Pop: Gitarren aus dem Wurmloch

Nr. 24 –

Die Rockgeschichte als Gebrauchtteillager: Die Young Gods sind lebende Legenden, doch die gesampelten Gitarren der Genfer klingen gerade wieder angriffslustig und frisch.

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Bandfoto von The Young Gods mit Cesare Pizzi, Franz Treichler und Bernard Trontin
Wenn ein sägendes Rockriff in einen Nebel aus knisternder Elektronik und verlorenen Stimmen einbricht: The Young Gods mit Cesare Pizzi, Franz Treichler und Bernard Trontin.

Und dann war da noch der Moment, als die Young Gods von Guns N’ Roses gesampelt wurden. 2008 erschien nach über zehnjähriger Überproduktion «Chinese Democracy», das sechste Studioalbum der Rockband aus Los Angeles, und da fand sich unter den unzähligen, heillos übereinandergeschichteten Tonspuren auch ein Sample der Westschweizer: das elektronische Intro von «Attends» aus dem Jahr 2000, gut zu erkennen am Anfang von «Riad N’ the Bedouins», bevor eine komprimierte Schweinerockgitarre darüberfräst.

«‹Ihr müsst sie verklagen, da könnt ihr reich werden!›, haben uns Leute geraten. Aber nein! Wir hatten Guns N’ Roses ja mehrmals selber gesampelt, und sie haben nichts dagegen unternommen. Es war, als hätten sie uns einen Gruss geschickt: ‹Hey, wir habens gemerkt!›» Franz Treichler, Sänger der Young Gods, sitzt auf der lauschigen Dachterrasse einer Zürcher Gartenbeiz, als er die Anekdote erzählt. Neben ihm Cesare Pizzi, der Mann am Sampler, der die Band 1985 mit Treichler in Genf gegründet hat, und Bernard Trontin, langjähriger Freund der beiden, seit 1997 ihr Schlagzeuger.

Wie gebannt

Die Young Gods haben ein neues Album, es heisst «Appear Disappear». Es klingt angriffslustig und frisch, auch weil sich die Band hier auf den Kern ihrer Ästhetik besinnt: die unverkennbare Wirkung gesampelter Gitarren. Auf dem ersten Album, «The Young Gods» (1987), galten diese als Pioniertat, als Griff in die Musik der Zukunft. Die Young Gods machten Songs aus recycelten Fragmenten und Überresten aus der Rockgeschichte, oft von dort, wo es heult und kreischt. Sie bedienten sich bei den Sex Pistols, bei Iggy Pop, Nirvana, gar AC/DC. Ihre Musik klang darum oft nach Rock, mechanisch gesehen war sie weit davon entfernt. Obwohl Franz Treichler Gitarre gelernt hatte, fasste er das Instrument für die Young Gods bis in die nuller Jahre aus Überzeugung nicht an. Das traditionelle Bühnen-Set-up: Gesangsmikrofon, Schlagzeug und ein Sampler, der meist aussieht wie ein Keyboard.

Die Gitarren aus diesem Sampler, sie klingen, als würden sie aus einem Wurmloch in den Moment einfahren und sich genauso plötzlich wieder dorthin verziehen. Sie können einen erschüttern, direkt in die Knochen fahren, und gleichzeitig sind sie ihrer ausufernden Dominanz beraubt: Durchs Zuschneiden und Modulieren, durchs Einfrieren und durch die identische Wiederholung im Loop klingen sie wie gebannt.

Es gibt einiges mehr, was den Sound der Young Gods ausmacht: Schnipsel aus Orchestermusik, Einflüsse aus dem französischen Chanson und der psychedelischen Musik der sechziger und siebziger Jahre, später auch aus dem Techno. Treichlers Gesang, der auf eine trockene Art dramatisch klingt. Zuletzt feilten sie am fein kalibrierten Zusammenspiel, an sich langsam entwickelnden Dramaturgien, auf dem Album «Data Mirage Tangram» (2019) und mit «In C» des Minimal-Komponisten Terry Riley. Dieses modulare, in der Interpretation ziemlich freie Stück, das bei jeder Aufführung wieder ein bisschen anders klingt (und das sie auch im Studio einspielten), war Neuland für die Young Gods. Und doch hat dieser Baukasten aus Grooves und Sounds auch viel mit der Art zu tun, wie die Band schon immer gearbeitet hat.

Bandfoto von The Young Gods mit Cesare Pizzi, Franz Treichler und Bernard Trontin

«Das Instrument, das ich bei den Young Gods spiele, gibt es eigentlich gar nicht», sagt Cesare Pizzi über den Sampler. Klar, es gab sie seit den achtziger Jahren, die Geräte, die kurze Teile aufgezeichneter Musik auf eine gewünschte Weise abspielen und massgeblich an der Erfindung von Hip-Hop beteiligt waren. Doch der Sampler ist im Grunde bloss ein Werkzeug, das den Zugang zum Material ermöglicht, wie Pizzi erklärt: «Eigentlich muss ich den Sampler immer wieder aufs Neue bauen, die Sounds so zusammenstellen und ordnen, damit ich damit ein Set von Songs spielen kann.» Die Technik habe sich über die Jahre verfeinert, sagt Pizzi, der auch als Programmierer arbeitet, aber das Prinzip sei gleich geblieben.

