Licht im Tunnel: Armer Walter

Nr. 15 –

Michelle Steinbeck über beleidigte Kritiker

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Zum sogenannten Frauentag am 8. März verkündigte Italiens Premierministerin einen neuen Gesetzesentwurf: Femizid soll zum eigenen Straftatbestand werden, und Täter sollen automatisch lebenslänglich bekommen. Damit reagiert Meloni auf die anhaltenden Grossdemonstrationen und Diskussionen, die der Mord an der 22-jährigen Giulia im Jahr 2023 und die unermüdliche Aufklärungsarbeit ihrer Familie ausgelöst haben.

Die Proteste und Mahnwachen auf italienischen Strassen und an Unis gehen jedoch weiter. Kurz nach der medienwirksamen Ausrufung des neuen Femizidgesetzes, das potenzielle Täter maximal abschrecken soll, wurden Ende März zwei 22-jährige Studentinnen getötet. Sara wurde in Messina auf offener Strasse von einem Stalker erstochen, Ilaria in Rom von ihrem Exfreund. Giulias Vater spricht von «ganzen Generationen von Männern, die keine Ablehnung akzeptieren». Er, Giulias Schwester und andere Aktivist:innen arbeiten daher daran, dass vor allem in Bildung und Prävention investiert wird, was Melonis Regierung aus Paranoia vor «Genderideologie» kategorisch ablehnt. Seit Anfang Jahr starben in Italien schon dreizehn Frauen und Mädchen durch Femizid – gleich viele wie in der Schweiz. Nur bleibt es hierzulande darüber unheimlich still.

Auf der Bühne des Theaters Basel poltern derzeit fünf Schauspielerinnen dagegen an, inszeniert von der chilenischen Regisseurin Manuela Infante. Sie alle sind Carmen, die verbrannte Opernsängerin; sind Walter, der Feuerwehrmann, der sie gestalkt und angezündet hat; sind seine Feuerwehrfreunde, die gedankliche Verrenkungen vollführen, um ihren «armen Walter» zu rechtfertigen, schliesslich die Schuld bei ihr zu finden.

«Was wir im Feuer verloren» basiert auf der gleichnamigen Erzählung der argentinischen Schriftstellerin Mariana Enriquez. Darin zünden immer mehr Männer «ihre» Frauen an – worauf sich eine Bewegung von Frauen formiert, die selbstbestimmt ins Feuer gehen und ihre versehrten Körper der Öffentlichkeit präsentieren. In Infantes Inszenierung geht das zuweilen verblüffend heiter, doch stets entlarvend zu und her: «Wer gibt ihnen das Recht, sich selbst zu verbrennen?» Die Feuerwehrmänner, die «Workshops» besucht haben und sich alle Mühe geben, die Frauen zu retten und gleichzeitig zu respektieren, werden bei ihrem Einsatz bitter enttäuscht. «Es gibt keine verdammten Opfer?» – «Wollen sie unsere Karrieren zerstören? Ich respektiere sie, aber sie müssen mich auch respektieren.»

Es ist ein vielschichtiger, nachhallender Theaterabend, an dem Ausgelassenheit im Publikum von plötzlichem Grauen jäh erstickt wird, gelungene Karikatur am Vergegenwärtigen der tödlichen Realität bricht. Tragikomisch geht es nach dem Applaus bei den Theaterkritikern weiter: Sie wollen in der Darstellung der Feuerwehrmänner nur «Klischees» sehen und spielen sie damit herrlich unreflektiert weiter. Das Stück sei nicht mehr als eine «Satire über blöde Männer», in der die Spielerinnen «Männer als hirnlose Idioten verballhornen und damit in deren Täterrolle letztlich verharmlosen». Unfreiwillig komisch ist die Analyse jenes Kritikers, der im Scheiterhaufen, in dem die Frauengruppe verschwindet, eine «exklusiv für Frauen bestimmte Utopie einer Parallelgesellschaft» erkennt und beleidigt schliesst: «Es ist nicht erkennbar, dass Infantes feministischer Ausblick weiter einen Dialog mit dem Mann vorsieht.»

Michelle Steinbeck ist Autorin. Sie empfiehlt das Stück «Was wir im Feuer verloren» und die Bücher von Mariana Enriquez.