Oasis in London: Die Frisuren sind alle wieder da
Brav und ohne Überraschungen: Am Konzert der wiedervereinigten Gallagher-Brüder fliesst viel Bier und fliegt trotzdem kein Becher.

Als am Ende dieses Abends Ende Juli im Londoner Wembley-Stadion Oasis von der Bühne verschwinden, bleibt das Publikum erstaunlich gelassen. «Rock ’n’ Roll Star» schwingt noch durchs Stadion, man wippt ein bisschen nach, bevor sich eine ruhige Zufriedenheit einstellt. Keine «Oasis»-Rufe gehen über die Tribünen, kein Getöse, um die Band zurückzuholen, bloss erwachsenes Warten. Als dann Noel Gallagher nach ein paar Minuten fürs «Encore» zurückkommt und sich beim «fantastischen Publikum» bedankt, wundert man sich kurz: Hat ihn überhaupt jemand zurück auf die Bühne geklatscht?
Vermutlich wussten schlicht alle schon, dass noch nicht Schluss war: Die Setlist war längst bekannt. Inklusive der vier Zugaben «Masterplan», «Don’t Look Back in Anger», «Wonderwall» und schliesslich «Champagne Supernova», dessen letzte Klänge von aufsteigenden Feuerwerksraketen begleitet werden. Oasis im Jahr des Comebacks ist Oasis ohne böse und andere Überraschungen, dafür mit angenehmer Professionalität.
Working Class, das war mal
Oasis im Jahr 2000: 100 000 Franken Gage hatte das Paléo Festival Nyon für einen Auftritt der Band bezahlt, die höchste der damaligen Ausgabe des Festivals. Kaum angefangen, verschwindet die Band wieder: Jemand hat einen Bierbecher in Richtung des Sängers Liam Gallagher geworfen. Der Veranstalter redet aufs Publikum ein, mahnt zu strenger Zurückhaltung, und nach langer Pause kommen die Gallaghers tatsächlich zurück. Alle klatschen und kreischen, dann fliegt wieder ein Becher, worauf sie das Konzert abbrechen. Es war vielleicht schon der Sinkflug der Band und des Britpops insgesamt. Ermüdet auch von der eigenen Grosskotzigkeit.
Später, nach der Trennung der beiden Brüder, die schon lange zerstritten waren, und der Auflösung der Band 2009 folgten lange, mässig erfolgreiche Solojahre und zähe Tourneen durch die Provinz. Ein Konzert von Liam auf dem Marktplatz von Lörrach inmitten südbadischer Biederkeit. Ein paar Hundert Zuschauer:innen, die darauf warten, dass Liam endlich die alten Oasis-Sachen spielt. Irgendwann fällt der Strom aus, Liam küsst sich den Bizeps einmal links und einmal rechts und wartet geduldig, bis der Strom wieder da ist. Und heute also: keine Stromausfälle mehr und keine Kapriolen.
Gesamthaft sieben Konzerte spielen Oasis allein in London. Stationen einer Welttournee durchs Königreich und wenige Metropolen ausserhalb, für die sich angeblich zehn Millionen Fans grösstenteils vergeblich um Tickets bemüht haben. Überall bloss Superlative, auch im Wembley: 250 000 Becher Bier sollen am ersten Abend verkauft worden sein, so viel wie noch nie (und keiner flog auf die Bühne). Wobei das bei 81 000 Menschen im Publikum gar nicht so viel ist, denkt man sich, aber bei fast neun Pfund pro Bier ist auch das erklärbar. Bisher hielten Coldplay mit 120 000 Bechern den Rekord.
Rund ums Wembley liegt ein Wohnpark mit teuren Apartments und einer gekünstelten Teichlandschaft mit bewachten Zugängen. Die Strassen sind gesäumt von Restaurants, in denen von jedem Gericht die Kalorien einzeln abgezählt wurden. Aus Lautsprechern scheppert «Morning Glory» und «Roll with It». Oasis-Fanshops an jeder Ecke verkaufen eine eigens fürs Comeback aufgesetzte Adidas-Kollektion für vierzig Pfund das T-Shirt. Von Working Class ist das unendlich weit weg. Doch das sind Oasis auch, seit sie der Backsteintristesse von Manchester entwachsen sind und sich zwar schon mit Labour identifizieren – aber immer noch mit dem Labour von Tony Blair.
Erste schöne Überraschung vor dem Stadion: Die Frisuren sind alle wieder da. Die ikonischen Britpop-Fritten, die auch hier in der Schweiz in den suburbanen Talschaften weitverbreitet waren. Die so viele zwischen Gelterkinden und Liestal trugen, wo jeder und jede bis heute die liebsten drei Oasis-Songs nennen und vortragen kann. Unzählige Britpop-Bands sind von Mitte der Neunziger bis Mitte der 2000er dem Basler Vorland entsprungen – und seit 2015 findet sich Liam unter den fünf häufigsten Vornamen für Buben in der Schweiz.
Von Hackney bis Muttenz
Im Stadion singen alle mit, alle immer, bei jedem Song. Die Zuschauer:innen, aber auch die Security-Mitarbeiterinnen und die Sanitäter, während sie sturzbetrunkene Brit:innen aus der Masse hieven. Auf der kleinen VIP-Tribüne, die vor allem von diversen Kindern und Verschwägerten der Gallaghers bevölkert ist, steht ganz hinten Richard Ashcroft, Opener für Oasis an diesem Abend, aber der eigentliche Rockstar des Britpops, der ein eigenes Wembley für sich und seine Hymnen verdient hätte, und singt mit.
«Supersonic» aus allen Hälsen, von allen schon mal gejohlt in den Nelson Pubs von Hackney bis zum Bahnhof Muttenz. Irgendwann verlässt Liam die Bühne, damit Noel seine Balladen vortragen kann. «I wanna talk tonight, until the mornin’ light about how you saved my life», singt er, keine Zeile, die einmal den Literaturnobelpreis bekommen wird, aber ein Song, der nochmals den tief versunkenen Kummer unserer Jugend ansticht. Man lacht und man weint ein bisschen und man schaut zu sich im Publikum. Reicht Wasserbecher durch. Hakt sich unter, nickt einander zu. Alle noch da, alle angekommen. Nicht nur die auf der Bühne.