Nach der Gründung und den ersten beiden Alben verliess Pizzi 1988 die Young Gods, es sollte eine längere Pause werden. Als 2012 das Telefon kam, weil sein Nachfolger Al Comet aufgehört hatte, dachte Pizzi zuerst, Treichler wolle ihm vermutlich seinen kaputten Computer zur Reparatur geben. Die Bedienung der Geräte habe ihm nie Probleme bereitet, sagt Pizzi, aber beim Spielen auf der Bühne habe er dann viel aufholen müssen.

Als Pizzi damals ausstieg, begann die Sache mit den Samples komplizierter zu werden. Ende Achtziger fanden die ersten Urheberrechtsprozesse statt, im Fokus stand der Hip-Hop. Während das Sampling im Hip-Hop oft dazu diente, andere zu zitieren und mit den Bedeutungen zu spielen, sei das für die Young Gods nie zentral gewesen, sagt Treichler: «Am Anfang konnten wir es uns schlicht nicht leisten, richtig gut klingende Gitarren selber aufzunehmen, also haben wir sie gestohlen und recycelt. Für uns war das Punk.» Oft waren die Samples stark verfremdet; was die Young Gods interessierte, waren die Sounds an sich. «Meistens haben wir Bands gesampelt, die wir mögen», so Treichler. «Aber auch mal was von Kiss, die hatten einfach grossartige Gitarrensounds.»

Antraben beim Sampledoktor

Als die Young Gods für ihr Album «Only Heaven» Mitte der Neunziger beim US-Label Interscope unterschrieben, mussten sie vor der Veröffentlichung beim sogenannten «sample doctor» antraben. Einzureichen war eine Liste mit allen verwendeten Samples, dann sass da eine Anwältin mit fundiertem Musikwissen. «Wir hörten unsere Songs und die Originale, dann sagte sie zum Beispiel: ‹Was, das ist Prince?! Da müsst ihr nichts machen.›» Wären auch nur zwei Sekunden von Prince erkennbar gewesen, hätte das damals bedeutet, die Hälfte der Rechte für den ganzen Song abgeben zu müssen. Am Schluss war zum Glück alles unkenntlich genug.

Oder man versteht das Sampling als Ehrerbietung, wie einst vermutlich Deep Purple. Trontin erinnert sich an den Moment, als er 1995 eine Neuauflage von deren Album «In Rock» in den Händen hielt. Die Band sei zufrieden mit dem Klang der neu gemasterten Songs, las er im ausführlichen Booklet, und dahinter in Klammern die Bemerkung, jetzt könnten die Young Gods das ja wieder sampeln. Drei Jahre zuvor hatten sie sich für den Song «Gasoline Man» bei Deep Purple eine keifende Hammondorgel geliehen. Bis auf jene Notiz hatten diese sich nie etwas anmerken lassen.

Aufreibend und federleicht

Die Young Gods lieben solche Zuspitzungen wie im schrillen Sound dieser Orgel, zu hören bei 1:22 Minuten. Dazu spielt das Schlagzeug einen federnden Beat, der das zerhackte Gitarrenriff in einen schwingenden Groove einspannt. Es ist eines ihrer faszinierenden Talente, wie sie den Druck und die Härte mancher Sounds in rhythmischen Dynamiken brechen, wie sie aufreibend und gleichzeitig federleicht klingen können.

Man hört das auch auf dem neuen Album. Bei «Tu en ami du temps» bricht ein sägendes Rockriff in einen Nebel aus knisternder Elektronik und verlorenen Stimmen ein, verstärkt noch mit harten Schlägen auf die Snare. Und dann, beim zweiten Durchlauf, fügen sich zwei tiefe, um einen halben Schlag versetzte Akzente zum Beat, der plötzlich über einem bodenlosen Abgrund zu schwingen beginnt. Ähnlich das elegant stolpernde Riff von «Blue Me Away». Es ist ein Liebeslied an Treichlers kürzlich verstorbene Partnerin Heleen, ein Song eher zum Headbangen als zum Weinen. Und in «Systemized» klingt es manchmal so, als würden die Gitarren den Beat anknurren.

Trotz ihrer Liebe zum Konzeptuellen klingt die Musik der Young Gods nie verkopft. «Wir jammen oft, wenn wir proben», sagt Pizzi. Und Treichler erzählt, wie die anderen beiden einmal plötzlich Funk gespielt hätten, als er auf der Toilette war. Tatsächlich gibt es ein paar Demos mit derartigen Experimenten. «Doch wir haben dann gemerkt», sagt Treichler, «dass wir drei ‹white guys› keinen Funk spielen müssen.»

Album-Cover «Appear Disappear» von The Young Gods
The Young Gods: «Appear Disappear». Two Gentlemen. 2025.a

Live: Düdingen, Bad Bonn Kilbi, 4. September 2025; Genf, L’Usine, 16. Oktober 2025; Zürich, Rote Fabrik, 17. Oktober 2025. Ganze Tour unter younggods.com.