Literatur: Grünzeug ist verdächtig

Nr. 24 –

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Buchcover von «Air»
Christian Kracht: «Air». Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch. Köln 2025. 224 Seiten.

Routiniert genervt oder feierlich raunend: Dazwischen gab es kaum etwas in den Besprechungen von «Air», dem neusten Roman von Christian Kracht. Man musste schon auf die «Berlin Review» warten für einen abgeklärten Ton und einen umso gründlicheren Blick, der auch Krachts Verhältnis zum reaktionären norwegischen Kitschmaler Odd Nerdrum aufschlüsselte.

Ein Werk von Nerdrum ziert – nicht zum ersten Mal bei Kracht – das Cover von «Air». Und die literarische Kulisse, die Kracht zu Beginn des Romans aufbaut, wirkt wie eine kalkulierte Selbstparodie des Autors, den der «Spiegel» einst als «Türsteher der rechten Gedanken» abstempelte. Da ist Paul, zivilisationsmüder Schweizer Einrichtungsprofi, dem selbst die Orkneys, auf die er sich zurückgezogen hat, noch nicht abgeschieden genug sind. Dann erreicht ihn ein ominöser Auftrag: Für ein exklusives Nischenmagazin soll er «das perfekte Weiss» finden.

Weltflucht, elitärer Habitus, die Farbe Weiss als Fetisch und dann noch ein nerdiger Verleger, der fürs slawische Neuheidentum schwärmt: Kracht fährt ein ganzes Arsenal an Motiven auf, die ideologisch Alarm blinken. Und dann lässt er diese Kulisse mit dem billigsten Trick, den die Literatur zu bieten hat, einfach implodieren: kosmischer Störfall, Raum und Zeit sind aus den Fugen. Paul ist wie weggezaubert – bleibt uns aber in einer Parallelwelt erhalten, wo ein Fremder von einem Mädchen namens Ildr verwundet und dann gesund gepflegt wird. Vor einer Seuche und einem despotischen Herrscher fliehen die beiden in den Süden, wo eine Art polarkommunistische Utopie von kristalliner Sauberkeit auf sie wartet. Oder ist das auch nur ein dubioser Reinheitskult, wenn einem – so lustig war Kracht noch nie – sogar Gemüse suspekt wird, weil es im Dreck wächst?

Und wieso wird «alles immer flacher», wie der Fremde bemerkt? Der Wunsch nach dem unverfälschten Leben, wahr geworden in einer naiven Fantasywelt: Das ist der reaktionäre Traum, den Kracht in diesem literarischen Glasperlenspiel buchstäblich zusammenfaltet.

Christian Kracht im Gespräch mit US-Autor Joshua Cohen in: Leukerbad Literaturfestival, 20.–22. Juni 2025. Genauer Termin siehe www.literaturfestival.ch.