Schweizer Reaktionen: Anbiederung als Staatsdoktrin

Nr. 15 –

Die rechtsbürgerliche Schweiz gab alles, um Donald Trump zu gefallen. Nun wird das Land noch höher bezollt als die EU. Zu Besuch bei der Wirtschaftselite.

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Albert Rösti kommt zu spät. Vor den Fensterscheiben des Zürcher Kongresshauses fahren glänzende Autos vorbei, draussen im See spuckt ein Springbrunnen Wasser in den blauen Frühlingshimmel. Drinnen erklärt einer im wartenden Publikum seinem Sitznachbarn die Schweiz, dieses «so kleine» Land, «umgeben von einer instabilen EU, zerquetscht zwischen den USA und China». Er sagt: «Wenns irgendwo gut ist, dann hier.»

Blisterpackung mit Medikamenten
Die wichtigsten Exporte aus der Schweiz in die USA 2024  (Wert in Mio. CHF) 
2024 gingen 16,5 Prozent aller Schweizer Exporte in die USA. Dabei geht es vor allem um Pharmazeutika, die derzeit noch von den Zusatzzöllen ausgenommen sind. Bedeutend ist auch in der Schweiz ­raffiniertes Gold. Mit grossem Abstand folgen Maschinen, Kapselkaffee und Flugzeuge von Pilatus. Viel wichtiger ist die EU als Handelspartnerin, dorthin gingen 40,5 Prozent aller exportierten Güter. Danach kommen China (9,5 Prozent) und Grossbritannien (5 Prozent).
Quelle: BAZG; Fotos: Imago (4), Getty (7), CC BY-SA 4.0

Rösti ist an diesem Donnerstag verspätet, weil sich der Bundesrat kurzfristig über den «Liberation Day» beraten musste. Am Vortag hat US-Präsident Donald Trump höhere Einfuhrzölle für Waren aus fast allen Staaten weltweit angekündigt. «Switzerland: 31 %», stand auf der Tafel mit den Fantasiezahlen, die Trump im Rosengarten vor dem Weissen Haus präsentierte. Das sind nur leicht tiefere Zölle, als sie für China vorgesehen waren (34 Prozent), deutlich höhere aber als jene für die Staaten der Europäischen Union (20 Prozent).

Wie reagiert die Schweizer Wirtschaftselite auf diese unerwartete Einstufung? Halten die rechtsbürgerlichen Politiker:innen an ihrer Lobpreisung von Trump fest? Und welche alternativen Pfade gibt es in der Wirtschaftspolitik?

Goldbaren
Luxus-Uhr

Das beste Land der Welt

Die Befindlichkeit der Wirtschaftselite lässt sich an diesem denkwürdigen Donnerstag nirgendwo besser messen als im Zürcher Kongresszentrum. 400 Menschen haben sich hier zu einer Veranstaltung des UBS Center der Universität Zürich eingefunden. Der leicht sorgenvolle Titel: «Warum ist die Schweiz so reich? Und warum muss es nicht so bleiben?»

Der Gastgeber, das UBS Center for Economics in Society, wurde nach der Finanzkrise 2012 mit einer 100-Millionen-Franken-Spende der Grossbank an die Universität gegründet. Die UBS wollte sich für ihre Rettung durch den Staat bei der Allgemeinheit revanchieren und schuf sich doch nur eine eigene Bühne, auf der an diesem Nachmittag CEOs, Wirtschaftsanwälte und Unternehmensberaterinnen Visitenkärtchen tauschen, während auch schon das nächste Tablett mit Apérogebäck gereicht wird. «Wir wollen nicht über die USA sprechen, sondern über das beste Land der Welt», begrüsst Christian Mumenthaler die Gäste. Anfang dieses Jahres hat der Versicherungsmanager das UBS-Stiftungsratspräsidium von Altbundesrat Kaspar Villiger übernommen.

Die Schweiz preisen dann auch alle folgenden Redner:innen zur Genüge, besonders Rösti, als er endlich eingetroffen ist. Ausführlich schwadroniert er von Tüchtigkeit und Eigentum, von kantonaler Unabhängigkeit und Villigers Schuldenbremse. Goethe habe mal gesagt, alles in der Welt lasse sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen. Man sei nun in einer Reihe schöner Tage, doch in hoher Kadenz gebe es Angriffe auf die «freiheitliche Ordnung». Rösti setzt den Anwesenden auch auseinander, was er damit meint: Gefährlich ist in seinem Verständnis nicht Trumps Lust am Wirtschaftscrash, sondern es sind die Klimafondsinitiative von SP und Grünen, die Erbschaftssteuerinitiative der Juso und das Nein zu den Autobahnen – das im Übrigen kein generelles Nein zum Ausbau der Nationalstrassen gewesen sei und auch keines sein dürfe.

