Pop: Folk goes California

Nr. 37 –

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Album-Cover «Double Infinity» von Big Thief
Big Thief: «Double Infinity». 4AD Records. 2025.

Die wunderbare Indiefolkband Big Thief um Adrianne Lenker ist nur noch ein Trio, lädt während dreier Wochen viele Freund:innen ins popmythologisch aufgeladene New Yorker Studio Power Station (Bruce Springsteen! Chic! Grace Jones!) und klingt auf ihrem sechsten Album mitunter, als käme sie aus Kalifornien. Der Bassist verliess im vergangenen Jahr die Band, und so waren es neben Lenker der Gitarrist Buck Meek und der Drummer James Krivchenia, die täglich mit dem Velo von Brooklyn nach Manhattan zu den Aufnahmen fuhren und mit den Gästen experimentierten. Eine Kunstkommune auf höchstem Niveau, muss man sich leisten können. Zu unserem Glück!

Man hört die Band sich öffnen, in den Songs mehr mit Wiederholungen und Riffs arbeiten, als hätten sie die Sessions im letzten Moment noch zu Songs arrangiert. Das hat eine zauberhaft psychedelische Wirkung – als schaute man an der warmen Westküste nach dem Konsum der einen oder andern Substanz auf den Pazifik hinaus, in die endlose Weite, wo nach einer Weile dann doch nicht der Kosmos als Ganzes erscheint, sondern die eigenen Ängste und Wünsche wie auf einer Leinwand flimmern. Die repetitive, rituelle Form senkt den Puls, die Leere bietet Platz für Projektion. So, vielleicht nur so hält man das aus.

Adrianne Lenker textet zunehmend eleganter, dabei eingängig, um ihren Weg weg von einer verkorksten Kindheit sowie von religiösen und anderweitig normierten Frauenbildern in die queere Liebe zu finden. Es ist eine Freude, das nur schon zu lesen. «Let gravity be my sculptor», singt sie auf der Single «Incomprehensible», wenn sie der Schwerkraft ihr Recht zugesteht, wenn das Alter ihren Körper formt (sie wird bald 35). «Swallow poison, swallow sugar / Sometimes they taste the same», heisst es über oralen Sex zwischen Frauen in «All Night All Day» in bester, aber eben doch neuer Rock-’n’-Roll-Tradition. Einzig das schön verschleppte Stück «No Fear» zeigt im ungeraden Metrum, dass die Band auf der Jazzschule war. Der Rest rollt tief entspannt in das Midlife der Sängerin, die auf dem letzten Stück merkt: Nichts geht zu Ende, alles kehrt wieder.