Ausbeutung im Sexgewerbe: Im Zentrum sitzt ein Schweizer

Nr. 26 –

David Azzato hat ein Imperium von Escortwebsites aufgebaut, die teilweise wegen Betrug, Menschenhandel und Kinderprostitution ins Visier ausländischer Behörden gerieten. Azzato lebt heute in Dubai – seine Strohmänner aber sind noch hier.

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Illustration von Matthias Seifert: David Azzato sitzt auf einem Thron

Es wirkt, als habe er den Besuch erwartet. Bevor sich der Journalist an der Gegensprechanlage vorstellen kann, surrt schon der Türöffner. Und drinnen bleibt kaum Zeit, um Fragen zu stellen, da platzt es aus Mário Duarte Cardoso heraus: Er habe seine Firma vor einer Woche verkauft.

Die ZA Media Services GmbH ist ein Einmannbetrieb, den Cardoso seit 2022 mutmasslich aus seiner Wohnung heraus führt. Oder, wie er nun beteuert: geführt hat. Aus vertraulichen Dokumenten geht hervor, dass seine Firma mit dem Unterhalt von Sexemodel.com, einer der führenden Escortwebsites Frankreichs, allein 2023 rund neunzehn Millionen Euro umgesetzt hat. Dafür lebt Cardoso allerdings fast schon sympathisch bescheiden: in einem Mehrfamilienhaus am Rand von Winterthur mit Blick auf einen Autobahnzubringer.

Auch sonst gibt es Grund, zu zweifeln, dass er die exorbitanten Gewinne selbst eingestrichen hat. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass Cardoso lediglich als Strohmann agiert und in Wirklichkeit ein anderer die Fäden der profitablen Escortsite zieht: der Schweizer David Azzato – ein Name, der in den «Dirty Payments»-Daten immer wieder auftaucht.

«Dirty Payments» ist der Titel einer Recherche, die von der WOZ gemeinsam mit zwanzig internationalen Medien unter der Koordination des Netzwerks European Investigative Collaborations (EIC) gemacht wurde. Sie stützt sich auf vertrauliche Dokumente und Daten der Finanzdienstleister Worldline und Wirecard, die dem EIC und dem «Spiegel» zugespielt wurden (vgl. «Der skrupellose Gigant»). Ergänzt durch Gerichtsunterlagen, Interviews, Handelsregisterauszüge und weitere öffentlich zugängliche Quellen, haben die WOZ und ihre Partnermedien ein globales Netzwerk aus Escortplattformen und Briefkastenfirmen offengelegt – ein System, um mit zum Teil nachweislich ausbeuterischen Geschäftsmodellen Profite zu erwirtschaften. Es reicht von der Schweiz über Frankreich, Italien, Ungarn, Rumänien und die USA bis nach Australien. Und immer wieder erscheinen darin dieselben Strohmänner, Geschäftspartner und Verwandten, verbunden über ein undurchsichtiges Firmengeflecht, in dessen Zentrum Azzato steht.

Offiziell ist Mário Duarte Cardoso immer noch der Besitzer der Betreiberfirma von Sexemodel.com. Deren Verkauf sei aber bereits getätigt, sagt er nun in seiner Wohnung in Winterthur, auch wenn das im Handelsregister noch nicht vermerkt sei. Sein Buchhalter regle das gerade.

«Was macht Ihre Firma genau?» – «Fragen Sie meinen Buchhalter.» – «Wie heisst Ihr Buchhalter?» – «Er wird Sie kontaktieren.» – «An wen haben Sie die Firma verkauft?» – «Ich muss jetzt gehen.»

Gut möglich, dass der unangekündigte Besuch für Cardoso gar nicht so unerwartet gekommen ist. Denn bloss etwa eine Stunde zuvor hat in Uzwil im Kanton St. Gallen auch der frühere Inhaber der ZA Media Services GmbH Besuch vom Journalisten erhalten – und darauf auffällig nervös reagiert. Er habe die Firma nur ganz kurz geführt, betonte er in einem kurzen Gespräch vor seiner Haustür. Und während man im Handelsregister vergeblich nach Verbindungen zwischen David Azzato und der ZA Media Services GmbH sucht, antwortete der ehemalige Inhaber auf die Frage nach dessen Verwicklung: «Der hat die Firma übernommen.»

