Evakuierung aus Gaza : Warum ist das alles so kompliziert?

Nr. 43 –

Die Schweiz rühmt sich gern ihrer humanitären Tradition. Geht es aber um die Aufnahme von Kindern, hapert es.

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19 000 Personen wählte die Weltgesundheitsorganisation WHO im September für eine potenzielle Evakuierung aus dem Gazastreifen aus, darunter etwa 4000 Kinder, von denen viele lebensbedrohlich verletzt oder erkrankt sind. Die WHO geht davon aus, dass noch weit mehr Kinder dringend Hilfe bräuchten. 20 davon sollen nun in hiesigen Spitälern betreut werden, das hat der Bund vor vier Wochen bekannt gegeben. Wann die Kinder mit ihren Begleitpersonen in die Schweiz gebracht werden können, ist aber immer noch unklar. Warum dauert das alles so lange – nachdem Länder wie Norwegen, Italien oder Grossbritannien längst erste Evakuierungen realisiert haben?

Erst vier Kantone

«Wir befinden uns immer noch in der Vorbereitung, arbeiten aber intensiv daran, zumindest eine erste Gruppe so rasch wie möglich aufzunehmen», sagt Daniel Bach, Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration. Die Operation sei «sehr komplex», besonders die Evakuierung, an der mehrere Departemente beteiligt seien und bei denen letztlich die israelischen Behörden entschieden, wer das Gebiet verlassen dürfe. «Das Ganze ist sehr aufwendig und muss operationell auch umsetzbar sein. Neben den verletzten Kindern werden auch enge Familienangehörige aufgenommen.» Insgesamt gehe es um maximal hundert Personen, die in der Schweiz ein Asylverfahren durchlaufen würden.

Da für die Betreuung der Kinder die Kantone zuständig wären, hat der Bund diese um die Bereitstellung von Behandlungsplätzen gebeten. Bislang haben aber erst Basel-Stadt, das Tessin, das Wallis und Genf ihre Bereitschaft zur Beteiligung an der humanitären Aktion und damit auch die Finanzierung der Spitalkosten zugesichert. Unklar ist, ob das reicht, um die zwanzig Kinder gut betreuen zu können – zumal es je nach Art der Krankheit oder Verletzung eine Mindestauswahl an Spezialkliniken oder -abteilungen benötigt.

Dass mit Natalie Rickli ausgerechnet die Gesundheitsdirektorin jenes Kantons mit einem der weltweit führenden Zentren für Kinder- und Jugendmedizin die Aufnahme ablehnt, macht die Sache zumindest nicht einfacher. Über ihr Motiv hüllte sich die Zürcher SVP-Regierungsrätin bislang in Schweigen. Ihr Sprecher sagte einzig, informelle Anfragen wie die des Bundes würden zunächst einmal grundsätzlich abgelehnt.

Ausführlicher äusserte sich der Aargauer Regierungsrat Jean-Pierre Gallati: Gegenüber der NZZ begründete Ricklis Parteikollege die Absage seines Kantons mit «Sicherheitsbedenken» wegen der Begleitpersonen der Kinder, «insbesondere im Hinblick auf potenzielle Verbindungen zu verbotenen Organisationen». Ausserdem sei das Asylsystem bereits «am Anschlag». Auch der Kanton Bern unter Federführung von Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg (ebenfalls SVP) hat dem Bund eine Absage erteilt. Als Gründe nennt sein Sprecher gegenüber der «Berner Zeitung», dass die «Finanzierung nicht klar geregelt und die Anzahl Begleitpersonen überdimensioniert» sei.

Ruf aus der Zivilgesellschaft

Während die Exekutive also sogar bei einer solch eher symbolischen Geste mauert, mehren sich aus Parteien und Zivilgesellschaft die Rufe nach mehr humanitärer Hilfe für die Menschen in Gaza sowie politischen Schritten wie etwa der Anerkennung Palästinas als Staat oder der Beendigung der militärischen Zusammenarbeit mit Israel. Im Zürcher Kantonsrat etwa forderten am Montag die linken Parteien von der Regierung, Ricklis ablehnende Haltung zu korrigieren. Und am Dienstag überreichten Vertreter:innen der SP der Regierung eine entsprechende Petition mit über 42 000 Unterschriften. Der definitive Entscheid des Regierungsrats ist laut Staatskanzlei in den kommenden Tagen zu erwarten.