Frankreich: Mildes Wetter, lauer Protest
Bisweilen verschlagen einem die intellektuellen Verrenkungen der neuen Rechten fast die Sprache. Ausgerechnet Martin Luther King will sich Marine Le Pen neuerdings zum Vorbild nehmen. So forderte sie auch in ihrer Ansprache am Sonntag vor dem Pariser Invalidendom, man solle es dem US-Bürgerrechtler gleichtun und friedlichen und demokratischen Widerstand leisten. Sie will also das Urteil gegen sie von letzter Woche wieder kippen. Zur Erinnerung: Le Pen wurde wegen Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe verurteilt. Das Gericht entzog ihr per sofort das passive Wahlrecht, was sie voraussichtlich von der nächsten Präsidentschaftswahl ausschliesst.
Ihre Ansprache hielt sie im Rahmen einer Demonstration gegen diesen Entscheid, zu der der rechtsextreme Rassemblement National (RN) aufgerufen hatte, zu der dann aber nicht Hunderttausende erschienen wie bei Kings Ansprache 1963 in Washington, sondern deutlich weniger als die 10 000, die der RN angekündigt hatte. Die Zeitung «Le Monde» spricht von 7000 Teilnehmer:innen.
In ihrer Rede wollte Le Pen, von wegen Verrenkungen, unter anderem klarstellen, dass es ihr beim Protest gegen das juristische Urteil nicht darum gehe, ein juristisches Urteil nicht zu akzeptieren, aber dieses «verhöhne den Rechtsstaat».
Den Rechtsstaat verteidigten in Paris am Sonntag auch die Teilnehmer:innen einer Gegendemonstration, zu der La France insoumise und die Grünen aufgerufen hatten. Immerhin rund 15 000 Leute nahmen daran teil. Das ist nicht wenig, aber auch eher lau.
Der Rechtsstaat scheint ja zu greifen: Den sofortigen Entzug des passiven Wahlrechts sieht das Gesetz in solchen Fällen vor. Und in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Elabe gaben fast siebzig Prozent der Teilnehmer:innen an, sie fänden es «normal», dass er auch auf Le Pen angewendet werde.