Selbsthilfeliteratur: Schön für dich
Politische Liebesratgeber versprechen einen gemeinsamen Ausweg aus der Misere, berichten am Ende aber vor allem von ihren Autor:innen.

Es scheint mit der Liebe auch nicht leichter geworden zu sein, seit in einer breiteren Öffentlichkeit Alternativen zur klassischen Paarbeziehung diskutiert und ausprobiert werden: Polyamorie oder Patchwork, Regenbogen oder ethische Nichtmonogamie, offene Ehen oder zufriedenes Alleinsein, Fragen über Fragen. Und viele, viele Versuche, Antworten zu finden.
Über das 20. Jahrhundert schreibt die Soziologin Eva Illouz in ihrem mittlerweile zum Klassiker gewordenen «Warum Liebe wehtut» (2011): «Schmerzvolle Liebeserlebnisse wurden zum Gegenstand endloser psychologischer Kommentare und zu einer beeindruckend starken Triebfeder, die eine ganze Batterie von Experten […], das Verlagswesen, das Fernsehen und zahlreiche andere Zweige der Medienbranche in Aktion treten liess.» Das Interesse daran, wie, warum und wen wir lieben, bleibt riesig – davon zeugt etwa die Beliebtheit von Ratgebern wie Jessica Ferns «Polysecure», von Podcasts wie «Beziehungskosmos» oder diversen Kanälen auf Social Media, in denen Tipps und Tricks zu Liebe und Sexualität gegeben werden.
Eva Illouz stand zuletzt wegen Debatten um Identitätspolitik im Fokus; in einer Rede von 2024 reproduzierte sie dabei teils auch rechte Narrative. Ihre Analyse von 2011 bleibt so oder so aktuell. Damals kritisierte sie in ihrem Buch den rein psychologischen Zugang, zeitgenössische Beziehungsprobleme zu erklären: «Die Qualen der Liebe verweisen jetzt nur noch auf das Selbst, auf seine private Geschichte und seine Fähigkeit, sich selbst zu gestalten.» In ihrem Buch stellte sie dem eine soziologische Perspektive entgegen, mit vielen Fallbeispielen aus ihrer Forschung. «Warum Liebe wehtut» bleibt ein einflussreicher Text, viele der Autor:innen, die heute nicht in einem rein psychologischen Kontext über die Liebe schreiben, beziehen sich darauf.
In tendenziell jungen, linken Kreisen hat dabei eine Gattung der Sachliteratur besonders Aufwind bekommen: jene des politischen Beziehungsratgebers, in dem die Gründe für das Liebeselend gemäss feministischer Tradition weniger im Persönlichen (Bindungsstörungen, Kindheitstraumata et cetera.) gesucht werden, sondern im Strukturellen – dem Kapitalismus, den neoliberalen Dogmen, dem Patriarchat. Was hat mein Liebeskummer mit einem grösseren politischen Kontext zu tun, und wie schlägt sich dieser umgekehrt in meinen Beziehungen nieder?
Lesbisches Schlaraffenland
Ein Meilenstein dieser Gattung war Şeyda Kurts «Radikale Zärtlichkeit» (2021), das seinen Weg in gefühlt jeden halbwegs aufgeschlossenen Haushalt fand (und zwanzig Wochen lang auf der «Spiegel»-Bestsellerliste stand). In dem Buch setzt sich Kurt anhand ihrer eigenen Biografie damit auseinander, wie Liebesbeziehungen von der Gesellschaft, in der sie geführt werden, geprägt sind – welchen Einfluss also zum Beispiel eine kapitalistisch geordnete Wirtschaft oder das koloniale Erbe auf die Liebe und unsere Vorstellungen davon hat. Seither kamen etwa Emilia Roigs «Das Ende der Ehe» (2023), Andrea Newerlas «Das Ende des Romantikdiktats» (2023) oder Ole Liebls «Freunde lieben» (2024) dazu.
Der Untertitel von Kurts Buch war mit «Warum Liebe politisch ist» noch relativ schlicht, jene der anderen verweisen auf die ambitionierten Projekte ihrer Autor:innen: «Warum wir Nähe, Beziehungen und Liebe neu denken sollten» (Newerla), «Die Revolte in unseren engsten Beziehungen» (Liebl) und «Für eine Revolution der Liebe» (Roig) bewegen sich irgendwo zwischen Appell und Verheissung. Vielleicht findet sich ja hier endlich ein Ausweg aus der Misere?
Auch die französische Autorin und Aktivistin Louise Morel macht grosse Versprechungen: «Lesbisch werden in zehn Schritten», eben auf Deutsch erschienen, rät, sich von der Heterosexualität abzuwenden. Kein neuer Trick natürlich, der aber gerade unter jungen Frauen, die sich bisher vor allem mit Männern herumgeschlagen haben, wieder vermehrt diskutiert wird. Im Prinzip beschreibt Morel das Lesbischwerden als Aussteigerinnenfantasie: Hats nicht geklappt mit der Revolution? Dann nichts wie weg und sich ins «lesbische Schlaraffenland» zurückziehen.
