Palästinademo in Bern: Wissen und Empathie
Islamistische Symbole, gewaltverherrlichende Sprache: Vieles an der Palästinademo in Bern war hochproblematisch. Wie ginge es anders?
Die Empörung ist berechtigt. Es war in den vergangenen zwei Jahren unerträglich, fast täglich von den Kriegsverbrechen der israelischen Armee in Gaza zu erfahren, von exekutierten Journalist:innen und in den Hungertod getriebenen Kindern. Die rassistische Rhetorik der rechtsextremen Regierung war und ist unerträglich. Die Empörung ist berechtigt, der Impuls, etwas zu tun, ist es auch. Aber auch wer empört ist, trägt Verantwortung.
Es gebe Nahostdemos, die im Dienst von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle stünden, sagte Altbundesrätin Ruth Dreifuss am 8. Oktober an der WOZ-Veranstaltung in Zürich. Und es gebe andere, an denen sie nicht teilnehme. Die Palästinademo vom 11. Oktober in Bern gehörte zu den anderen.
Auf dem Demoplakat prangte das rote Dreieck, mit dem die Hamas feindliche Ziele markiert. In einem Aufruf war von «al-Aksa-Flut» die Rede, dem Hamas-Begriff für das Massaker vom 7. Oktober 2023. Ein Mobilisierungsvideo war mit einem islamistischen Lied in arabischer Sprache unterlegt. Ein Teil der radikalen Linken sucht immer wieder die Nähe zu Hamas-Symbolik und -Inhalten; es wirkt fast wie eine Zwangshandlung. Zum Glück bleibt das in der Szene nicht unwidersprochen: Ein offener Brief, unterzeichnet mit «einige Anarchist:innen», kritisiert insbesondere das Glorifizieren des 7. Oktober mit deutlichen Worten. «Das Abfeiern eines Massakers an Jüd:innen kann nicht emanzipatorisch, revolutionär oder antifaschistisch sein.»
Am 12. Oktober stellte das SRF-«Echo» die Demonstrant:innen als unpolitische Krawallmacher:innen dar, denen es nur darum gehe, «Frust abzulassen». Eine eklatante Fehlanalyse: Diese Aktivist:innen sind hochpolitisiert – nur eben nicht im Dienst von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle. Seit über fünfzig Jahren verherrlicht ein Teil der europäischen Linken völlig unkritisch den palästinensischen Widerstand.
Doch bei aller Kritik: Es wäre fatal, die ganze Palästinasolidarität pauschal als antisemitisch und Hamas-freundlich darzustellen, wie es etwa die NZZ tut. Die Kriegsverbrechen in Gaza haben viele junge und auch weniger junge, bisher unpolitische Menschen aufgerüttelt. Es gilt zu unterscheiden zwischen jenen Linken, die bewusst Antisemitismus und Menschenverachtung legitimieren, und jenen, die gerade erst politisiert werden und denen zum Teil schlicht das Wissen fehlt. Zum Beispiel das Wissen, dass im historischen Palästina nie eine homogene arabisch-muslimische Bevölkerung, sondern immer auch Jüdinnen, Juden und Christ:innen lebten. Oder die Sensibilität für antisemitische Sprachcodes, etwa die Verwendung des Wortes «Zionist», das (obwohl es auch legitime linke und jüdische Zionismuskritik gab und gibt) nur zu oft für «Jude an sich» steht. «Kill your local Zionist», wie es im Rahmen der Demo jemand mit Kreide auf den Boden schrieb: Das ist keine legitime Zionismuskritik. Das ist eine Gewaltandrohung.
Jede linke Generation muss sich dem Thema Antisemitismus stellen – sonst läuft sie Gefahr, naiv und ahnungslos die schlimmsten antisemitischen Klischees zu reproduzieren wie jene Anti-Wef-Demonstrant:innen vor zwanzig Jahren, die als Symbol für die Finanzwelt ein goldenes Kalb herumtrugen.
Wo kann dieses Lernen in der heutigen aufgeheizten Stimmung stattfinden? Nicht nur, aber auch in der Schule. Anfang 2022 hat das Jüdische Museum Hohenems in Vorarlberg das Projekt «Ohne Angst verschieden sein» ins Leben gerufen. Es bietet einen «geschützten pädagogischen Raum», um über Israel und Palästina zu sprechen, und hat bisher fast 1800 Personen erreicht. Das sollte in allen Schulen möglich werden – und in Politgruppen, Vereinen, Quartierzentren.
Während es in Bern «abging», feierten in Israel und Palästina die Menschen den brüchigen Waffenstillstand. Er wäre ein guter Anlass, auch in der Solidaritätsbewegung rhetorisch abzurüsten, Symboliken und Parolen zu hinterfragen und vor allem: zuzuhören. «Empathie ist ein Gewaltblocker», sagt Hanno Loewy vom Jüdischen Museum Hohenems.