Aufruhr in den USA: Irrungen und Wirrungen
Während sich das US-Kapital bestürzt zeigt, sprechen sich wichtige Stimmen der Linken für Zölle aus.
Was haben der CEO der grössten Bank des Landes, die chinesische Botschaft in Washington DC, Nobelpreisträger Paul Krugman und der republikanische Senator Ted Cruz gemeinsam? Sie alle haben in den vergangenen Tagen zum Ausdruck gebracht, wie wenig sie von Donald Trumps Zollpolitik halten.
Die Motivationen hinter der Kritik an Trumps Handelskrieg variieren natürlich. Während die einen in erster Linie um Profite und Machtstellung besorgt sind, weisen Krugman und andere Wirtschaftsexpert:innen auf die Folgen für ganz normale Menschen hin: steigende Alltagskosten, ein drohender Untergang vieler kleiner Betriebe und eine mögliche Rezession. Der liberale Ökonom Krugman bezeichnet den «Liberation Day» als «grössten Handelsschock in der Geschichte».
Trump will die Ökonomie in Schwung bringen, das war sein Versprechen im Wahlkampf. Viele stimmten genau aus diesem Grund für ihn. Sie gaben Joe Biden und den Demokrat:innen die Schuld für gestiegene Benzin- und Lebensmittelpreise. Trump, dem «Businessman», trauten sie zu, das Problem in den Griff zu bekommen. In zahlreichen Studien wurde die Wirtschaft als Hauptwahlfaktor genannt. Unter Trumps Führung, das war die Vorstellung vieler, werde das Leben billiger und der Standort USA gestärkt.
Bernie Sanders mag Zölle
Heute, keine drei Monate nach Trumps Amtsantritt, scheint die Stimmung zu kippen. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters gaben Anfang April 73 Prozent der Befragten an, in den kommenden Monaten mit steigenden Preisen zu rechnen. Sowohl bei Reuters als auch in anderen aktuellen Umfragen spricht sich die Mehrheit der Amerikaner:innen gegen Trumps Zollpolitik aus. Unter republikanischen Wähler:innen glauben zwar weiterhin viele, dass auf den jetzigen Schock eine langfristige Besserung folge. Sie glauben Trumps Argumentation, dass sich die USA zu lange vom Rest der Welt hätten wirtschaftlich ausnutzen lassen und es nun einen Schnitt geben müsse, der am Anfang schmerzhaft sei. Je länger allerdings diese ökonomischen Schmerzen dauern werden, desto grösser wird wohl auch der Frust bei der rechten Basis.
Bis sich die Effekte von Trumps Wirtschaftsprotektionismus voll entfaltet haben, wird es vielleicht noch Jahre dauern. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze vergleicht es mit dem Brexit und dessen langfristigen Konsequenzen. Wegen Trumps geradezu grotesker Sprunghaftigkeit können Industriekonzerne und Finanzinvestor:innen nur schwer einschätzen, was genau auf sie zukommt. Diese Unsicherheit ist einer der Gründe, warum die Aktienindizes überhaupt eingebrochen sind. Von Woche zu Woche verändern sich die Rahmenbedingungen. Stand Mittwoch, 9. April, fallen auf chinesische Importe Zölle von 104 Prozent an. Heute könnte es das Doppelte sein – oder die Hälfte, bei einem Deal.
In Wirtschaftsbereichen, in denen die neuen Zölle schon in Kraft getreten sind, ist Erschütterung zu spüren. Ein Beispiel ist die Autobranche. Seit letzter Woche erheben die USA 25 Prozent auf importierte Fahrzeuge, was dazu geführt hat, dass manche internationale Autobauer ihre Lieferungen eingestellt haben. Die britische Firma Jaguar Land Rover schickt aktuell keine Autos mehr in die USA. Das deutsche Unternehmen Audi hat die transatlantischen Exporte ebenfalls pausiert.
