Dan Gallin (1931–2025): Ein Leben für die Internationale
Sechzig Jahre seines Lebens widmete Dan Gallin der Arbeiter:innenbewegung. Nachruf auf einen Gewerkschafter, dessen Biografie sich wie eine Geschichte des 20. Jahrhunderts liest.

Dan Gallin. Foto: Schweizerisches Sozialarchiv
Die Trauergemeinde, die sich am Freitag letzter Woche auf dem Friedhof Saint-Georges in Genf versammelte, um von Dan Gallin Abschied zu nehmen, war so international, wie es das Leben des Sozialisten gewesen war: Gewerkschafter:innen aus Schweden, Indien und der russischen Opposition, aber auch Schweizer Politiker:innen wie Altbundesrätin Ruth Dreifuss kamen in der Kapelle auf dem Friedhofsgelände zusammen, um Gallin zu gedenken.
Geboren wurde Dan Gallin am 26. April 1931 in Lemberg, dem heutigen Lwiw in der Ukraine, damals noch Teil von Polen. Dass er einmal eine internationale politische Laufbahn einschlagen würde, scheint folgerichtig, wenn man sich seine Familiengeschichte anschaut – dass er dies als Gewerkschafter und Sozialist tun würde, eher weniger. Als Gallin auf die Welt kam, amtete sein Vater in Lemberg als rumänischer Generalkonsul. Gallins Mutter, die unter anderem armenopolnische Vorfahr:innen hatte und deutschsprachig war, stammte aus Czernowitz, heute das ukrainische Tscherniwzi.
1936 wurde Gallins Vater nach Hamburg versetzt. Dort besuchte Dan zunächst eine katholische Schule, für die sich seiner Aussage nach die Eltern entschieden hatten, weil sie den Ruf hatte, weniger «nazistisch verseucht zu sein» als andere. 1943 schickten ihn seine Eltern auf die elitäre Internatsschule Le Rosey im waadtländischen Rolle. Nach der Absetzung des Vaters als rumänischer Konsul in Genf durch die neue stalinistisch geführte Regierung verlor die Familie 1949 die rumänische Staatsbürgerschaft.
Gegen die globalen Konzerne
Im selben Jahr zog Dan Gallin in die USA, wo er an der University of Kansas politische Wissenschaften studierte und nebenher begann, sich politisch zu engagieren. 1951 schloss er sich der Independent Socialist League (ISL) an, einer kleinen, vehement antistalinistischen Gruppe, die sich 1939 auch vom Trotzkismus gelöst hatte. Für die ISL war die UdSSR geprägt von einem «bürokratischen Kollektivismus», der nichts mit dem Sozialismus gemein hatte. Wegen seiner politischen Aktivitäten musste Gallin schliesslich die USA verlassen. Sein Studium schloss er in Genf ab, und dort trat er 1955 auch der SP bei, der er bis zu seinem Tod angehörte.
1960 bewarb er sich erfolgreich bei der Internationalen Union der Lebensmittelarbeiter (IUL), die ihren Sitz in Genf hat. Dort war er anfänglich als Assistent des Generalsekretärs, Juul Poulsen aus Dänemark, tätig. Nach dessen Pensionierung übernahm Gallin 1968 selbst die Stelle des Generalsekretärs, die er bis 1997 innehaben sollte. Unter Gallin transformierte sich die IUL von einer Informationsbörse der Mitgliedsgewerkschaften zu einer internationalen Kampforganisation.
Der Kampf der IUL galt vorab den zunehmend global tätigen Konzernen. 1973 und 1974 übte sie anlässlich eines Streiks bei der Nestlé-Tochter Perulac im peruanischen Chiclayo mit einer internationalen Kampagne so starken Druck aus, dass Perulac schliesslich die Gewerkschaft anerkannte und einen Gesamtarbeitsvertrag mit ihr abschloss. In den achtziger Jahren mobilisierte die IUL ihre Mitglieder mit Erfolg gegen Coca-Cola, nachdem wiederholt gewerkschaftliche Vertrauensleute in einem Abfüllbetrieb des Getränkekonzerns in Guatemala Mordanschlägen zum Opfer gefallen waren.
Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges galt es zudem, Agent:innen der Geheimdienste aus Ost und West abzuwehren. Diese versuchten, die internationale Gewerkschaftsbewegung zu infiltrieren und sie für ihre Ziele dienstbar zu machen. Für Dan Gallin war immer klar, dass die grundlegende Trennungslinie in der Welt nicht die vertikale zwischen den beiden Blöcken sei, sondern die horizontale zwischen der Arbeiter:innenklasse und ihren Herrscher:innen. «Wir sind nicht ‹Ost› oder ‹West›, wir sind ‹unten›, wo die Arbeiter sind.»
Keine Ruhe im Alter
Nach seiner Pensionierung gründete Gallin 1997 das Global Labour Institute (GLI) in Genf, das über die Jahre zu einem internationalen Netzwerk von Institutionen in Manchester, Paris und Moskau wurde, die alle der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung und dem demokratischen Sozialismus verpflichtet waren. Zudem setzte sich Gallin für die Öffnung der internationalen Gewerkschaftsbewegung für prekär beschäftigte Arbeiterinnen in den Ländern des Südens ein. So stand er etwa der indischen Self-Employed Women’s Association mit Rat und Tat zur Seite.
Noch mit deutlich über achtzig Jahren war Dan Gallin regelmässig weit über die Landesgrenzen hinaus für sein Institut unterwegs. Gehschwierigkeiten schränkten seine Mobilität ein, wobei er dies humorvoll kommentierte. So schrieb er mir im Februar 2018: «Du kannst praktisch jederzeit auftauchen, ich habe sehr wenige Termine. Am besten, wir treffen uns bei mir zu Hause – es ist bequemer, und der Whisky ist billiger.» Erst in den letzten Jahren schränkte sein stark abnehmender Seh- und Hörsinn Gallin gravierend ein.
Am 31. Mai 2025 starb er im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Carouge bei Genf. Mit ihm verliert die internationale Arbeiter:innenbewegung einen wichtigen Denker, Lehrer, Kämpfer und Organisator.