Comic: Schlag ins Zentrum der Körperpolitik
Ein visuelles Manifest über Scham, Gewalt und gesellschaftliche Erwartungen: Für ihre Graphic Novel «Bauchlandung» ging Wanda Dufner von ihrer eigenen Schwangerschaft als Teenagerin aus.

Es ist ein sonniger Frühsommertag, der Weg vom Bahnhof Lenzburg zur ehemaligen Wisa-Gloria-Fabrik ist fast zu kurz, um das Flirren der Jahreszeit aufnehmen zu können. Vor dem wuchtigen Industriebau empfängt Wanda Dufner mit einem zurückhaltenden Lächeln. Ein paar Treppen weiter oben, im Atelier der Designerin, Künstlerin und Zeichnerin, warten Bilder, die so grell wie verstörend sind. Sie stammen aus Dufners Graphic Novel «Bauchlandung», die begeistert besprochen wurde und jetzt den Prix Delémont BD für den besten Schweizer Comic des Jahres gewonnen hat.
Mit ihrem Körper war Dufners schüchterner Protagonistin bereits vor der Schwangerschaft nicht wohl. Zu klein die Brüste, zu breit die Hüfte. Findet sie. Erst mal nicht aussergewöhnlich für eine Teenagerin, die in einer sexistischen Gesellschaft aufwächst. Bei der siebzehnjährigen Noemi geht das Schamgefühl aber über pubertäres Unwohlsein hinaus. Alles, was mit Sexualität zu tun hat, ekelt sie an. Als sie den acht Jahre älteren Adi kennenlernt, hofft sie auf romantische Liebe, findet sich aber in einer toxischen Abhängigkeit wieder und wird von Adi gedrängt, mit ihm zu schlafen. Ohne Verhütung.
Männer, die «ablaichen»
«Wenn eine Jugendliche schwanger wird, wird oft fälschlicherweise suggeriert, sie habe ein ausschweifendes Sexleben», sagt Wanda Dufner. Sie weiss um solche Zuschreibungen. Vor fünfzehn Jahren hat sie selbst ein Kind bekommen, mit siebzehn. Sie habe lange gebraucht, um sich dem Thema Teenagerschwangerschaft wieder zu nähern, sagt Dufner. Sie spricht leise und bedacht. Auch wenn sie das Thema in «Bauchlandung» stark fiktionalisiert habe, sei die Arbeit an ihrem Debüt zeitweise doch sehr herausfordernd gewesen: «Beim Zeichnen habe ich vieles, was ich erlebt habe, erst richtig analysiert. Und manches war mir vorher gar nicht klar.»
Angefangen habe alles mit einzelnen Zeichnungen, die erst später zu Szenen im Buch wurden. Die leuchtenden Bilder, die Dufner auf dem iPad für ein feministisches Magazin in Kanada anfertigte, sind voller Naturmotive. Eine Teenagerin hält sich im Wald an den Rändern eines Teichs fest, ihr Blick leicht panisch. Ein junger Mann penetriert sie von hinten. Unter den beiden türmen sich unzählige Eier, wie von einem Frosch. Männer müssten halt «ablaichen», hatte einmal ein älterer Mann zu Wanda Dufner gesagt. Kolleginnen hätten sie ermuntert, an den Sujets dranzubleiben, erinnert sie sich. Das war vor vier Jahren.
Als bei Noemi die zweite Linie auf dem Test erscheint, scheint plötzlich die ganze Welt ein Mitspracherecht zu haben. Für Dufners Figur ist eine Abtreibung kein Thema, zu stark ist sie von ihrer katholischen Grossmutter beeinflusst, die auch die Einzige ist, die sich wirklich für sie einsetzt. Noemis Eltern versinken abgrundtief in Selbstmitleid, und vom Rest ihres Umfelds erfährt sie eine Verurteilung, die zusammen mit ihrem Bauch anwächst. «Sie erlebt den Fall von der Heiligen zur Hure im Schnelldurchlauf», sagt Dufner.
