Kriegstechnologie in Gaza: Im Business vereint

Nr. 40 –

Die ehemalige Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle sitzt bei einer israelischen Investmentgruppe im Beirat. Auf wen hat sie sich da eingelassen?

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vertriebene Palästinenser:innen in einem Zeltlager Mitte September in Gaza-Stadt, im Hintergrund Staubwolken eines Bombardement
Champel Capital investiert, hier schlagen die Bomben ein: Vertriebene Palästinenser:innen in einem Zeltlager Mitte September in Gaza-Stadt. Foto: Ebrahim Hajjaj, Reuters

Hinter Amir Weitmann steht eine leuchtende Messewand, ihm gegenüber sitzt eine aufgebrezelte Moderatorin. Weitmann sagt, dass nun so viele Länder ihre «Verteidigungsbudgets» erhöhten, müsse man auch als Chance begreifen. «All dieses Geld muss ja irgendwohin fliessen. Und als Investor ist es unsere Pflicht, dahin zu gehen, wohin das Geld fliesst.»

Der in Genf geborene Weitmann ist Kogründer der in Jerusalem ansässigen Investmentgruppe Champel Capital. Die geschilderte Szene wurde Mitte Mai vom Veranstalter an einem Podium im Zürcher Nobelhotel Baur au Lac aufgenommen. Oder genauer: an einem Vernetzungstreffen für Investmentfirmen und reiche Investor:innen, die lukrative Anlageoptionen suchen, im Businesssprech: «Assets».

Die Assets, die Amir Weitmann damals im «Baur au Lac» vorstellt, basieren auf dem Geschäftsmodell: Profit aus dem Krieg in Gaza schlagen. Was der Unternehmer seinen Zuhörer:innen verkaufen will, sind Beteiligungen an der israelischen Rüstungsindustrie.

Della Valles Beraterinnenrolle

Weitmanns Auftritt im Edelhotel ist auch deswegen bemerkenswert, weil im Zusammenhang mit Champel Capital kürzlich ein gewichtiger Name ins Spiel gekommen ist: jener von Nicoletta della Valle, bis im Januar Chefin des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Wie der Westschweizer Fernsehsender RTS Ende August aufdeckte, hat della Valle im Frühjahr im Beirat von Champel Capital Einsitz genommen. Das neue Beratungsmandat der Ex-Fedpol-Chefin sorgte in den letzten Wochen für einige mediale Kritik. Diese richtete sich jedoch in erster Linie gegen den schnellen Wechsel in die Privatwirtschaft. Die Befürchtung: Della Valle könnte sensible Informationen aus ihrer zehnjährigen Zeit beim Fedpol weitergeben.

Videostill mit Amir Weitmann
Amir Weitmann, Investor Still: Sphere.tv

Nur am Rand hingegen beschäftigen sich die Deutschschweizer Medien mit der vielleicht entscheidenderen Frage: Weiss Nicoletta della Valle, auf wen genau sie sich da eingelassen hat?

Weitmann, der in einer illegalen Siedlung in Ostjerusalem lebt und Mitglied von Benjamin Netanjahus Likud-Partei ist, gibt auf Businessplattformen gerne den smarten Visionär. Den neuen Rüstungsfonds, für den Champel Capital hundert Millionen US-Dollar sammeln will, bewirbt er mit der Erzählung, Europa und Israel müssten sich in einer von Islamismus und anderen terroristischen Gefahren erschütterten Gegenwart ihrer gemeinsamen Werte besinnen und eine Sicherheitspartnerschaft eingehen. «Resilienztechnologien für eine Welt, in der Volatilität die neue Konstante ist», schreibt Weitmann dazu. Tatsächlich investiert Champel Capital in Rüstungstechnologie, die Israel in Gaza erprobt, wo seit Kriegsbeginn mindestens 65 000 Menschen gestorben sind. Die Rüstungsfirmen entwicklen etwa neue Drohnen und Raketen. Zudem gründen zahlreiche Reservist:innen Tech-Start-ups, die intelligente Waffen oder Spionagetools entwickeln. Mit Blick auf die europäischen «Verteidigungsbudgets» sei diese Start-up-Szene für ihn ein «sehr klarer Business-Case», sagte Weitmann im «Baur au Lac».

Die Frage, in welche Rüstungsgüter Champel Capital genau investieren will, beantwortet Weitmann nicht. Er bestätigt auf Nachfrage lediglich vage, was ein israelisches Techmagazin berichtete: Die Investmentgruppe wolle auf Überwachungstechnologie fokussieren, die auf Osint (Open-Source-Intelligence) basiere. Das sei, sagt Weitmann, «mehr oder weniger» korrekt.

