ESC: Ausschlussforderung ist legitim
Soll der European Song Contest Israel wegen der in Gaza verübten Kriegsverbrechen sanktionieren? Das kann man gut so sehen.
Vor der Eröffnung des Eurovision Song Contest (ESC) wurde ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen. «Am Rhein droht ein Nahost-Konflikt», titelte der «SonntagsBlick». Jonathan Kreutner vom Israelitischen Gemeindebund wiederum forderte, genau hinzuschauen, «was sich da zusammenbraut». Am Rand der Parade der Länderdelegationen demonstrierten dann «geschätzt 150» (NZZ) Leute gegen die Teilnahme Israels am ESC, buhten die israelische Delegation aus und blockierten für ein paar Minuten deren Tram. Er verlief unspektakulär, dieser Sonntag in Basel. Immerhin stiess die NZZ-Reporterin noch auf zwei «grossgewachsene Männer mit Palästina-Flaggen», die sich vor zwei Jugendlichen «mit kleinen Israel-Fahnen» aufbauten. Das Muster ist bekannt: Die Palästinabewegung wird als besonders aggressiv dargestellt, um den von ihr formulierten Positionen grundsätzlich die Legitimität abzusprechen.
Soll Israel vom ESC ausgeschlossen werden, so wie Russland seit dem Angriff auf die Ukraine 2022? Das fordern zum wiederholten Mal in der Geschichte des ESC Petitionen, unterzeichnet von zahlreichen Schweizer Kulturschaffenden und ehemaligen ESC-Teilnehmer:innen. Doch ohne eine prominente Stimme wäre die Aufregung kaum so gross: Ende letzter Woche schloss sich auch Nemo der Forderung an – und wurde dafür in den Medien routiniert abgekanzelt. Nur dank Nemos Sieg letztes Jahr steigt die grosse Sause in Basel, der unliebsame Einwurf kratzt auch am Nationalstolz.
Die symbolpolitische Forderung ist auch Ausdruck der Machtlosigkeit angesichts der fortgesetzten und von westlichen Staaten – auch durch Waffenlieferungen – mitgetragenen Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Gazastreifen. Es ist längst keine aktivistische Extremposition mehr, diese als Genozid einzustufen, namhafte Expert:innen sehen gute Gründe dafür. Ende April schrieb gar die konservative FAZ, es sei nicht überraschend, dass der Internationale Gerichtshof über den Vorwurf des Völkermords berate. Natürlich glaubt niemand, dass der ESC Einfluss auf die Entwicklung in Gaza hat. Sicher aber würde sich ein Ausschluss vom zweifelsfrei politisch aufgeladenen Wettbewerb mit erklärter Friedensmission nicht gut machen für Israel, das ja stets auch grosse Anstrengungen unternimmt, sein militärisches Vorgehen zu rechtfertigen.
Der ESC sei eine unpolitische Veranstaltung, so steht es im Reglement. Die Verantwortlichen bekräftigen das gern mit Nachdruck, neu ist auf der Bühne nur noch die jeweilige Landesflagge erlaubt. Journalist:innen klagen gern, der Anlass werde als politische Plattform missbraucht. Doch wirklich aussperren lässt sich die Politik nie. Es gibt eine lange Geschichte versteckter oder poetisch verarbeiteter politischer Botschaften in ESC-Songs. Der diesjährige israelische Beitrag ist ein gutes Beispiel dafür.
«New Day Will Rise» passt als dramatische Ballade, gesungen von einer attraktiven jungen Frau (wie schon der Beitrag von Eden Golan 2024), nicht nur perfekt ins ESC-Schema. Die Sängerin Yuval Raphael ist zudem eine Überlebende der Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023. Der Song handelt vom Durchhalten, gesungen auf Englisch, Hebräisch und, nein, nicht Arabisch, sondern Französisch – Raphael wuchs unter anderem in Genf auf. Es ist eine Geschichte, wie sie auf dieser Bühne gut funktioniert. Der israelische Staat betreibt damit offensichtlich auch PR in eigener Sache.
Oder um genau zu sein: die staatliche israelische Rundfunkanstalt KAN. Weil der ESC formell ein Wettbewerb der einzelnen Medienhäuser ist, richtet sich die Ausschlussforderung des Schweizer Ablegers von Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) denn auch wohlüberlegt gegen KAN. Zu Methoden und Forderungen von BDS kann man unterschiedlicher Meinung sein, eine Position dazu wurde letzte Woche auch in dieser Zeitung formuliert. Ungeachtet dessen ist es völlig legitim zu fordern, dass ein Land, das einen verbrecherischen Krieg führt, von einem national gefärbten Gesangswettbewerb ausgeschlossen wird.