Natalie Rickli: Nur das Image zählt
Ehemalige Mitarbeiter:innen erheben Vorwürfe gegen die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli. Viele Spitzenleute haben die Behörde verlassen.

In der Welt von Natalie Rickli scheint Widerspruch nicht vorgesehen. Schon gar nicht solcher, der nach aussen dringt.
Rickli ist seit 2019 für die SVP Gesundheitsdirektorin im Kanton Zürich und noch bis Ende April zusätzlich Regierungspräsidentin. Davor war sie zwölf Jahre lang im Nationalrat. Sie ist eine der medial wirkungsvollsten Figuren der Rechtspartei und deshalb immer im Gespräch, wenn es um höchste Weihen geht: um einen Sitz im Bundesrat, wo der Kanton Zürich seit dem Abgang von Ueli Maurer nicht vertreten ist. Eine Vakanz könnte schon bald entstehen, falls SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin mehr Zeit auf dem eigenen Weingut verbringen möchte.
Was muss Rickli vorweisen können, damit sie dafür infrage kommt? Ein gut geführtes Haus sicherlich. Doch in Ricklis Haus, um im Bild zu bleiben, herrscht ein hektisches Kommen und Gehen.
Viele Personen in Schlüsselstellen haben die Direktion in den letzten vier Jahren verlassen, die meisten davon, ohne dass Medien oder Politik etwas davon bemerkt haben. Mit einigen dieser Personen, mit Dritten, die im regelmässigen Austausch mit der Gesundheitsdirektion (GD) stehen, und mit aktuellen Mitarbeiter:innen hat die WOZ gesprochen, um sich einen Überblick über den Zustand der GD zu verschaffen. Ein oft gehörtes Urteil: Die vielen Wechsel seien vor allem auf Ricklis Führungsstil zurückzuführen. Von Mikromanagement, Kontrollzwang, notorischer Übersteuerung, fehlendem Respekt, einer Kultur des Misstrauens, fehlender Loyalität gegenüber den eigenen Leuten ist die Rede.
Noch während die Recherche läuft, meldet sich wie aus dem Nichts eine Person, die gar nicht befragt wurde, und verlangt eine Bestätigung, dass sie nie mit der WOZ gesprochen habe. Die Angst vor Rickli wirkt fast irrational. Doch ist sie vielleicht berechtigt? Hinter den Kulissen wird jedenfalls intensiv nach Personen gefahndet, die der WOZ Auskunft gegeben haben.
Hohe Fluktuation
Die Liste der Spitzenkräfte, die die Gesundheitsdirektion verlassen haben, ist lang. Mit Labinot Demaj ist bereits der vierte Generalsekretär unter Rickli im Amt. Demaj, der eigentlich aus der IT-Branche stammt, hat in der Gesundheitsdirektion eine steile Karriere hingelegt. Er war erst wenige Monate beim Kanton, zuständig für die digitale Transformation, als er von Rickli überraschend auf den wichtigsten Posten in der GD gesetzt wurde. Demaj löste Daniel Roth ab, der nach nicht mal einem Jahr ins Bundesamt für Umwelt wechselte. Vor Roth wiederum war Walter Dietrich Generalsekretär. Dietrich galt als Institution in der Zürcher Gesundheitspolitik, dann wechselte er in die Zuger Gesundheitsdirektion. Dort arbeitet mittlerweile auch die ehemalige Leiterin Rechtsmittel der Zürcher GD – eine von mehreren Jurist:innen, die unter Rickli gekündigt haben.
Unter anderem unterschiedliche Vorstellungen von Governance im Umgang mit den kantonalen Spitälern sorgten für Zwist in der Rechtsabteilung. Es geht um die Frage, wie eng die GD die Spitäler beaufsichtigen und wie stark sie Verantwortung übernehmen soll. Der langjährige Leiter der Rechtsabteilung hat ans Zürcher Unispital gewechselt, seine Nachfolgerin ging nach nur zwei Jahren in eine private Kanzlei, ihr Stellvertreter zur Stadt Zürich.
Prominente Wechsel gab es auch in der Kommunikationsabteilung oder auf der wichtigen Stelle der Kantonsärzt:in, wo mit Franziska Kluschke auch schon die dritte unter Rickli im Amt ist. Ende November wechselte die bisherige Kantonsärztin Christiane Meier, die noch während der Coronapandemie an vielen Auftritten Seite an Seite mit Rickli zu sehen war, zur Stadt Zürich.