Rösti sagt über seine Schweiz: «Wenn wir nicht jeden Tag kämpfen, bleibt es nicht so.» Wobei die bevorzugte Kampfhaltung der Eidgenossen bekanntlich der Bückling ist.

«Ich persönlich tendiere eher zu Trump», hatte Rösti noch vor den US-Wahlen bei einer Veranstaltung mit Schüler:innen in Basel gesagt. Eine Äusserung wie so manche aus dem Umfeld der SVP, die Sympathie mit Trump und seiner Entourage bekundeten – und die rückblickend reichlich anbiedernd, wenn nicht gar hochkomisch tönen. Da war etwa Magdalena Martullo-Blocher, die sich in einem Interview im «Tages-Anzeiger» zur Aussage verstieg: «Trump liebt die Schweiz.» Oder die Milliardäre der Partners Group, die mit ihrer Kompass-Initiative die Bilateralen III mit der EU bekämpfen. «Ein bisschen Musk täte der Schweiz gut», meinte Urs Wietlisbach in der NZZ.

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Doch die vermeintliche Special Relationship zwischen den demokratischen Schwesterrepubliken betonten nicht nur die EU-Gegner:innen. Die Anbiederung wurde in den letzten Wochen fast schon zur Staatsdoktrin. Den Auftakt machte Finanzministerin Karin Keller-Sutter an der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. «Es war eine liberale Rede, die in gewisser Hinsicht sehr schweizerisch war», bürgerte sie den US-Vizepräsidenten gedanklich ein. J. D. Vance hatte zuvor den EU-Staaten unterstellt, sie würden die Meinungsfreiheit einschränken. Sich in den USA beliebt machen, indem man sich von der EU absetzt: Dieser Strategie folgte auch ein Schreiben des Seco im März, in dem das Staatssekretariat für Wirtschaft die Vorzüge der Schweiz gegenüber Europa betonte – beispielsweise die fehlende Regulierung der künstlichen Intelligenz.

Schliesslich reiste Seco-Vorsteherin Helene Budliger Artieda in die USA, um persönlich bei der Trump-Regierung vorzusprechen. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» hatte sie bereits im Februar unverblümt mitgeteilt, die Schweiz mache seit langem «genau das, was die neue Regierung will». Und jetzt also das: Switzerland: 31 Prozent, EU: 20 Prozent.

Seine Enttäuschung darüber kann Bundesrat Rösti im Zürcher Kongresszentrum nicht verbergen: Es mache ihm «schon Sorgen», dass die Schweiz höher bezollt werde als die EU. Ob er denn Trump noch einmal zur Wahl empfehlen würde, will die Moderatorin in einem Anflug von Kritik wissen. Diese Aussage habe er «mit der Hoffnung gemacht, wir könnten dort weitermachen, wo wir mit Trump verblieben sind: beim Freihandel», rechtfertigt sich Rösti. «Vielleicht hätte ich besser gesagt, ich tendiere zur Republikanischen Partei. Was jetzt passiert, hat natürlich nichts damit zu tun, das ist nicht republikanisch.» Als ob es neben dem Trump-Clan noch eine republikanische Partei gäbe (oder eine SVP ohne die Blochers).

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«Very good that you’re not in the EU»

Auch die Handelsreisende in Sachen Schweizer Wirtschaft, Seco-Direktorin Budliger Artieda, macht an diesem Donnerstag halt im Zürcher Kongresszentrum. An einem Podium über KMUs mit dem Titel «Globale Player oder Lokalhelden: Wer treibt den Erfolg?» erzählt sie von ihrer USA-Reise, wobei sie die globale Gültigkeit ihrer Botschaften gerne mit englischen Ausdrücken unterstreicht. Der Ton in den Gesprächen sei freundlich gewesen, siebzehn Mal habe sie gehört: «Very good that you’re not in the EU.» Die US-Exporte kämen zu 99,5 Prozent zollbefreit in die Schweiz. Weil die Trump-Regierung ursprünglich von reziproken Zöllen sprach, sei man «relaxed» gewesen. Die nichttarifären Handelshemmnisse seien für die Schweiz wiederum auf vier Seiten aufgelistet gewesen, bei China auf sechzig. «Auch da denken Sie: Gut, es gibt ein paar Dinge, die die Schweiz macht, die offenbar nicht ankommen.»