«Gaza plattmachen»

Während sich Weitmann als Investor konziliant gibt, gehört er in Israel zu den radikalen Stimmen, die das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 sofort als Chance begriffen, die Palästinenser:innen aus Gaza zu vertreiben – und die Zweistaatenlösung endgültig zu begraben. Bereits Ende Oktober 2023 hat der Siedler über einen Thinktank einen konkreten Plan für die «endgültige Umsiedlung» der Palästinenser:innen nach Ägypten publiziert. Weitmann schlägt darin vor, das ägyptische Regime für die Unterbringung der Bevölkerung aus Gaza in leer stehenden Wohnungen zu bezahlen, und liefert dafür detaillierte Rechenspiele.

Videostill mit Nicoletta della Valle
Nicoletta della Valle, Beirätin Champel Capital Still: SRF

Aus seiner Haltung macht der Kogründer von Champel Capital keinerlei Hehl. Vielmehr zeigt sich auf seinen Social-Media-Profilen, dass Weitmann ein Überzeugungstäter ist, der ideologisch motivierten Hass predigt. Immer wieder ruft der Investor dazu auf, Gaza vollständig zu zerstören, das Leben vor Ort unmöglich zu machen und so die Vertreibung der gesamten Bevölkerung aus dem Küstenstreifen vorzubereiten. Die Bevölkerung in Gaza beschreibt er wiederholt als «Abschaum». So schrieb Weitmann etwa Anfang September auf Facebook: «Wir müssen einen Weg finden, den Abschaum von hier zu verbannen, mit oder ohne die Zustimmung Ägyptens. Wir müssen den Gazastreifen weiter plattmachen.» Selbst die Befreiung der israelischen Geiseln ordnet Weitmann diesem Ziel unter: «Hätte man die Geiseln ignoriert und einfach einen rationalen Krieg geführt, wären wir bereits am Ende dieses Ereignisses angelangt.»

Konfrontiert mit seinen Äusserungen, bleibt Weitmann dabei: Gazas Bevölkerung sei nun einmal Abschaum, weil ein Grossteil das Massaker vom 7. Oktober unterstützt habe. Seine Zerstörungs- und Vertreibungspläne seien zudem keineswegs völkerrechtswidrig; «der gesamte Gazastreifen ist untertunnelt und damit ein legitimes militärisches Ziel».

Gute Verbindungen in die Apparate

Champel Capital hat sich für die Lancierung seines neuen Rüstungsfonds Verstärkung an Bord geholt: Die Kapitalbeschaffung treibt Giora Eiland voran, ein israelischer Exgeneralmajor und ehemaliger Chef des Nationalen Sicherheitsrats. Eiland gilt als Hauptverantwortlicher des sogenannten Plans der Generäle, mit dem diese 2024 für das Abriegeln und Aushungern des nördlichen Gazastreifens plädierten. Sein Name taucht mehr als dreissig Mal in der von Südafrika eingereichten, beim Internationalen Gerichtshof hängigen Klage gegen Israel wegen Völkermord auf.

Für das Beratungsgremium des Fonds hat das Unternehmen «Sicherheitsexperten» aus den USA, Israel und der Schweiz angeheuert – mit guten Verbindungen in die jeweiligen Führungsriegen der Militär- und Polizeiapparate, so etwa den US-amerikanischen Exmilitär John W. Spender, einen «weltweit führenden Experten in städtischer Kriegsführung», oder den ehemaligen israelischen Polizeipräsidenten Kobi Shabtai. Berater:innen also, die über Know-how verfügen, welche Rüstungsgüter in den verschiedenen Ländern Potenzial haben und wo sich Investitionen lohnen.

Für die Schweiz sass neben Nicoletta della Valle auch der Ingenieur David Shapira im Beirat von Champel Capital. Shapira ist technischer Leiter der bundeseigenen Firma Swiss Innovation Forces AG, deren Aufgabe es ist, «Innovationsprojekte» für die Schweizer Armee anzustossen. Nach Kritik an dieser Doppelrolle hat er Champel Capital verlassen.

«Will keine Stellung nehmen»

Amir Weitmann wiederum teilt auf Anfrage mit, er sehe keinen Zusammenhang zwischen seinem politischen Einsatz für eine komplette Zerstörung Gazas und den Profiten, die er aus dem Krieg zieht. «Meine Meinung zum Gazakrieg hat nichts mit meinem Geschäft zu tun. Israel befindet sich seit seiner Gründung im Krieg, wodurch es militärisches und verteidigungstechnisches Know-how aufgebaut hat, das für die Entwicklung neuer relevanter Technologien nützlich ist.»

Nicoletta della Valle sagte im Frühling nach ihrem Fedpol-Rücktritt in einem ausführlichen Mediengespräch, ihr sei es immer schon um Gerechtigkeit gegangen. Derzeit eröffnet die 63-Jährige in Bern eine Cafébar mit sozialem Angebot – ein Projekt, über das die ehemalige Beamtin gerne plaudert. Zu Champel Capital hingegen sagt della Valle nichts. Sie beantwortet weder Fragen zu ihrer konkreten Rolle noch zum zynischen Geschäftsmodell oder Amir Weitmanns Hetze. Ihre Rückmeldung fällt knapp aus: «Ich will keine Stellung nehmen.»