Genfer Anti-Smog-Plan: ÖV statt Abgase

Nr. 34 –

Vergangene Woche wurde vielerorts in der Schweiz der Ozongrenzwert überschritten. Doch nur der Kanton Genf hat konsequent reagiert.

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Gratis-ÖV im ganzen Kanton und ein Fahrverbot für alte Autos: Die Massnahmen, die der Kanton Genf vergangene Woche ergriff, waren eine Premiere für die Schweiz. Nötig wurden sie, weil die Ozonkonzentration im Westschweizer Kanton ein Niveau erreichte, das laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) als «hohe Belastung» der Luft gilt. Möglich waren sie, weil in Genf seit fünf Jahren eine Verordnung über Notfallmassnahmen in Kraft ist, die greift, sobald die Luftverschmutzung bestimmte Höchstwerte erreicht.

Ozon ist ein Reizgas, das tief in die Lunge eindringen kann. Je nach Konzentration und Empfindlichkeit kann es Kopfschmerzen verursachen, es greift Schleimhäute an und beeinträchtigt die körperliche Leistungsfähigkeit. Die aus jeweils drei Sauerstoffatomen zusammengesetzten Ozonmoleküle entstehen aus verschiedenen Vorläuferschadstoffen, etwa aus in Abgasen enthaltenen Stickoxiden. Starke Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen begünstigen die chemischen Reaktionen, es bildet sich das, was man gemeinhin «Sommersmog» nennt. In der Schweiz liegt der Ozongrenzwert bei 120 Mikrogramm pro Kubikmeter. Wird er überschritten, spricht das Bafu von einer «deutlichen Belastung», die höchstens einmal pro Jahr erreicht werden dürfte. Gerade im Sommer werden allerdings jedes Jahr an vielen Orten höhere Werte registriert: So wurden am Dienstag vergangener Woche in Zürich 147 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen, in Basel waren es 171 und in Lugano 178 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Raus mit den Oldtimern

In Genf war die Ozonbelastung noch höher: 223 Mikrogramm pro Kubikmeter wurden an der Messstation in Meyrin registriert. Damit waren die Voraussetzungen für die Aktivierung von Stufe zwei des dreistufigen Anti-Smog-Plans gegeben. Bereits auf Stufe eins – die 2020 an mehreren Sommertagen in Kraft trat, seither aber nie mehr aktiviert wurde – sind im Kantonszentrum nur noch Fahrzeuge mit einem Aufkleber erlaubt, der ihre Schadstoffkategorie ausweist. Diese «Stick’Air»-Aufkleber können etwa an Tankstellen oder online für fünf Franken bezogen werden, auch das französische Äquivalent «Crit’Air» wird anerkannt. Gleichzeitig werden auf Stufe eins die Fahrzeuge der dreckigsten Kategorie, besonders alte und schwere Autos, von den Strassen verbannt. Auf den Stufen zwei und drei verfügt der Kanton die kostenlose Benutzung des öffentlichen Verkehrs. Ausserdem erhält jeweils eine weitere Fahrzeugkategorie ein Fahrverbot, bei Stufe drei wäre ein knappes Viertel aller Fahrzeuge betroffen.

Ein kurzzeitiger Ozonspitzenwert reicht nicht aus: Erst nachdem in Meyrin über drei Stunden Werte von über 180 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen wurden, trat der Genfer Plan in Kraft. «Wir mussten zudem überprüfen, ob die Wetterbedingungen voraussichtlich bis zum nächsten Tag anhalten würden», erklärt Aline Staub Spörri, Direktorin der Abteilung für Luft, Lärm und nichtionisierende Strahlung in Genf. Die Wetterprognose sagte wenig Wind und wenig Bewölkung bei gleichzeitiger starker Hitze voraus – genau die Bedingungen, unter denen sich Sommersmog entwickelt. «Auf dieser Grundlage haben wir schliesslich erstmals Stufe zwei aktiviert», so Staub Spörri. Überprüft und mit Bussen durchgesetzt hat das Fahrverbot die Polizei.

Bleiben Sie zu Hause!

Dass Genf mit seinen Sofortmassnahmen gegen Luftverschmutzung Neuland betritt, erstaunt wenig, nahm der Kanton in der Vergangenheit bei ökologischen und sozialpolitischen Anliegen doch immer wieder eine Pionierrolle ein. Die restliche Schweiz hinkt hinterher. Vorstösse auf nationaler Ebene scheiterten bereits mehrfach. Die Kompetenz zur Ergreifung von Massnahmen bei hohen Ozonwerten liegt, wie so vieles, bei den Kantonen. Diese halten sich mit kurzfristigen Massnahmen aber zurück. Der Kanton Tessin, wo die Ozongrenzwerte häufiger überschritten werden als auf der Alpennordseite, hat in der Vergangenheit bereits temporäre Tempolimiten verhängt; sonst beschränkt man sich vielerorts auf Empfehlungen. So etwa in den Zentralschweizer Kantonen, die der Bevölkerung vergangene Woche rieten, sich wegen der Ozonbelastung mittags bis abends möglichst wenig im Freien aufzuhalten. Die verstärkte Information der Bevölkerung sei die einzige unmittelbare Massnahme, die man im Fall hoher Ozonwerte beschlossen habe, sagt Alain Schmutz, Vorsitzender der Fachstelle Umwelt Zentralschweiz.

Beim Bafu heisst es, man setze «auf dauerhafte Massnahmen», die gemäss Studien aus den 1990er und 2000er Jahren als «zweckdienlichste Strategie zur Senkung der Vorläuferschadstoffe» gelten. Dank dieser würden die Ozonspitzenwerte in der Schweiz zurückgehen. Zu den Massnahmen gehören etwa Verschärfungen von Abgasnormen, die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe und die Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene – der gerade ein herber Rückschlag droht (siehe WOZ Nr. 20/25).

Wie wirksam der Genfer Notfallplan im Detail ist, sei schwierig zu bemessen, sagt Aline Staub Spörri. «Am Mittwoch kam schneller als erwartet Wind auf, wodurch sich die Ozonvorläufer verteilten und die Ozonwerte wieder sanken. So konnten wir die Massnahmen am Abend wieder aufheben.» Grundsätzlich gehe man davon aus, dass die Stickoxidkonzentration um etwa zwanzig Prozent sinke, wenn die umweltschädlichsten Autos aus der Innenstadt verbannt würden. «Weniger Stickoxide bedeuten weniger Ozonbildung.» Das ist, ob kurz- oder langfristig, eine gute Nachricht.