Eigentlich könnte das ziemlich witzig sein – das zeigt schon die bemerkenswert humorlose Reaktion, die das Buch bei der NZZ (Kulturkampf! Männerhass!) auslöste. Leider aber ist Morels «fulminante Mischung aus Ratgeber und Manifest» (Klappentext) in weiten Teilen selbst so bierernst, dass der Weg ins Schlaraffenland nicht gerade lustvoll erscheint. Auch mögen zwar viele der Praxistipps hilfreich sein, die Verschränkung mit dem Politischen gelingt der Autorin allerdings kaum: Der Text dümpelt eher phrasengeladen vor sich hin.
An Morels Buch zeigt sich abgesehen davon ein grundsätzliches Problem politischer Liebesratgeber: Als Handlungsanweisung will es sein Publikum auf den rechten Weg und am liebsten in die Revolution führen. Aber wie soll das gehen? Immer wieder wird in diesen Büchern betont, dass es mit der Liebe keine eindeutige Sache sei, kein Patentrezept vorliege. Bloss beschleicht einen bei der Lektüre unweigerlich das Gefühl, dass es doch eines gibt. Und zwar genau jenes, das für die Autor:innen selbst jeweils am besten funktioniert hat.
«Ins Reine kommen»
Während Şeyda Kurt in «Radikale Zärtlichkeit» das Autobiografische nutzt, um das Gesellschaftliche in Liebesbeziehungen herauszuarbeiten, wird bei Morel, Liebl, Roig und Newerla das eigene Leben als Praxisbeispiel mit Vorbildfunktion hinzugezogen. Auch ich, schreiben diese Autor:innen sinngemäss, war einmal an dem Punkt, an dem ihr heute steht, bevor ich mich auf den steinigen Weg machte, um mein Glück zu finden: Roig, die die Ehe abschaffen will, versetzt die Leser:innen zu Beginn an den Tag ihrer Hochzeit. Newerla, die sich gegen das Romantikdiktat auflehnt, an den Moment, als ihre romantische Zweierbeziehung zu Ende geht. Morel, die zum Lesbischsein anleitet, war zuvor in langweiligen Beziehungen mit Männern. Liebl scheint zwar polyamor und eifersuchtslos geboren worden zu sein, aber auch er lernt durch seine Auseinandersetzung stetig hinzu.
Zweifellos trägt es zur Zugänglichkeit – und zur Verkäuflichkeit – bei, wie hier anekdotisch aus dem eigenen Leben erzählt wird. Die Ich-Perspektive macht die Autor:innen «relatable», also nahbar, sie wirkt aber auch hierarchisierend: Die Texte sind so strukturiert, dass wir als Leser:innen dem Erkenntnisprozess der Autor:innen folgen. So wird letztlich suggeriert, dass wir gut beraten wären, uns ein Beispiel an ihnen zu nehmen.
Das bedeutet nicht, dass das alles grundsätzlich falsch oder problematisch wäre. Trotzdem bleibt bei der Lektüre ein unbehagliches Gefühl, das auch mit der Verwandtschaft dieses Genres mit der Selbsthilfeliteratur zu tun hat: Die Prämisse der Texte, dass Liebe politisch sei, man nie losgelöst von anderen agiere und Gemeinschaften zentral seien, beisst sich mit dem individualistischen Versprechen, die Dinge selbst in die Hand nehmen zu können. Zum Beispiel also, durch reine Erkenntnis (und vielleicht etwas Übung) bessere, freiere Beziehungen zu führen. Das hat dann rasch nicht mehr viel mit Revolution zu tun, sondern vor allem mit der Verbesserung der eigenen Lebensumstände. Was natürlich auch nicht nichts ist. Trotzdem bleibt eine Nabelschau auch dann eine Nabelschau, wenn sie in einem grösseren politischen Zusammenhang verortet wird. Und wers nicht hinkriegt? Wird zwar nicht gleich verlacht, gehört aber auch nicht dazu.
Louise Morel schreibt an einer Stelle, man solle nicht auf die hören, «die mit ihren eigenen Sehnsüchten nicht im Reinen sind». Auch so eine Vorstellung, die in Selbsthilfeliteratur gerne kolportiert wird – dass es möglich sei, irgendeinmal ins Reine mit sich zu kommen. Für alle, die nach wie vor in einer Gesellschaft leben und sich auch nicht von ihr abwenden wollen, ist das keine wahrscheinliche Aussicht.
Louise Morel: «Lesbisch werden in zehn Schritten». Aus dem Französischen von Lisa Wegener. Ullstein Verlag. Berlin 2025. 224 Seiten.
Ole Liebl: «Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen». Verlag Harper Collins. Hamburg 2024. 256 Seiten.
Andrea Newerla: «Das Ende des Romantikdiktats. Warum wir Nähe, Beziehungen und Liebe neu denken sollten». Kösel Verlag. München 2023. 208 Seiten.
Emilia Roig: «Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe». Ullstein Verlag. Berlin 2023. 384 Seiten.
Şeyda Kurt: «Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist». Verlag Harper Collins. Hamburg 2021. 224 Seiten.
Eva Illouz: «Warum Liebe wehtut. Eine soziologische Erklärung». Suhrkamp Verlag. Berlin 2011. 467 Seiten.