Illustration von Matthias Seifert: David Azzato trinkt aus einem Glas

Ausbeuterische Geschäfte

2023 wurden für neun von Azzatos Firmen Transaktionen im Umfang von rund 31 Millionen Euro über Worldline abgewickelt – inklusive der rund 19 Millionen der ZA Media. Doch alles deutet darauf hin, dass sein Netzwerk weitaus grösser ist: Allein auf zwei von Azzatos bekannten E-Mail-Adressen sind 186 Websites für Erwachsene registriert. Und viele seiner Plattformen sind in den Ländern, in denen sie operieren, illegal. Ermittlungen in mehreren Staaten belegen ausserdem, dass seine Websites für Menschenhandel und Kinderprostitution genutzt werden.

Dennoch konnte Azzato sein Imperium über zwei Jahrzehnte lang nahezu ungestört ausbauen. Bis heute finden sich dessen zentrale Schaltstellen in der Schweiz.

David Azzato, heute 47 und mit Wohnsitz in Dubai, wuchs – soweit nachvollziehbar – in Winterthur auf. Der französischen Zeitung «France Soir» erzählte er einmal, er habe Wirtschaft studiert und bereits mit 23 einen «Hostessclub» geleitet. Sein erster zweifelsfrei belegbarer Einstieg ins Geschäft mit der Sexarbeit datiert aus dem Jahr 2005: Gemeinsam mit seinem Bruder Lukas gründete er eine Firma, deren Zweck laut Handelsregister der «Betrieb einer Begleit-Agentur, die Erbringung erotischer Dienstleistungen im In- und Ausland» sowie von Internetservices und Werbeportalen war.

Die WOZ hat mit einer Sexarbeiterin gesprochen, die persönlichen Kontakt zu Azzato hatte. Er habe erzählt, seine damalige Freundin sei im Sexgewerbe tätig gewesen und habe ihre Dienste online anbieten wollen. Er habe ihr helfen wollen. Aus Angst vor Repressalien möchte die Sexarbeiterin weder ihren Bezug zu Azzato noch ihren Aufenthaltsort oder ihren Namen öffentlich preisgeben. Sie sagt, die gesamte Branche habe unter dem Einfluss Azzatos gelitten. «Er verkörpert das Schlimmste, was diese Industrie zu bieten hat.»

Wie Azzatos Geschäftsmodell funktioniert, lässt sich am Beispiel von Sexemodel.com gut aufzeigen. Rund 15 000 Escorts – überwiegend Frauen – bieten dort ihre Dienste an. Beim Durchklicken ist es, als stöbere man auf Zalando nach Schuhen – nur besteht das Sortiment aus Menschen. Körpermerkmale wie Grösse, Gewicht, Haarfarbe oder Intimrasur lassen sich filtern. Eine «Matchmaker»-Funktion speichert Suchprofile und informiert automatisch über neue passende Angebote.

Offiziell versteht sich die Site als Marktplatz für selbstbestimmte Sexarbeit. Behördliche Ermittlungen in Frankreich zeigen jedoch, dass das Portal auch von kriminellen Netzwerken genutzt wird, um Dienste von Frauen anzubieten, die zur Sexarbeit gezwungen werden – darunter auch Minderjährige. 2024 wurden drei Zuhälter und fünf Freier wegen der sexuellen Ausbeutung eines zwölfjährigen Mädchens verurteilt, das auf der Plattform für Sex vermittelt worden war.

Für den Betreiber der Website ist das Geschäft lukrativ: Sexarbeiter:innen zahlen eine monatliche Grundgebühr von 95 Euro; wer aber das eigene Profil prominenter platziert haben will, muss bis zu 385 Euro extra für ein «VIP-Paket» ausgeben. Gegenüber dem freien Journalisten Jean-Baptiste Arcuset erzählte eine Frau, sie zahle nochmals zusätzlich 329 Euro, um Zugang zur «Blacklist» zu erhalten – einer Liste mit Telefonnummern gefährlicher Freier. Und eine Sexarbeiterin, die sich nur unter ihrem Vornamen Violette zitieren lässt, sagt gegenüber den EIC-Rechercheur:innen: «Sie pressen uns Geld ab und scheren sich kein bisschen um unser Wohl. Wir verachten diese Betreiber – aber ohne sie würden wir verhungern.» Violette, die der französischen Sexarbeiter:innengewerkschaft Strass angehört, beschreibt ein einschneidendes Abhängigkeitsverhältnis. «Wir sind ihnen ausgeliefert», sagt sie.

Sexemodel.com ist dabei nur ein Beispiel von Dutzenden in einer ganzen Reihe von Ländern – Azzatos Plattformen folgen stets dem gleichen Prinzip. Und kommt es wegen mutmasslicher illegaler Aktivitäten am einen Ort zu Ermittlungen, wird das betroffene Portal rasch auf eine neue Firma übertragen – meist in einem anderen Land, unter anderer Jurisdiktion, mit einem frischen Strohmann an der Spitze.

