Neues vom F-35: «Ich sage nur: Top Gun»
Die Armeekader hätten alles getan, um den Angriffsflieger beschaffen zu können, schreibt SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez in seinem neuen Buch. Es brauche nun dringend eine neue Abstimmung, sagt er im Gespräch.

WOZ: Herr Fridez, im Sommer musste der Bundesrat einräumen, dass der F-35 nicht wie versprochen einen Fixpreis haben würde. Ein Riesendebakel! Nun schreiben Sie in Ihrem neuen Buch, eine kleine Gruppe im Kader des Verteidigungsdepartements (VBS) und von Armasuisse habe den F-35 unbedingt kaufen wollen und das gesamte Verfahren manipuliert. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Pierre-Alain Fridez: Pierre-Alain Fridez: Auf die Spur gebracht hat mich ein Gutachten, das das VBS im Juni 2021 ausgerechnet vor der Bundesratsdebatte über den Typenentscheid beim Bundesamt für Justiz in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten hielt fest, dass der Bundesrat verpflichtet sei, sich für den Sieger der Evaluation zu entscheiden – sofern es bei Preis und Fähigkeiten keine weitgehende Gleichwertigkeit gebe. Da der F-35 als klarer Sieger aus der Evaluation hervorgegangen war, hiess dies also, dass der Bundesrat nun keine aussenpolitischen Abwägungen mehr machen durfte. Damals dachte ich: Hoppla, da gibt es jemanden, der diesen Flieger unbedingt will und bereit ist, Druck auf den Bundesrat auszuüben. Ich habe mich dann immer weiter in die Materie eingearbeitet. Heute bin ich überzeugt: Die Stimmbürger:innen, das Parlament, der Bundesrat wurden getäuscht, das Verfahren zur Beschaffung des F-35 war nicht korrekt.
WOZ: Am Beschaffungsprozess hat es inzwischen sehr viel Kritik gegeben. Zu sagen, hier wurde bewusst manipuliert, ist jedoch ein sehr starker Vorwurf …
Pierre-Alain Fridez: Für mich lassen sich vier Stufen der Manipulation rekonstruieren. Angefangen hat alles damit, dass die Projektverantwortlichen nach der Niederlage beim schwedischen Gripen 2014 darauf hinwirkten, dass es keine Volksabstimmungen mehr zur Typenfrage geben sollte. Man wollte, dass der Bundesrat allein entscheidet.
Der F-35-Kritiker
Der Jurassier Pierre-Alain Fridez (67) ist seit 2011 SP-Nationalrat und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission.
Die Beschaffung des F-35 hat er in den vergangenen Jahren akribisch aufgearbeitet. Schon 2022 veröffentlichte er das Buch «Der Entscheid für den F-35. Ein gewaltiger Fehler oder ein staatspolitischer Skandal?». Kommende Woche erscheint im Rotpunktverlag nun der Nachfolger «F-35 – Absturz mit Ansage. Ein staatspolitischer Skandal».

WOZ: Es folgte das fragwürdige Auswahlverfahren.
Pierre-Alain Fridez: Die ganze Evaluation war darauf ausgerichtet, den F-35 zu bekommen. Einerseits war das Verfahren zur Beurteilung der Fähigkeiten manipuliert: Man hat die Bewertungskriterien schlicht ans Profil des F-35 angepasst. Das lässt sich mit einem Bewerbungsverfahren vergleichen: Ich will unbedingt jemanden einstellen, der Spanisch und Portugiesisch spricht, obwohl dies gar nicht wichtig für den Job ist. Also nehme ich das in die Auswahlkriterien auf und verteile dafür überproportional viele Punkte. Das Projektteam hat aber nicht nur die Kriterien angepasst, sondern für die Punktevergabe auch ein neues, völlig intransparentes Verfahren eingeführt. Dazu kommt, dass die 79 Detailkriterien der dritten Evaluationsstufe nie öffentlich gemacht wurden. Ein Journalist versuchte, die Liste per Öffentlichkeitsgesetz herauszuklagen. Das Verfahren ist mittlerweile beim Bundesgericht hängig. Für die Preisfrage gilt das Gleiche. Auch hier wurde die Evaluation manipuliert.
WOZ: Sie verweisen in Ihrem Buch auf die Anzahl der notwendigen Trainingsstunden, die der Anbieter Lockheed Martin auf Anforderung des VBS für das Verfahren senken durfte.
Pierre-Alain Fridez: Die Flugstunden wurden für den F-35 künstlich gesenkt – mit der Behauptung, das Flugzeug sei einfach zu fliegen und es könne deshalb auch im Flugsimulator trainiert werden. Dabei gilt genau das Gegenteil: Den F-35 gibt es im Gegensatz zum bislang eingesetzten F/A-18 nur als Einsitzer. Man lernt aber viel schneller, wenn man mit jemandem zusammen fliegt, der einem Sicherheit gibt. Doch: Die Senkung der Trainingsstunden machte genau jenen Preisunterschied von 1,5 Milliarden Franken aus, der das erwähnte Gutachten des Bundesamts für Justiz erst relevant macht, weil die Angebote damit nicht mehr gleichwertig sind. Beim Preis gab es aber noch zahlreiche andere Unstimmigkeiten.