Es sei ganz wichtig, dass man sich nicht anbiedere, hatte die Seco-Chefin gerade noch gesagt – um dann gleich die subtilere Version einer Anbiederung vorzuschlagen: Man könne schon irgendwann sagen: «We’re an independent, neutral, agile country who is not part of a big power block.» Da blitzt sie wieder auf, die Schweizer Sondergefälligkeit. Alles soll so weitergehen, wie es sowieso nie war, schliesslich haben die USA den Schweizer Sonderwünschen selten entsprochen. Die Beschränkung der Schweizer Exporte in den Ostblock im Kalten Krieg setzten sie ebenso durch wie die Aufhebung des Bankgeheimnisses nach dem UBS-Steuerstreit in der Finanzkrise.

Welche Rolle die Schweiz auch noch spielen könnte – das ist nicht im Zürcher Kongresszentrum zu erfahren, sondern bei einem Anruf beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) oder der entwicklungspolitischen Dachorganisation Alliance Sud. «Die Schweiz darf nicht an ihre düstere Tradition des radikalen Opportunismus anknüpfen», sagt Daniel Lampart, Chefökonom beim SGB. «Sie muss stattdessen ihre Kooperationen mit Staaten stärken, in denen die demokratischen und sozialen Rechte hochgehalten werden: mit der EU, mit Teilen Asiens, auch mit Kanada.»

Fässer mit Chemikalien
elektrisches Gerät

Zölle für die Armen

Trumps Zölle seien für die hiesige Volkswirtschaft sicher nicht gut. «Die Hälfte der Schweizer Exporte in die USA sind aber Pharmaprodukte, die von den hohen Zöllen vorerst ausgenommen wurden.» Was die übrigen Waren betreffe, lohne sich ein Rückblick auf Trumps erste Amtszeit. «Die damals schon hohen Zölle gegen China haben vor allem die amerikanischen Konsument:innen und Unternehmen bezahlt, mit höheren Preisen und tieferen Margen.» Das werde auch jetzt kaum völlig anders sein. Aus Sicht der hiesigen Beschäftigten müsse man ein besonderes Augenmerk auf die Schweizer Nationalbank richten, sagt Lampart. «Wenn die Produkte in den USA aufgrund der Zölle teurer werden, muss das durch den Wechselkurs ausgeglichen werden. Der Franken sollte sich theoretisch abwerten. Weil dieser aber auch als Fluchtwährung dient, muss die Nationalbank eine Abwertung aktiv unterstützen.»

Kaffeekapseln
Privatjet

Andreas Missbach von Alliance Sud kommt auf die grundsätzliche Rolle von Zöllen zu sprechen. Diese seien einst ein Instrument der schwächeren Volkswirtschaften gewesen, um ihre entstehenden Industrien zu schützen. «Der neoliberale Grundkonsens ist: Zölle sind immer schlecht. Aber aus entwicklungspolitischer Sicht ist das kompletter Unsinn», sagt Missbach. Im Gegenteil habe ungebremster Freihandel schwächeren Volkswirtschaften stets geschadet. Etwas anderes hingegen seien Zollerleichterungen: Nur weil ihnen solche gewährt wurden, hätten Länder wie Lesotho, Laos oder Kambodscha überhaupt erst Industrien aufbauen können – und es seien nun auch solche Länder, denen die Zollpolitik der USA am ärgsten zusetzen werde. Trumps Entscheid, die grösste Volkswirtschaft der Welt mit Zöllen vor den Produkten der ärmsten Länder «schützen» zu wollen, sei eine völlige Verekehrung der Realität.

Bilderrahmen

Die Schweiz müsse sich ernsthaft fragen, ob sie sich weiterhin mit autoritären Regierungen verbünden wolle, die Menschenrechte und Umweltstandards verletzten. «Doch nach wie vor vertritt sie die Haltung: Man macht grundsätzlich Geschäfte mit allen», so Missbach.

Das ist auch der Geist, der durch die UBS-Veranstaltung weht: Business, Deregulierung, Technologieoffenheit über allem – und dazu ein paar Deals hier und ein paar Verhandlungspakete da, irgendwie klingeln dann die Kassen schon. Oder wie es Helene Budliger Artieda sagt, diese Woche bereits wieder unterwegs in die USA: «Wenn man intensiv miteinander zu tun hat, kann man sich auch immer anrufen oder texten. Dann ruft einem auch die Präsidentin aus Brüssel an.»

Kunststoff-Pellets

Und aus welchen Staaten und Machtverhältnissen stammen eigentlich all die Rohstoffe für diese «Schweizer» Produkte?

Weiterführende Lektüretipps:

  • «Kolonial. Globale Verflechtungen der Schweiz», Schweizerisches Nationalmuseum (Hrsg.), ­Scheidegger & Spiess, 2024.
  • «Transithandel. Geld und Warenströme im globalen Kapitalismus», Lea Haller, Suhrkamp, 2019.
  • «Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz», Erklärung von Bern (Hrsg.), Salis, 2012