Stadtplanung: Verdichtung klingt erst einmal immer gut
Die Verdichtung der Städte ist eine ökologische Notwendigkeit. Oft dient diese aber auch dazu, profitgetriebenen Abriss und Verdrängung zu legitimieren. Was heisst also richtig verdichten? Zwei Forscherinnen erklären.
Stau, überfüllte Züge, Lärm – das angeblich immer mühseligere Leben in den Städten wird gern herangezogen, um Stimmung gegen die Zuwanderung zu machen. Rechte Politiker:innen, die am liebsten auf dem Land oder in zersiedelten Vororten leben, beklagen den angeblichen Verfall der Lebensqualität in überfüllten Städten. Verdichtung als Schreckensszenario.
Da kommt Sibylle Wälty, die an der ETH Zürich zur eher trockenen und komplexen Materie der Raumplanung forscht, und wirft plakative Thesen in die Debatte ums Bevölkerungswachstum: «In der Schweiz können in hundert Jahren auf der heutigen Siedlungsfläche gut auch 16 Millionen Menschen leben», sagt Wälty. Und eine Stadt wie Zürich nähere sich mit heute 440 000 Einwohner:innen nicht etwa ihrer Kapazitätsgrenze – im Gegenteil: Die Stadt könnte ökologischer und sogar lebenswerter werden, wenn hier noch 300 000 Menschen mehr leben würden. Verdichtung als Weg in die Stadt der Zukunft.
Spätestens seit 2014 ist Verdichtung das bestimmende Paradigma der Schweizer Raumplanung. Damals trat die Revision des Raumplanungsgesetzes in Kraft, die das Bauen an den Ortsrändern stark einschränkt, neue Einwohner:innen sollten also innerhalb bestehender Bauzonen Platz finden. Das Konzept der Verdichtung hat seinen Ursprung im Ökologiediskurs der achtziger Jahre, als sich die Erkenntnis durchzusetzen begann, dass Menschen, die in dicht besiedelten Städten leben, weniger Boden und Energie verbrauchen und die Umwelt weniger belasten, weil sie weniger Strecken mit dem Auto zurücklegen.
Alles zu Fuss
Wälty kommt in ihrer Forschung zum Schluss: Die haushälterische Bodennutzung, die im Gesetz steht, werde bis heute nicht umgesetzt. «Seit der Revision ist die hiesige Bevölkerung um eine Million gewachsen, aber wir haben diese überwiegend an peripheren Standorten angesiedelt.» Damit meint sie vor allem: Sie wohnen nicht an Lagen, die gut mit dem ÖV erschlossen sind, benutzen also immer noch oft das Auto.
Um eine starke Verdichtung zu veranschaulichen, spricht Wälty von der Zehn-Minuten-Nachbarschaft. Gemeint ist damit ein Quartier, in dem die meisten Dinge des alltäglichen Lebens, im besten Fall auch die Arbeit, von der eigenen Wohnung in zehn Gehminuten erreichbar sind. Das sei nicht nur ökologisch sinnvoll und gesund, die zusätzliche lokale Kundschaft unterstütze auch den Detailhandel, die Gastronomie oder Kulturorte.
Wälty hat ausgerechnet, dass für eine solche Nachbarschaft in einem Umkreis von 500 Metern mindestens 10 000 Menschen wohnen und mindestens 5000 Arbeitsplätze verfügbar sein müssen. Heute leben nur gerade fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung in einem Gebiet von dieser Dichte. Beispiele sind die Quartiere Matthäus in Basel oder Breitenrain in Bern, das Gebiet um den Zürcher Idaplatz ist sogar deutlich dichter. Dass ein Teil der Bevölkerung so leben will, zeigt sich an der hohen Beliebtheit dieser Quartiere.
Die aktuelle Wohnpolitik der Städte hält Wälty für heuchlerisch: «Man siedelt immer mehr Arbeitsplätze an, aber statt Wohnraum für diese Menschen in der Stadt zu schaffen, überlässt man das der Agglomeration und baut den ÖV aus.» Zu oft würde bei Bauprojekten nur über den Anteil gemeinnütziger Wohnungen gesprochen. Dies, obschon in einem ersten Schritt zu klären wäre, wie mehr Wohnraum entstehen kann. Man fordere zwar eine «Stadt für alle», schränke den Wohnungsbau mit zu strikten Bau- und Zonenordnungen aber stark ein. So bleibe das Leben in der Stadt ein Privileg, und die Neumieten stiegen weiter an, weil das Angebot knapp bleibe.