WOZ: Welche zum Beispiel?
Pierre-Alain Fridez: Wir wissen mittlerweile, dass wir auch für ein neues Triebwerk werden bezahlen müssen. Und im Jahr 2022 wurde entdeckt, dass der Bundesrat den Amerikanern bereits eine halbe Milliarde für die Weiterentwicklung des Interieurs des F-35 bezahlt hat. Im Angebot von Lockheed Martin waren zahlreiche Unterhaltskosten zu tief angegeben: der Treibstoff, die Gehälter der Piloten und Ingenieurinnen. Das VBS wiederum prognostiziert viel zu tiefe Summen für die Instandsetzung der Flughäfen und den Lärmschutz. Und es bräuchte grosse Anpassungen beim IT-System der Armee. Aber in der Schweiz wollte man glauben: Ausgerechnet das Flugzeug mit den höchsten Wartungskosten ist plötzlich das günstigste.
WOZ: Wie erklären Sie sich, dass dann plötzlich der Mythos vom Fixpreis ins Spiel kam?
Pierre-Alain Fridez: Kurz nach der Unterzeichnung der Verträge musste der Bundesrat aufgrund der Inflation und zu rudimentärer Bewaffnung im ursprünglichen Angebot erstmals höhere Beschaffungskosten einräumen. Nun war man auf den «Fixpreis» angewiesen. Hätte man zu diesem Zeitpunkt nicht behauptet, die Amerikaner hätten uns einen fixen Kaufpreis gemäss den Verträgen zugesichert, hätte man eine viel höhere Risikozulage einberechnen müssen. Das hätte das von der Bevölkerung abgesegnete Kostendach von sechs Milliarden Franken für die Beschaffung gesprengt. Der Fixpreis war das letzte Puzzleteil. Ich halte es für völlig unglaubwürdig, dass die Projektverantwortlichen daran glaubten. Sie hatten alle schon in den USA gearbeitet und beschafften dort gleichzeitig auch das Patriot-Abwehrsystem. Sie wussten also, dass «fixed price» bei Beschaffungen in den USA immer bedeutet, dass man am Ende den Preis bezahlt, für den die Regierung dem Hersteller die Flugzeuge abkauft.
WOZ: Was glauben Sie, wieso wollten die Projektverantwortlichen unbedingt den F-35 beschaffen?
Pierre-Alain Fridez: Ich sage nur: Top Gun. Die Schweizer Armee hat noch nie einen Kampf geführt – im Gegensatz zu den USA. Und auf gewisse Militärs übt das eben eine grosse Faszination aus. Auch dass man sich mit dem F-35 der Nato annähert.
WOZ: Der Traum einer angriffsfähigen Armee?
Pierre-Alain Fridez: Der F-35 ist schlecht für die luftpolizeilichen Aufgaben geeignet, die in der Schweiz anfallen. Dagegen ist er ein sehr leistungsfähiges Flugzeug, um Angriffe zu fliegen, wie es etwa kürzlich Israel im Iran getan hat. Es ist der Kampfjet der Nato. Deutschland hat ihn beschafft, um die Atomwaffen der Nato transportieren zu können. Dafür lassen die USA nur den F-35 zu. Für die Luftpolizei hat Deutschland hingegen 150 Eurofighter beschafft – ein Flugzeug, das auch für die Schweiz sehr geeignet gewesen wäre, ähnlich wie der Rafale.
WOZ: Wie beurteilen Sie die Rolle der damaligen VBS-Chefin Viola Amherd?
Pierre-Alain Fridez: Amherd spielte 2020 bei der Abstimmung über die Kampfjetbeschaffung eine wichtige Rolle. Mit ihr an der Spitze des VBS konnten mehr Wähler:innen aus der Mitte mobilisiert werden als bei früheren Abstimmungen unter SVP-Bundesräten. Nach ihrem grossen Sieg schwebte sie gewissermassen auf einer Wolke.
WOZ: Und vertraute ihrem Team blind?
Pierre-Alain Fridez: Ihr Fehler war, dass sie nichts überprüft hat. Sie ging davon aus, von Leuten umgeben zu sein, die sich auskannten, und glaubte alle ihre Geschichten. Als dann letztes Jahr die Amerikaner Zweifel am Fixpreis aufkommen liessen, hat sie monatelang alles vertuscht und den Bundesrat nicht informiert. Vielleicht war Amherd wirklich bis zum Schluss überzeugt, dass es keine Probleme gebe. Für mich ist ihr grösster Fehler, dass sie nicht einmal auf die Eidgenössische Finanzkontrolle hörte, die in ihrer Untersuchung festhielt, dass es keine rechtliche Garantie für einen Fixpreis gebe. Im Grunde hätte Amherd den Verantwortlichen in den USA nur eine einzige Frage stellen müssen.
