Leser:innenbriefe

Nr. 36 –

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Artikel-Overkill

«Wahlen in Norwegen: Das Comeback der Linken», WOZ Nr. 35/25

Ja, die norwegische Sprache kennt Artikel. Diese stehen jedoch nicht als eigenständige Wörter vor dem Substantiv, sondern werden als Suffix an das Substantiv angehängt. Das Substantiv mag es gar nicht, von beiden Seiten durch Artikel in die Zange genommen zu werden! «Arbeiderpartiet» bedeutet: die Arbeiderparti. Aber im Artikel steht «die Arbeiderpartiet». Also: die Arbeiderpartei_die. Dann lieber gleich übersetzen: die Arbeiterpartei. Ist bei dieser Sprache sehr einfach und grammatikalisch ren. Nein, nicht Rentier. Rein, sauber.

Urs Fankhauser, Bern

Schamlos

«Auf allen Kanälen: Unter der Kettensäge», WOZ Nr. 35/25

Es ist die alte Leier der neoliberalen Finanzexperten: Bildung, Gesundheit, Soziales sind schuld am Staatsdefizit und müssen drastisch gekürzt werden. IWF und Weltbank haben seit je Einsparungen in diesen Bereichen zur Bedingung für ihre Kredite gemacht. Und da vermisse ich im Artikel den Hinweis auf die Armee. Noch nie wurden Kürzungen der Rüstungsausgaben gefordert, das ist ein absolutes Tabu.

Was nun Mileis Ansicht betrifft, der Staat sei nicht zuständig für Behinderte und Arme, so erinnert das an den Schweizer Arbeitgeberpräsidenten, der öffentlich behaupten darf, die Wirtschaft müsse keine existenzsichernden Löhne zahlen.

Max Hilfiker, Zürich

Wehrlose Tiere

«Bundesrat: Der unheimliche Wille zur Macht», WOZ Nr. 34/25

Dieser «unheimliche Wille zur Macht» ist wirklich beängstigend. Solange es um leblose Dinge wie Kampfjets, AKWs und SRG-Gebühren geht, entsteht wenigstens nicht unmittelbar Leid. Wenn die Opfer aber fühlende Lebewesen wie Wölfe sind, die sogar rudelweise abgeschossen werden dürfen, dann geht es um Leben und Tod. Wenn die Mächtigen dermassen tierfeindlich agieren, ist der Verzicht auf Tierprodukte noch dringender. Wir hätten die Wahl, die Tiere nicht.

Renato Werndli, Eichberg

Afrikanische Stimmen hören

«Digitaler Imperialismus: Das neue Gewand der Ausbeutung», WOZ Nr. 33/35

«Wir müssen Europa helfen, die schlechten Gewohnheiten abzulegen, die es sich während des Kolonialismus zugelegt hat. Europa ist allein zu schwach und braucht Hilfe, um sich aufzubauen.» Was löst dieses Statement aus afrikanischem Mund bei uns aus? Konsternation? Verblüffung? Hoffnung? Oder nehmen wir es, spontan gutschweizerisch, einfach nicht ernst?

Vieles spricht für die letzte Variante, nicht zuletzt der erschütternde Beitrag über digitalen Imperialismus in der WOZ. Das Zitat ist Teil eines Aufrufs, den der Historiker Cheikh Anta Diop vor bald fünfzig Jahren an der Universität Dakar erliess. Als Student und Doktorand in Paris Mitte des 20. Jahrhunderts erwarb Diop sich mit seinen Forschungen zu Afrika, das er als Wiege der Zivilisation beschrieb, wenig Freunde. In seiner Heimat bestärkte er den Wunsch nach einer Korrektur des Afrikabildes von den ewig Unterlegenen und Hilfebedürftigen und liess ein Selbstbewusstsein entstehen, das bis heute am Wachsen ist.

Was macht es uns so schwer, Afrika anders als durch unsere eurozentristische Brille und damit weiterhin als die uns zustehende Beute zu betrachten? Afrika wird nicht länger mitspielen und die Zumutungen, seien sie chinesischem oder westlichem Machtrausch entsprungen, abzuschütteln wissen.

Dieter Liechti, per E-Mail

Wir alle müssen handeln!

«Klimakrise: Die neue Realität des Sommers», WOZ Nr. 34/25

Ich möchte mich herzlich für den Leitartikel zur Klimakrise bedanken. Beiträge zu diesem Thema sind so selten geworden, dass es mir wichtig erscheint zu betonen, wie wertvoll jede öffentliche Stellungnahme ist.

Allerdings haben mich einige Passagen irritiert. Etwa die Tendenz, die Eigenverantwortung zu verharmlosen. Der Redaktor beklagt zu Recht die Zahl der Menschen, die diesen Sommer mit dem Flugzeug in die Ferien gereist sind. Doch – und das beobachte ich häufig in Teilen der politischen Linken – er beeilt sich, diese Leute zu entlasten und die Hauptverantwortung auf das System und die Politik abzuwälzen, die solches Verhalten begünstigen. Ich verstehe nicht, warum man so sehr darauf beharrt, Eigenverantwortung und politische Verantwortung gegeneinander auszuspielen. Die Verantwortung jedes Einzelnen zu leugnen, heisst, eine Dimension des Problems auszublenden. Und es bedeutet auch, den Individuen ihre Fähigkeit zum Nachdenken und Entscheiden angesichts der Klimakrise abzusprechen.

Diese Sichtweise schwächt unsere kollektive Handlungsfähigkeit. Hinter dem bequemen Schild des «Systems» gäbe es dann keine Notwendigkeit mehr, zu reflektieren oder zu handeln. Damit werden Individuen entmachtet – in einem Moment, in dem es wichtiger denn je ist, dass wir gemeinsam die Kraft finden, dieser Krise entgegenzutreten. Denn es liegt nicht allein an Aktivist:innen und Politiker:innen, wie der Redaktor zu suggerieren scheint, zu handeln. Die Verantwortung dazu liegt bei uns allen.

Es ist an der Zeit, Namen und Gesichter hinter das «Es braucht» zu setzen: meines, deines, unseres.

Marie Seidel, per E-Mail