Im Visier ausländischer Behörden

Dass Azzato Strohmänner für seine Firmen einsetzt, belegt der Fall der Miracomm Holdings Ltd, einer zypriotischen Firma, die 2011 über eine Marketingfirma Azzatos gegründet wurde. Eine in Dübendorf beglaubigte Treuhanderklärung von 2014, die der WOZ vorliegt, weist Azzato als wahren Inhaber aus. In den öffentlichen Registern taucht allerdings bloss ein 74-jähriger Zyprer als einziger Anteilseigner auf. Das Unternehmen betrieb unter anderem das italienische Escortportal Escortforumit.xxx, heute Eigentum einer Oltner Firma, die ebenfalls auf den Namen eines der wichtigsten Azzato-Strohmänner in der Schweiz eingetragen ist. Zudem stand Miracomm hinter dem US-Portal Rubmaps.ch.

Ende der 2010er Jahre dominierten drei von Azzatos Portalen den US-Markt für Escortanzeigen: Rubmaps.ch, Eroticmonkey.ch und Eros.com. Die Schweizer Domains bei zwei der Sites dienten vermutlich in erster Linie dazu, strafrechtlichen Konsequenzen in den USA zu entgehen. Denn das hiesige Gesetz ist vergleichsweise liberal. Zuhälterei etwa ist in der Schweiz nicht illegal.

Eros.com, seit April 2024 betrieben von einer Einmannfirma, die in einem unscheinbaren Wohnblock in Luzern ansässig ist, gehört zu den meistbesuchten Escortsites des Landes. 2023 setzte sie – damals noch unter der Leitung einer Winterthurer Einmannfirma – rund sieben Millionen Euro um. Nachdem es 2017 im Bundesstaat North Carolina bereits zu einer Razzia in einem von der Plattform betriebenen Callcenter gekommen war, nahmen die US-Behörden 2019 Ermittlungen gegen Eros.com, Rubmaps.ch und deren Verbindung zu David Azzato auf, wegen Verdachts auf Menschenhandel, Prostitution und Geldwäscherei. Damals liess Azzato über seinen Sprecher ausrichten, er habe mit den Sites nichts mehr zu tun. Auf Fragen nach dem aktuellen Stand des Verfahrens antworten weder das US-Justizministerium noch das US-Ministerium für Innere Sicherheit.

Bereits 2011 war Azzato in Frankreich wegen Zuhälterei zu drei Jahren Haft und 300 000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Es ging um eine Plattform, die Sexemodel.com und Eros.com stark ähnelte: Sie listete rund tausend Sexarbeiter:innen und war in sechs europäischen Ländern präsent. Das erstinstanzliche Urteil zeichnet Azzatos Methode präzise nach: Die Website lief über eine slowakische Firma. Die Einnahmen gelangten über ein verschachteltes System schliesslich zu seiner Schweizer Escortagentur und einer Briefkastenfirma in Liechtenstein. Nach einer kostenlosen Anfangsphase, um möglichst viele Sexarbeiter:innen auf die Plattform zu locken, begann Azzato gemäss Gerichtsakten, ihnen Abonnements zu berechnen, deren «Preise stetig stiegen». So sehr, dass «mehrere von ihnen sich gezwungen sahen, sich stärker zu prostituieren, um die Gebühren zu begleichen». Bei Zahlungsausfällen übte Azzato über seine Vertreter in Frankreich «massiven Druck» aus – bis hin zum Einsatz von «Personen, die zu den Sexarbeiter:innen geschickt wurden, um das Geld einzutreiben». Die gerichtliche Untersuchung ergab ausserdem, dass David Azzato wiederholt «Beteiligung an kriminellen Zuhältergruppen», insbesondere in Ungarn, zur Last gelegt worden war, ohne dass er jedoch je verurteilt wurde.

Frankreich erliess einen internationalen Haftbefehl, den die Schweiz aber nicht vollstreckte. Denn die Taten, die Azzato in jenem Verfahren zur Last gelegt wurden, erachtete man hierzulande nicht als strafbar. Im Berufungsverfahren wurde die Strafe auf drei Jahre Bewährung reduziert, was den Haftbefehl obsolet machte. Azzato erschien nicht zu den Verhandlungen.

In Italien geriet er 2013 im Zusammenhang mit einem Fall, der unter dem Namen «Bella Vita» viel öffentliche Beachtung fand, ins Visier der Behörden. Es ging um ein Netzwerk, das junge – teilweise minderjährige – Frauen aus Osteuropa zur Sexarbeit zwang. David Azzato wurde schliesslich nicht angeklagt, weil er lediglich als Betreiber der involvierten Website galt. 2020 nahm wiederum die rumänische Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Zuhälterei und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation Ermittlungen gegen ihn und seinen Bruder Lukas auf. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt.