Die Schwangerschaft von Dufners Protagonistin entwickelt sich in «Bauchlandung» schnell zum albtraumhaften Trip. Noemis Körper wird beobachtet, eingeordnet und bewertet. Die bitterböse Bildsprache ist durchsetzt mit Slasher-Elementen: Der Gynäkologe wirkt wie ein psychotischer Clown, Noemis Vulva wird auch mal symbolisch von einem Messer durchbohrt, abgetriebene Föten sorgen in ihrer Vorstellung für Umweltkatastrophen. «Ich mag eigentlich keinen Horror», sagt Dufner, «aber manchmal braucht es gewaltvolle Bilder, um Hoffnungslosigkeit und Schmerz zu vermitteln.»
Einzig der trockene Humor, die bizarre Verzerrung in Comicmanier und die knallbunten Farben machen die bedrückende Isolation erträglich, in die Noemi unaufhaltsam gleitet. Auch ihre Schwangerschaft, sagt Dufner, sei von einem latenten Gefühl der Hoffnungslosigkeit geprägt gewesen. Trotz der Unterstützung ihrer Familie, von der sie wusste, dass sie sie immer auffangen würde. Zwar hätten sich Ärzt:innen und Lehrer:innen nach körperlichen Beschwerden erkundigt; doch dass sie nachts von Heulkrämpfen geschüttelt wurde, schien kaum jemanden zu interessieren.
Plötzlich ist es legitim
Wie Noemi las auch Dufner vor der Geburt ihres Kindes in den Blicken der meisten Menschen vor allem Herablassung und Enttäuschung. Diese Zeit sei von Traurigkeit durchzogen gewesen – und von einer Wut, die sich lange nur gegen sie selbst richtete. Die Wut nach aussen kam erst später: «Dafür muss dir erst einmal bewusst werden, dass dir Unrecht geschieht. Ich aber sah in dem, was ich getan hatte, einen schweren Fehler. Etwas, das ich ganz allein wiedergutmachen musste.»
Auch heute überwiegt nicht die Wut, sondern die Enttäuschung, weil es auch anders hätte laufen können. Die Sorgearbeit für Dufners Kind übernahmen in den ersten Jahren fast vollständig ihre Eltern, vor allem ihre Mutter. Auch sie litten unter dem gesellschaftlichen Druck. «Von aussen wird die Schwangerschaft einer Jugendlichen oft als persönliches Versagen ihrer Eltern angesehen», sagt Dufner. Dabei war ihre Situation längst kein individuelles «Dilemma». Vielmehr ist sie auch Symptom eines kapitalistischen Systems, das familiäre Sorgearbeit systematisch privatisiert – und vor allem Frauen aufbürdet. Eine Teenagerschwangerschaft macht sie einfach besonders sichtbar: die strukturelle Unvereinbarkeit von Ausbildung, Lohn- und Sorgearbeit.
Das Gefühl, ihren «Fehler» wiedergutmachen zu müssen, trieb Dufner nach der Geburt an, schnellstmöglich die Fachmittelschule abzuschliessen, ein Illustrationsstudium in Luzern zu beginnen und sich selbstständig zu machen. Dabei hätte sie sich damals mehr Zeit gewünscht. Um für sich selbst und ihren kleinen Sohn zu sorgen. Die Anerkennung für ihre junge Mutterschaft kam in ihrem Umfeld jedoch erst durch ihr übermässiges Leistungsstreben: «Als ich bewiesen hatte, dass ich alles bewältigen konnte, wurde mein Muttersein plötzlich wieder als legitim betrachtet.»
Mit «Bauchlandung» will Wanda Dufner schwangeren Jugendlichen Mut machen. Dabei ist ihr Debüt kein Empowerment-Comic im klassischen Sinn. Noemis Weg zur Entscheidung, das Kind zu bekommen, ist weder geradlinig noch exemplarisch, Dufner lässt ihr viel Raum für Zweifel, Widersprüche, Ambivalenz. «Bauchlandung» verweigert sich der Vorstellung, dass Mutterschaft eine homogene Erfahrung sei oder dass es überhaupt den einen richtigen Weg geben könne. Und das liest sich am Ende: unglaublich befreiend.
Wanda Dufners Bilder sind bis am 10. August 2025 im Rahmen der Ausstellungsreihe «Les Jardins du dessin» in Delémont zu sehen. www.delemontbd.ch
