Von oben herab: Risiko

Nr. 17 –

Stefan Gärtner über das Himmelreich

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Nicht nur Freunde und Familie begleiten uns, sondern auch die Figuren des öffentlichen Lebens, und wenn ich lese, Bruce Willis ist dement und dreht keine Filme mehr, weiss ich, ich werde nie wieder einen neuen Film mit Willis sehen, bloss die 100. Wiederholung eines der vielen Teile der «Stirb langsam»-Reihe, deren Titel auch im amerikanischen Original («Die Hard») so klingt, als hätte er im Vermischten längst pietätlos Verwendung gefunden.

Für mich ist auch der Journalist und Buchautor Tobias Haberl so eine Figur, und kaum hatte ich am Ostersonntag das Interview mit ihm in der NZZ gelesen, in dem er über seinen katholischen Glauben sprach und warum der, gegen allen Zeitgeist, so wichtig für ihn sei, begab ich mich ins Archiv. Haberl ist seit zwanzig Jahren beim Magazin der «Süddeutschen Zeitung», einem astrein werbefreundlichen Vierfarbumfeld, wo es zwischen 40 000-Euro-Küchen und 100 000-Euro-Uhren darum geht, wie kompliziert, doch letztlich schön das Leben ist. In einer Getränkekolumne plädierte er mal «für Pastis. Warum? Nehmen Sie den nächsten Billigflieger nach Marseille und gehen Sie morgens runter zum Hafen», denn dann trinkt man dort Pastis und ist «für ein deutsches Frühstückscafé, in dem die Gäste um neun Uhr morgens die Kopfhörer aufsetzen und drauflosmailen, für immer verloren», so verloren wie die Atolle, deren Untergang sich auch den Reisebefehlen unseres Lifestyle-Journalismus verdankt.

In seinem Buch «Wie ich mal rot wurde. Mein Jahr in der Linkspartei» unternahm Haberl dann einen Selbstversuch mit erwartbarem Ausgang, und als er hört, Oskar Lafontaine habe mit Blick auf die Industriellenfamilie Schaeffler gefragt, wie es möglich sei, «dass eine Frau zusammen mit ihrem Sohn ein Vermögen von zwölf Milliarden Euro besitzt», hat der teilnehmende Beobachter eine gute Antwort: «Ich kann an einer Frau, die von ihrem Mann ein Unternehmen geerbt hat, nichts Böses finden. Nicht einmal, wenn Deutschland Billionen von Schulden und mehr als sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun (!). Maria-Elisabeth Schaeffler hatte Glück (!), genau wie meine Kollegin, die neulich bei Günther Jauch eine halbe Million Euro gewonnen hat.» Haberl ist Arztsohn, und wenn der Schriftsteller Dietmar Dath nach eigener Aussage Kommunist ist, weil er keine reichen Eltern hat, dann ist Haberl aus dem umgekehrten Grund keiner, und das alles ist eigentlich nur deshalb interessant, weil er schreiben kann und so schreibt, wie ein netter Typ schreibt, und vermutlich ist er einer, im Biergarten etwa. Es gibt ja auch nette Katholiken.

Glaube jedenfalls ist der «Entschluss, ins Ungewisse zu springen, ohne jede Garantie zu vertrauen. Das klingt erst einmal verrückt, aber eigentlich machen wir das jeden Tag.» Denn wer sich öffnet, kann immer «auch betrogen werden und am Ende mit gebrochenem Herzen dastehen. Und doch machen wir es immer wieder, die Sehnsucht nach Liebe ist zu gross. Ich finde es reizvoll, dieses Risiko einzugehen.» Während aber der nun verstorbene Papst glaubte, dass «diese Wirtschaft tötet», und Jesus, den Haberl ausdrücklich als «Vorbild» führt, die Wechsler aus dem Tempel warf, vertrauen unsere risikobereiten Journalisten der gottgewollten Ordnung, weil es schon seine Richtigkeit haben wird, wenn die einen auf Milliarden sitzen, während die anderen wenigstens ins Himmelreich kommen.

Als der Calvinist Volker Wissing noch deutscher FDP-Minister war, sprach er von der «lebensprägenden» Idee, wonach der Mensch denkt, aber Gott lenkt: «Sie verleiht einem eine grosse Gelassenheit.» Haberls Bruchstück von der anderen Konfession: «Je mehr ich ins Gebet gehe, in die Stille, in die Messe, desto freier und gelassener fühle ich mich.» Und darum, fürchte ich, gehts: Wellness. Bleiben wir also agnostisch. Das Risiko gehe ich ein.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.