Auf allen Kanälen: Ach Mann!

Nr. 22 –

Zerstörerische Männlichkeit, in welche Zeitung man auch blickt. Dabei könnten Männer heute viel Gutes bewirken, argumentiert Mareike Fallwickl.

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Ausschnitt aus einem stilisierten Foto von Mareike Fallwickl

Es sind düstere Tage in der Manosphere. Um 5 Uhr aufstehen, in einem Buch über Mindset und Disziplin lesen, eine halbe Stunde joggen, nach der Arbeit zwei Stunden Lektionen von Andrew Tate schauen, wieder trainieren und zum Schluss noch die Bibel studieren. Von seinem typischen Tagesablauf hat der achtzehnjährige Fabio dem «Tages-Anzeiger» erzählt, dies im Rahmen einer mehrmonatigen Recherche zur abgründigen Welt von Tate.

«The Real World University» nennt sich die Plattform für Onlinekurse, zu denen sich 100 000 junge Männer gleichzeitig einloggen sollen. Was sie dort angeblich lernen, ist erstaunlich banal: schnelles Geld verdienen. Alles andere, auch der Erfolg bei Frauen, soll daraus folgen. Tate, in Rumänien angeklagt wegen Vergewaltigung und Menschenhandel, hat sich ein lukratives Geschäft aufgebaut, das die Unsicherheit junger Männer ausbeutet. Doch er trichtert ihnen auch eine Ideologie ein: antidemokratische Botschaften, unverhohlenen Frauenhass.

Analytisches Stückwerk

Männerwelten, Maskulinismus, Männergewalt – wenn man dieser Tage eine Zeitung aufschlägt, liest man mit grosser Wahrscheinlichkeit über vermehrte Raumnahme und Gewalt von Männern. (Ein verstörendes Beispiel, das in Deutschland Schlagzeilen machte: Bei einer Razzia wurden mehrere junge Männer verhaftet, einer von ihnen gerade mal vierzehn, zwei fünfzehn Jahre alt, die vermutlich einer rechtsextremistischen Gruppe angehören, die Anschläge plante und bereits verübt hat.)

Droht sich die Manosphere – der Begriff bezeichnet digitale Räume, in denen antifeministisches Gedankengut propagiert wird – auf die ganze Welt auszudehnen, wenn der US-Präsident ihre Ideale teilt? Ob die Welt immer männlicher wird, fragte die «Zeit» in einer Titelgeschichte, ein ähnlich gelagerter Text erschien in der «NZZ am Sonntag». Die Texte tragen Expert:inneneinschätzungen und statistische Hinweise auf grossräumige Tendenzen zusammen: von Effekten der heruntergefahrenen Diversityprogramme bis zu ansteigenden Zahlen von häuslicher Gewalt und Femiziden. Das Ergebnis lautet in etwa: Reaktionäre männliche Radikalisierung schreitet vor allem im Netz voran, verzögert schlägt sie sich auch in der Politik nieder.

Die Analysen bleiben Stückwerk, die neue Realität monströs. Das ist auch die Diagnose von Klaus Theweleit, Autor der epochalen Studie «Männerphantasien» (1977): Das Interview mit der «Zeit» ist sein erstes seit Jahren. Zu Beginn wundert er sich über die Selbstgewissheit, mit der Intellektuelle wie Herfried Münkler oder Jürgen Habermas die politische Gegenwart erklären. «Ich möchte zumindest die Frage stellen», sagt Theweleit, «ob sich mit der Spezies Mensch nicht gerade wieder etwas vollzieht [...], das unsere Auffassungsmöglichkeit übersteigt.»

Kein Vakuum

Ein paar Denkansätze gibt er trotzdem: etwa zu einer «neuen Sorte auftrumpfender Überlegenheit», mit der Trump, Putin oder Le Pen völlig angstfrei Unwahrheiten in die Welt setzen. Und über das «Elektronische als Körperteil», eine ständige Verbindung ins Netz, wo sich «für jede Scheisse» viel Zuspruch und politische Macht erlangen lässt. Die Frage nach fehlenden positiven Rollenbildern für Männer beantwortet Theweleit mit einer Gegenfrage: «Wieso sollte das Kümmern um Kinder nur eine weiblich konnotierte Eigenschaft sein?»

Ähnlich argumentiert die österreichische Autorin Mareike Fallwickl, von der gerade der Essay «Liebe Jorinde oder Warum wir einen neuen Feminismus des Miteinanders brauchen» erschienen ist: Der gern als Erklärung für ausbleibende Fortschritte herangezogene Befund fehlender Vorbilder greife zu kurz. Schliesslich hätten Mädchen, die sich am Feminismus orientieren, dieselbe Ausgangslage. «Ich glaube nicht an das Vakuum, das Jungs angeblich handlungsunfähig macht.»

Im Gegenteil: Die überschwänglichen Reaktionen auf einen wie Tim Walz, der feministische Politik macht und öffentlich für Frauen einsteht, zeigten eine Sehnsucht nach positiven Männerbildern. Fallwickls Essay ist ein beherzter und berührender Aufruf an Männer, ihre Vormachtstellung positiv zu nutzen. Männer blieben passiv, obwohl jeder von ihnen genau wisse, welche Gefahr von anderen Männern ausgehe. Nur wenn es gelinge, Männer einzubeziehen, könne sich der Feminismus heute noch weiterentwickeln.