». Er zählt auf, was nach der Demo alles gefunden wurde: «Vermummungsmaterial, Schutzbrillen, verstärkte Transparente». Für Roth ein Beweis für die richtige Gefahreneinschätzung – für die Demonstrierenden Mittel, um sich vor dem gefährlichen Gummischrot der Polizei zu schützen. Sämtliche linken Parteien, der VPOD und die Demokratischen Jurist:innen fordern nun den Rücktritt des Kommandanten. Danielle Kaufmann begründet: «Es braucht neue Ideen, braucht Dialog, das Prinzip Nulltoleranz ist gescheitert.» Die Kritik zielt auch auf die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP), die für die harte Gangart verantwortlich ist.

Auch Martha Heinrich*, die am 8. März an der Demo war, wünscht sich Dialog: «Es gibt zwei Fronten, die nicht miteinander reden können.» Sie selber habe sich nach der Demo desillusioniert gefühlt, radikalisiert. Heinrich macht sich Sorgen, dass es anderen Teilnehmer:innen auch so erging, dass sich die Bewegung radikalisiert und somit gar keine gegenseitige Verständigung mehr möglich ist. Sie schildert einen Moment im Polizeikessel, als die Demonstrant:innen die Polizei lautstark ausbuhten. Bis dann einige verstummten und schliesslich alle in Stille verharrten, um die aggressive Stimmung zu beruhigen. Kurz darauf knallten die Schrotgewehre der Polizei.

* Name von der Redaktion geändert.

WOZ Debatte

Diese Debatte ist abgeschlossen. Diskutieren Sie bei unseren aktuellen Themen mit! Wenn Sie eine Anmerkung zu diesem Artikel haben können Sie auch gerne einen Leser:innenbrief schreiben.

Kommentare

Kommentar von Sugo

Do., 16.03.2023 - 14:35

Ein Argument für das Vorgehen der Polizei war der angebliche Aufruf zur Gewalt im Demoflyer zum 8. März. Es scheint fast so, als ob die Polizei diese Äusserung auf ihre Weise umgesetzt hat: Bevor etwas passiert die Leute einkesseln (nötigen), mit Gummigeschosse aus nächster Nähe rumballern ( schwere Augenverletzungen inkaufnehmen), alle Teilnehmende pauschal kriminalisieren (Kollektivstrafe) und die Presse wegsperren. Und das am internationalen Tag der Frauen und als Clou eine Frau als Sicherheitschefin einer liberalen Partei. Das liberal im Namen der Partei bezieht sich wohl nur auf eine Wirtschaft ohne Regeln, aber Draufhauen wie in einem Polizeistaat, wenn es um Eigentumschutz oder um ein demokratisches Recht (Versammlungsfreiheit, auch ohne Bewilligung) geht. Weniger Verständnis für Demonstrationsanliegen und weniger Psychologie im Umgang mit (jungen) Demonstrierenden ist kaum möglich. Und weniger Basel auch nicht, zumal die feige Polizei vor allem gegen Frauen die Sau rauslässt. Shame on you!

Kommentar von _Kokolorix

Fr., 17.03.2023 - 00:58

Liberal in der Politik bezieht sich mittlerweile ausschliesslich auf die Freiheit des Geldes. Wer Vermögen hat, dem werden alle Türen geöffnet, der rote Teppich ausgerollt, ganz egal, wie illegal es erwirtschaftet oder geklaut wurde.
Wer keins hat, für den gibt es Gummischrot und den Teaser.

Kommentar von Patrick Vögelin

Mi., 22.03.2023 - 20:50

Ich stelle fest das die Großkapitalisten befohlen hat und die Regierungsrätin Eymann hat gehorcht und das ist ein Skandal. Daher finde ich die Rücktrittsforderung finde mehr als richtig.