Eine Bodenkrise
Die steigenden Mieten nur mit dem fehlenden Angebot zu erklären, greift für Stadtforscherin Gabriela Debrunner zu kurz. Sie untersucht an der ETH, wie sich der Zwang zur Verdichtung auf den Immobilienmarkt auswirkt. Auch makroökonomische Faktoren wie Zinsen hätten einen Einfluss, sagt Debrunner, am wichtigsten sei aber der Boden als Anlageobjekt, die steigenden Mieten als Teil des Profits. «In den Medien ist häufig die Rede von der Wohnungskrise, dabei ist es eigentlich eine Bodenkrise.» Eine ökologische und soziale Wohnpolitik sei daher insbesondere über eine aktive kommunale Bodenpolitik möglich: mit gezielten Verhandlungen mit Privaten, der Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau oder direkt durch öffentliche Landkäufe.
New York City etwa kenne ein Gesetz, das bei Entwicklungen, die eine höhere Ausnutzung ermöglichten, einen Anteil an günstigem Wohnraum vorschreibe. In der Schweiz gibt es das Pendant des «Mehrwertausgleichs».Dennoch seien private Investoren im internationalen Vergleich durch das Schweizer Eigentumsrecht stark geschützt. Die Raumplanung, insbesondere die kommunale Zonenplanung, sei deshalb ein wichtiges Instrument, um die Nutzung des Bodens politisch zu steuern. Aber gerade dieses Werkzeug würden die Städte zu wenig nutzen, sagt Debrunner: Bei der letzten Revision der Bau- und Zonenordnung habe Zürich etwa grosszügige Aufzonungen zugelassen, mehrheitlich ohne soziale oder ökonomische Auflagen zu machen.
Wenn private Investoren Wohnhäuser bauen, heisst es oft: Das Projekt sei ökologisch nachhaltig, weil man verdichte und etwa Solarpanels aufs Dach stelle. Debrunner nennt das «Ökogentrifizierung». «Indem man Bauprojekte als besonders ökologisch darstellt, werden die sozialen Folgen der Aufwertung ausgeblendet: dass sich die bisherigen Bewohner:innen die deutlich höheren Mieten nach der Verdichtung meist nicht leisten können und verdrängt werden. Zudem wird durch Abriss und Neubau viel Energie verbraucht, was alles andere als ökologisch ist.»
Munter weiter abreissen
Abgesehen von den sozialen Folgen geht also auch die ökologische Argumentation der privaten Investoren meist nicht auf. Um mehr Einnahmen pro Quadratmeter zu generieren, werden oft grössere Wohnungen gebaut, in denen aber nicht mehr Personen als vorher wohnen. So wird der Wohnraum pro Kopf erhöht, also kaum stark verdichtet. Die Zahlen zum Wohnraumverbrauch pro Kopf zeigen derweil: Er hängt stark mit den Eigentumsverhältnissen zusammen. Wer in selbst genutztem Eigentum lebt, beansprucht im Durchschnitt 52 Quadratmeter Wohnfläche. Bei Mieter:innen sind es nur 42,4 Quadratmeter, bei Genossenschafter:innen gar nur 36,5 Quadratmeter.
Was die Standardargumentation privater Investoren ebenfalls ausblendet: Die vielen Neubauten sind ein ökologischer Irrsinn. Die Bauwirtschaft ist in der Schweiz für 84 Prozent der Abfälle verantwortlich und weltweit für 40 Prozent der CO₂-Emissionen, wie Debrunner vorrechnet. Weil es Profite ermöglicht, wird trotzdem munter abgerissen. Eine ETH-Studie zum Wohnungsmarkt zeigt: Wenn im Kanton Zürich zwischen 2015 und 2020 neuer Wohnraum entstand, geschah dies mehr als sechsmal so oft durch Ersatzneubauten wie durch Umbauten oder Sanierungen im Bestand – dies, weil Verdichtung ein lukratives Geschäftsmodell ist.
Kommentare
Kommentar von WV.
Fr., 24.05.2024 - 11:51
Wer behauptet es könnten 16 Millionen Menschen in die kleinen Schweiz hineingestopft werden ist verantwortungslos und lebt priviligiert.
Sicher nicht in einem sog. Wohnsilo!