WOZ: Welche?
Pierre-Alain Fridez: Wird die Schweiz am Ende den Preis aus dem Vertragswerk bezahlen oder den Preis, den der Hersteller bei der Lieferung des F-35 in Rechnung stellt? Nur diese simple Frage. Aber sie wurde nie gestellt. Stattdessen hat man immer nur an Formulierungen herumgedeutelt, weil man den Fixpreis eben brauchte.
WOZ: Sie haben im Parlament immer wieder kritische Fragen zum F-35 gestellt. Wie hat die rechtsbürgerliche Mehrheit darauf reagiert?
Pierre-Alain Fridez: Es gab damals keine Debatte, es war wie in einem Gottesdienst. Das Parlament behandelte den F-35 ja erstmals im Sommer 2022, also kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine. Unter dem allgemeinen Eindruck, dass die Schweiz nun in Gefahr sei, war dem rechtsbürgerlichen Block nichts mehr entgegenzusetzen. Manche Journalisten wiederum bezeichneten mich als Verschwörungstheoretiker. Man kam ja gerade aus der Covid-Krise und fand das naheliegend.
WOZ: Inzwischen hat der Wind gedreht. Doch trotz aller Kritik will der Bundesrat am F-35 festhalten und höchstens die Anzahl Flieger senken.
Pierre-Alain Fridez: Ich habe im Juli mit dem neuen VBS-Chef Martin Pfister gesprochen und ihm alles vorgelegt, was nun in meinem Buch steht. Ich hatte für das Treffen Unterlagen vorbereitet und ihm alle Probleme und Missstände präsentiert. Ein paar Tage später hielt Pfister eine Pressekonferenz ab, bei der er erklärte, dass das Flugzeug eine Milliarde mehr kosten werde, im Wesentlichen, weil sich die Amerikaner nicht an die Verträge hielten. Und dass der F-35 ansonsten immer noch das beste und günstigste Flugzeug sei. Nach diesem Auftritt habe ich mich hingesetzt und meine Recherche innerhalb von fünfzehn Tagen niedergeschrieben.
WOZ: Könnte die Schweiz zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch aus den Verträgen aussteigen?
Pierre-Alain Fridez: Ich habe die Verträge nie gesehen, kenne also die genauen Bedingungen nicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir mit einem Vertragsbruch weit weniger Geld verlieren, als wenn wir die Beschaffung durchziehen. Der F-35 macht überall enorme Probleme. Laut dem US-Rechnungshof, einer überparteilichen Kontrollbehörde, sind derzeit mehr als die Hälfte der bislang tausend ausgelieferten F-35 in Reparatur. Und von denen, die fliegen, sind nicht alle in der Lage, die erforderlichen Leistungen zu erbringen. Der F-35 befindet sich noch im Entwicklungsstadium. Und die Schweiz ist in der besonders misslichen Lage, dass wir Flugzeuge erhalten werden, die dringlich ein neues Triebwerk samt leistungsfähigerem Kühlsystem benötigen, die aber noch nicht damit geliefert werden. Doch vor uns sind die Länder an der Reihe, die den F-35 vor uns beschafft haben. Allein dies rechtfertigte einen Ausstieg. Die Schweiz könnte rasch ein kleines, preiswerteres Flugzeug eines europäischen Anbieters beschaffen.
WOZ: Derzeit untersucht eine Subkommission der Geschäftsprüfungskommission die Beschaffung des F-35. Was erhoffen Sie sich von der Untersuchung?
Pierre-Alain Fridez: Ich habe vernommen, dass sich die Kommission auf die Frage des Fixpreises konzentrieren wird. Dabei müsste man alle Elemente der Beschaffung unter die Lupe nehmen. Ich würde gerne vor der Kommission aussagen, wurde bislang aber nicht angefragt. Vielleicht werde ich mich selbst melden.
WOZ: Halten Sie es noch für möglich, den Kauf des F-35 aufzuhalten?
Pierre-Alain Fridez: Ich bin für eine Turbo-Initiative. Für mich wäre die einzig logische Antwort, dass wir jetzt, wo alles auf dem Tisch liegt, die Stimmbevölkerung noch einmal über die Kampfjetbeschaffung abstimmen lassen.
WOZ: Wieso hat die SP oder ein überparteiliches Komitee eine solche nicht längst lanciert?
Pierre-Alain Fridez: Ich bin nicht Teil der Parteispitze, kann die Frage also nicht beantworten. Ich kann nur so viel sagen: Ich hoffe sehr, dass so eine Initiative bald zustande kommt.