EU-Migrationspolitik: Immer weiter aufrüsten
Kürzlich haben sich die EU-Institutionen auf mehr Geld und Kompetenzen für Europol im Kampf gegen «Schleuser» geeinigt. So werde überhaupt erst ein Markt für diese geschaffen, monieren Kritiker:innen.
Kaum ein anderes Thema bewegt die EU so sehr wie die Migrationspolitik. Nächstes Jahr soll das umstrittene Gemeinsame Europäische Asylsystem (Geas) in Kraft treten. Parallel dazu rüstet die Union im Kampf gegen «irreguläre Migration» und «Schleusernetzwerke» auf – Ende September hat der EU-Rat gemeinsam mit Verhandler:innen des Parlaments den Weg für das Ansinnen frei gemacht.
Die vorläufige Einigung sieht eine Ausweitung des Europol-Mandats vor. Konkret sollen der europäischen Polizeibehörde zusätzliche Mittel in der Höhe von fünfzig Millionen Euro sowie fünfzig neue Mitarbeiter:innen zur Verfügung gestellt werden. Ferner soll ein Europäisches Zentrum für die Bekämpfung der Schleuserkriminalität (Ecams) als ständige Struktur entstehen mit dem Ziel, die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zwischen Europol, der Strafverfolgungsbehörde Eurojust, der Grenzschutzbehörde Frontex und den nationalen Polizeibehörden zu verbessern.
Man wolle damit «den Kampf der EU gegen die Schleuserkriminalität» verstärken, sagt Jeroen Lenaers von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Auch die sozialdemokratische Fraktion unterstützt die Verordnung mit der Absicht, den Behörden zu helfen, ein umfassenderes Bild krimineller Netzwerke zu erhalten. Sie muss vom Parlament noch formal angenommen werden.
Rückläufige Zahlen
Schätzungen von Europol zufolge werden heute mehr als neunzig Prozent der sogenannt unbefugten Grenzübertritte durch Schleuser ermöglicht. Damit meinen Ermittlungsbehörden Organisationen und kriminelle Netzwerke, die mit Gewinnabsicht Migrant:innen in die EU schmuggeln. Dazu nutzen sie laut Europol Land-, See- und Luftwege und setzen auch auf GPS-gesteuerte Ballons oder Flösse, um Grenzkontrollen zu umgehen. 2022 wurden Frontex über 15 000 Schleuser gemeldet. Sie sollen teils skrupellos vorgehen und den Tod von Flüchtenden in Kauf nehmen, so die Behörde. Die Hälfte dieser Netzwerke sei zudem deliktübergreifend tätig und begehe auch Straftaten wie Menschenhandel, Drogen- oder Waffenschmuggel. Die EU-Kommission schätzt die jährlichen weltweiten Gewinne solcher Netzwerke auf 4,7 bis 6 Milliarden Euro.
Die Zahlen der «irregulären Migration» sind seit Jahren rückläufig: Nach 331 000 festgestellten unerlaubten Einreisen im Jahr 2022 lagen sie im vergangenen Jahr um ein Drittel niedriger. Auch für dieses Jahr wird ein starker Rückgang erwartet. Die in der Migrationsabwehr tätige Organisation International Centre for Migration Policy Development nennt als Gründe Verschiebungen in internationalen Krisen- und Konfliktgebieten, veränderte Fluchtrouten – und die verschärfte Grenz- und Migrationspolitik der EU.
Genau darin sehen Kritiker:innen ein Problem: Die EU schaffe damit einen Markt für Schleuser, den sie zu bekämpfen beanspruche. «Zunehmende Abschottung und schärfere Kontrollen führen zwangsläufig zu gefährlicheren und längeren Routen», sagt die Grenz- und Migrationsregimeforscherin Anna Wyss von der Universität Bern. Das treibe Schutzsuchende in die Hände professioneller Schleusernetzwerke. «Es mutet zynisch an, wenn EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor gefährlichen Routen und Schleusern warnt, während sichere Routen geschlossen wurden.»
Beim Vorhaben der EU gehe es weniger um den Schutz verletzlicher Personen als um jenen der Grenzen, sagt Wyss. So wird etwa der grundsätzliche Mangel an legalen Fluchtrouten für Schutzsuchende in den Mitteilungen der EU zu den Vorhaben gar nicht erwähnt. Wyss wirft auch die Frage auf, was mit den Opfern der Schleuserbanden geschieht, sobald sie im Rahmen des neuen Europol-Zentrums identifiziert sind. Die Sorge besteht, dass gesammelte Daten über schutzsuchende Personen behördenübergreifend verwendet werden könnten und sich das nachteilig auf sie auswirkt. Auf Anfrage erklärt eine Sprecherin des EU-Parlaments, dass der Gemeinsame parlamentarische Kontrollausschuss für Europol dies verhindern soll.
Neben dem neuen Europol-Zentrum erntet aber auch ein parallel vorgebrachter Richtlinienvorschlag der Kommission zur Schleuserbekämpfung scharfe Kritik: Unter den Tatbestand sollen demnach nicht nur Handlungen fallen, die einen finanziellen oder materiellen Vorteil für die Beihilfe zu unerlaubten Grenzübertritten einbringen. Es soll bereits reichen, wenn durch die Hilfe «eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass einer Person ein ernsthafter Schaden zugefügt wird», wie es im Kommissionspapier heisst.
Und die Seenotretter:innen?
Unterstützt wird der Vorstoss von der EVP. Extrem rechte Parteien fordern zudem, dass die Seenotrettung oder andere Hilfsorganisationen nicht von der Strafverfolgung ausgeschlossen wären. In der Vergangenheit wurden nicht nur Geflüchtete, die etwa Boote steuerten, sondern auch Seenotretter:innen als Schleuser verfolgt.
Sozialdemokrat:innen fordern, dass sich die Strafermittlungen allein auf kriminelle Schleusernetzwerke konzentrieren – und nicht auf Migrant:innen oder Hilfsorganisationen. Am Montag sollte im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres über einen entsprechenden Bericht abgestimmt werden. Darauf konnten sich die Abgeordneten allerdings nicht einigen – die Abstimmung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.