Aber das ist nicht die einzige Spur, die David Azzato in Rumänien hinterlassen hat. Gemäss Einträgen im Handelsregister verliess er im Juni 2014 Zürich und liess sich in Bukarest nieder. Seine ausschweifenden Partys mit Champagnerflaschen im Wert von angeblich 45 000 Euro wie auch seine Prahlereien mit protzigen Luxuskarossen machten ihn zum beliebten Thema in rumänischen Boulevardmedien. Er trat dort unter dem Namen Davide Salerno auf und wurde als «europäischer König der Onlinepornografie» bezeichnet. Gemäss einem Medienartikel von 2016 soll Azzato auch mehrere Bordelle in der Schweiz besessen haben, was sich heute jedoch nicht mehr verifizieren lässt.

Gemeinsam mit seinem Bruder Lukas gründete er in Rumänien verschiedene Unternehmen, darunter Immobilienfirmen und einen Nachtclub. Das vielleicht wichtigste aber ist die Capital Financial Services (CFS): Die Betreiberin der Zahlungsplattform Twispay (heute Xmoney) war die erste Firma in Rumänien, die eine Zulassung der Nationalbank zur Ausgabe von E-Geld erhielt. Über CFS gelang mehreren Azzato-Firmen der Zugang zum Zahlungsdienstleister Worldline – vier von ihnen wurden nur dank CFS überhaupt zugelassen.

Lukas Azzato war bis 2022 offizieller Miteigentümer von CFS, David Azzato hingegen taucht in der Firmenstruktur nirgends offiziell auf. Auf seinem mittlerweile gelöschten Linkedin-Profil von 2019 bezeichnete er sich allerdings als Gründer und CEO von Twispay. Ausserdem registrierte er die Domain twispay.com im Juni 2015 über eine seiner Firmen. So deutet vieles darauf hin, dass die Plattform von Beginn an sein Werk war – ein eigenes Zahlungssystem zur diskreten Abwicklung seiner ausbeuterischen Escortgeschäfte.

Von der Schweiz unbehelligt

Ende Juni 2024 hat Worldline aus Compliance-Gründen schliesslich sämtliche Geschäftsbeziehungen zu den Azzato-Firmen beendet. Tot ist das Netzwerk damit aber nicht; inzwischen hat Azzato neue Zahlungsdienstleister für seine Escortplattformen gefunden und führt seine Geschäfte weiter. Und zwar von Dubai aus, wo er seit 2019 lebt und mindestens acht Immobilien im Wert von über vier Millionen US-Dollar besitzt, wie Immobiliendaten des US-Thinktanks Center for Advanced Defense Studies (C4ADS) aufzeigen.

Zahlreiche Anfragen auf unterschiedlichsten Kanälen, um mit David Azzato in Kontakt zu treten, blieben unbeantwortet. Die geografische Distanz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Imperium auch weiterhin eng mit der Schweiz verflochten ist. Noch immer sitzen viele seiner Strohmänner hier, um verschachtelte Firmenkonstrukte zu verwalten. Mindestens sechzehn Unternehmen können derzeit Azzatos Dunstkreis zugeordnet werden. Seitenweise liessen sich die Verflechtungen auflisten. Eine Reihe von Strohmännern und Geschäftspartnern Azzatos sind auf die Gesprächsanfragen der WOZ nicht eingegangen.

Am Schluss bleibt die Frage: Wie ist es möglich, von der Schweiz aus über Jahre hinweg ein solch zwielichtiges Geschäft zu betreiben, ohne von den Behörden behelligt zu werden? Im Rahmen der Ermittlungen in Frankreich wurde Azzato 2009 auch von der Kantonspolizei Zürich befragt. Zu einer Verhaftung kam es allerdings nicht. Ob hierzulande je ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde, gibt die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft mit Verweis auf das Untersuchungsgeheimnis und den Persönlichkeitsschutz nicht preis.

Die ZA Media Services GmbH, die Geschäftsführer Mário Duarte Cardoso kürzlich verkauft haben will, ist im Handelsregister weiterhin auf seinen Namen eingetragen. Und sein Buchhalter hat sich trotz mehrfacher Nachfragen nie beim Journalisten gemeldet.

Am 3. Juni, also zeitgleich mit dieser Recherche, wurde in Frankreich ein weiteres kriminelles Netzwerk zerschlagen, das über die Plattform Sexemodel.com operierte. Sieben Personen wurden wegen «bandenmässiger Zuhälterei» angeklagt, weil sie in mehreren französischen Städten Frauen zur Sexarbeit gezwungen hatten.