Ob diese Entwicklungen nun zum Vorteil amerikanischer Hersteller sind, wie die Trump-Regierung proklamiert, bleibt indes ungewiss. Der US-Autohersteller Stellantis hat an mehreren heimischen Standorten Hunderte Beschäftigte beurlaubt und das mit «derzeitigen Marktdynamiken» begründet. Die Gewerkschaft United Auto Workers hält Stellantis vor, dass diese Beurlaubungen vermeidbar gewesen wären. Der Konzern habe das Zollchaos ausgenutzt, um Einsparungen durchzukriegen, so die Gewerkschaft.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die grundsätzliche Position der United Auto Workers. Die Gewerkschaft, die in den vergangenen Jahren unter der Leitung von Shawn Fain zu einer der treibenden progressiven Kräfte des Landes geworden ist, hat sich beim Thema Zölle auf die Seite des US-Präsidenten gestellt. Gewerkschaftschef Fain erhofft sich einen Aufschwung der inländischen Produktion. In der US-Linken gibt es weitere Stimmen, die den gezielten Einsatz von Zöllen in Kombination mit einem Ausbau von Arbeitsrechten unterstützen. Senator Bernie Sanders gehört dazu, auch der bekannte Journalist David Sirota und Teile der Democratic Socialists of America. Sie kritisieren zwar Trumps erratischen Handelskrieg und dessen Bekämpfung der Gewerkschaftsbewegung, sehen aber in Zöllen durchaus ein wirksames Werkzeug im Umgang mit dem entfesselten globalen Markt.
Genau diesen Markt wollen viele aus dem Establishment natürlich bewahren. Der CEO der US-Bank JP Morgan Chase, Jamie Dimon, warnte in einem Newsletter an die Aktionär:innen, dass Trumps Zölle «das Wachstum verlangsamen» und eine Rezession wahrscheinlicher machen würden. Es ist diese Angst vor einem Konjunkturrückgang, die dazu geführt hat, dass sich Trump nun zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt mit harscher Kritik aus dem eigenen Lager auseinandersetzen muss. Hedgefondsmilliardär Bill Ackman, seit dem zurückliegenden Wahlkampf offizieller Unterstützer Trumps, schrieb auf der Plattform X, dass der Präsident einen «wirtschaftlichen Atomkrieg gegen jedes Land der Welt» herbeiführe und die USA damit als Standort für Investitionen zerstöre. Die hohen Zölle seien «nicht das, was wir gewählt haben», so Ackman. Angesichts der Tatsache, dass Trump in den vergangenen Jahren ziemlich genau das angekündigt hat, was er nun umsetzt, stellt sich die Frage, ob Ackman entweder nicht zugehört oder Trump nicht ernst genommen hat. Beides wäre jämmerlich.
Plötzlich Gewaltenteilung?
Alles andere als souverän wirkt auch Elon Musk bei diesem Thema. Wie die «Washington Post» berichtet, soll er mehrfach versucht haben, den US-Präsidenten persönlich zu einer Kehrtwende in der Handelspolitik zu bewegen. Dass das Musk – immerhin Trumps bekanntester und reichster Verbündeter – nicht gelungen ist, könnte man als Riss zwischen den beiden interpretieren. Oder als Ausdruck von Trumps ausserordentlicher Sturheit.
Mit Joe Lonsdale (Gründer der Firma Palantir), Ken Langone (Home Depot) und dem Techinvestor Balaji Srinivasan haben sich weitere prominente Trump-Unterstützer gegen Trumps Zölle ausgesprochen. Die konservative New Civil Liberties Alliance hat eine Klage eingereicht, in der sie argumentiert, dass Trump gar nicht die verfassungsmässige Autorität habe, Zölle per Notstandsrecht zu verhängen. Sogar innerhalb der Partei regt sich Widerstand: Sieben republikanische US-Senator:innen unterstützen ein Gesetzesvorhaben, das Trumps Macht bei der Einführung von Zöllen einschränken würde. Der Kongress soll «eine Stimme in der Handelspolitik» bekommen. Gewaltenteilung ist das Ziel.