Auf allen Kanälen: Serie mit Folgen

Nr. 18 –

Wie eine britische Miniserie Bewegung in eine zähe Ungerechtigkeit brachte. Und warum sich das für die Produktion nicht auszahlte.

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stilisiertes Foto eines verwackelten Kopfs

In den ersten Januartagen des Jahres 2024 strahlte der öffentliche britische Fernsehsender ITV einen Vierteiler aus, der als eine der folgenreichsten Dokufiktionen in die Geschichte eingehen wird. Der alles andere als reisserische Stil und die unauffälligen Protagonist:innen von «Mr Bates vs the Post Office» liessen das Publikum zuerst wohl kaum erahnen, dass ihnen hier gleich von einem der grössten Skandale erzählt werden würde, der sich je im öffentlichen Sektor Grossbritanniens ereignet hatte.

25 Jahre lang hatte der Fall nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die er und damit die vielen Hundert geschädigten Poststellenpächter:innen verdient gehabt hätten. Deren Leben war in den Grundfesten erschüttert, teils ganz zerstört worden. Schuld daran war ein hartnäckiger IT-Fehler, den der Arbeitgeber, die Post, mit aufwendigen juristischen Manövern verleugnete.

Emotionale Mobilisierung

Das von der Post zur Verfügung gestellte IT-System Horizon spuckte wiederholt fehlerhafte Abschlüsse aus, an denen die Poststellenleiter:innen keinerlei Schuld hatten, die sie aber mit ihrem Privatvermögen ausgleichen mussten. Schnell ging es dabei um Zehntausende von Pfund, wer nicht zahlte, wurde vor Gericht gezerrt. Manche verschuldeten sich, mussten gar Privatkonkurs erklären. Einige hat man fristlos entlassen, andere landeten im Gefängnis, vier von ihnen nahmen sich das Leben. Familien wurden zerstört, die Geschädigten als Betrüger:innen hingestellt.

Schon kurz nachdem die Serie «Mr Bates vs the Post Office», die nun auch auf Deutsch in der Arte-Mediathek gestreamt werden kann, in die britischen Stuben platzte, wurde der Fall im Parlament verhandelt. Der damalige Premier Rishi Sunak schuf in Windeseile ein Gesetz zur Entschädigung der Geprellten und zur Entschuldung der fälschlich Verurteilten. König Charles entzog der Hauptverantwortlichen der Post einen fünf Jahre zuvor verliehenen Orden.

Seit 2009 waren mehrere Artikel in der Fachzeitschrift «Computer Weekly» erschienen, die als Erste über den Skandal berichtete, früh sprang auch das Satiremagazin «Private Eye» auf. Die BBC brachte Radio- und TV-Beiträge in ihren lokalen, später auch den nationalen Sendern, 2015 erschien eine Doppelseite im Boulevardblatt «Daily Mail», weitere nationale Zeitungen berichteten. 2019 gewann eine Gruppe um den titelgebenden Alan Bates eine Sammelklage vor dem High Court. 2021 publizierte ein Investigativjournalist ein Buch zum Fall. Doch all das hatte nicht ansatzweise die emotionale Wirkung des Vierteilers von ITV.

Kraft der Vernetzung

Es ist tatsächlich fast unmöglich, unbeteiligt zu bleiben, wenn der Computer der Poststellenleiterin Jo Hamilton nach einem langen, strengen Arbeitstag einen immer weiter wachsenden Verlust anzeigt, obwohl sie ihre Einkünfte perfekt im Griff hat; und wenn sie dann von der Horizon-«Helpline», später von der Post und auch von der Gewerkschaft fadengrad angelogen wird. Ihr und allen anderen Hilfesuchenden wurde wider besseres Wissen erklärt, sie seien die Einzigen, die Probleme hätten mit Horizon. Der Vierteiler erzählt aber nicht nur von Ohnmacht, sondern auch vom Lohn der Hartnäckigkeit und Unerschrockenheit – und von der Kraft der Vernetzung auf eigene Faust, die den Fall überhaupt erst ins Rollen brachte.

Dass der Trick einer solchen Dramatisierung allerdings nicht immer so gut funktioniert, zeigt aktuell die deutsch-dänische Serie «Die Affäre Cum-Ex», eine Fiktionalisierung der bislang grössten europäischen Steuerbetrugsaffäre. Das hätte vom Stoff her viel Potenzial, zerschellt aber an papierenen Figuren und einer unübersichtlichen Dramaturgie.

Wermutstropfen: Die kleine britische Serie mit der grossen Wirkung war trotz begeisterter Zuschauer:innen und Kritiken ein Verlustgeschäft. Bei ITV spekuliert man, dass die Geschichte zu lokal sei, weswegen man «Mr Bates vs the Post Office» nicht lukrativ ins Ausland oder an einen grossen Streamer verkaufen konnte. Dabei sind die mutigen britischen Pöstler:innen in ihrem Kampf gegen das himmelschreiende Unrecht so viel interessanter als die faden Reichen der Erfolgsshow «The White Lotus».

«Unschuldig – Mr. Bates gegen die Post» (Buch: Gwyneth Hughes, Regie: James Strong) kann noch bis 24. Juni in der Arte-Mediathek gestreamt werden.