Damit ist die Liste der wichtigen Abgänge längst nicht komplett. Auch der Finanzchef ging, und vor zwei Wochen verliess Peter Indra, Leiter des Gesundheitsamts, die GD kurz vor Erreichen des Pensionsalters. Indra gilt als einer der versiertesten Wegweiser in der komplizierten, an Fallen reichen Schweizer Gesundheitslandschaft. Auch von Ricklis einstigem Intimus Beat Lauper, während der Pandemie omnipräsent, ist im Organigramm der GD keine Spur zu finden. Keine einfache Aufgabe, den Überblick zu behalten, wer noch in der Zürcher Gesundheitsdirektion arbeitet und wer schon wieder weg ist. Auch in der gesamten GD war die Fluktuation zeitweise beträchtlich: 2022 und 2023 lag sie laut deren Angaben bei rund vierzehn Prozent, erst im letzten Jahr fiel sie dann auf unter neun Prozent, was unter dem langjährigen Schnitt liegt.
Verlust von Know-how
Wer nach den Gründen für die vielen Wechsel fragt, erhält verschiedene Darstellungen präsentiert. Die Gesundheitsdirektion verweist auf die Auswirkungen der Pandemie, nach der es «einiges aufzuholen» gegeben habe – mit entsprechender Belastung für die Mitarbeiter:innen. Ausserdem habe es eine Reihe von Reorganisationen gegeben: «Dass solche tiefgreifenden organisatorischen Veränderungen nicht allen gefallen und auch personelle Änderungen mit sich bringen, liegt auf der Hand.» Heute sei die GD gut aufgestellt, und bei den Legislaturzielen sei man auf Kurs.
Tatsächlich erzeugte namentlich das 2022 neu geschaffene Amt für Gesundheit viel Unruhe in der GD. Die eigentlich sinnvolle, von Rickli angestossene Reform, mit der inhaltliche Fragen der Gesundheitsvorsorge gebündelt wurden, soll laut Involvierten zu Machtkämpfen und nachhaltig schlechter Stimmung geführt haben. Kritische Stimmen verliessen die GD und mit ihnen viel Know-how.
Dazu komme, dass Rickli Mikromanagement betreibe und sich um kleinste Details des Tagesgeschäfts kümmere, wie es aus der GD heisst. Dabei übergehe sie ihre Fachleute regelmässig. Einmal meldete sich gemäss zwei Quellen eine Kantonsrätin bei Rickli, um sich über ihren Hausarzt zu beschweren: Dessen Praxis sei bei ihrem Besuch nicht sauber gewesen. Rickli soll dem Arzt sofort die Heilmittelkontrolle ins Haus geschickt haben, obwohl die Praxis noch nie negativ aufgefallen war. Die GD sagt dazu, es sei selbstverständlich, dass die GD auch Beschwerden von Mitgliedern des Kantonsrats nachgehe, um die Patientensicherheit sicherzustellen.
An diesem Beispiel wird auch sichtbar, wie besorgt Rickli um das Aussenbild ihrer Behörde ist. Die Imagekontrolle gelingt meistens sehr gut. Mediale Kritik ist selten – und wird mitunter bekämpft, etwa wenn es um Fragen zu den Skandalen in der Herzchirurgie des Zürcher Unispitals geht. Dort starben von 2016 bis 2020 überdurchschnittlich viele Patient:innen nach Einsatz eines fragwürdigen Implantats. Als der «SonntagsBlick» von einem Whistleblowerbericht schrieb, der bei Rickli liegen geblieben sei, setzte es sofort eine Gegendarstellung ab. Gegen den Journalisten Lukas Hässig und dessen Portal «Inside Paradeplatz» ist wegen eines Textes zur Herzklinik sogar eine Klage Ricklis wegen Persönlichkeitsverletzung vor Bezirksgericht hängig.
Geschickte Provokation
Rickli gelingt es auch mal, mit einer geschickt platzierten Provokation medialer Kritik vorzubeugen. Nur wenige Tage nachdem die Gesundheitsdirektion den intern durchaus geräuschvoll verlaufenen Abgang des Kurzzeit-Generalsekretärs Roth vermelden musste, forderte Rickli in der «SonntagsZeitung» die Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung. Alle grossen Medien berichteten über ihren Vorschlag, die SP sammelte Unterschriften für einen offenen Brief mit der Überschrift «So nicht, Frau Rickli!». Vom Vorschlag war dann nie wieder etwas zu hören, seinen mutmasslichen Zweck hatte er indes erfüllt – auch wenn die GD einen Zusammenhang zurückweist: Der Wunsch fürs Interview sei von der «SonntagsZeitung» gekommen.
Wenn Kritik von aussen kommt, kann es intern schnell ungemütlich werden. Als sich Gesundheitsverbände lautstark über die geplante Höhe der Gebühr für die Berufsausübungsbewilligung beschwerten, legte Rickli einen Vollstopp ein. Dabei handelt es sich um die kantonale Umsetzung eines Bundesgesetzes. Sie gab dann sogar eine externe Untersuchung gegen ihre eigenen Leute in Auftrag. Von Loyalität keine Spur.
Von all der Kritik an ihrer Amtsführung wollen Natalie Rickli und ihre Gesundheitsdirektion nichts wissen. Das sei bloss die Ansicht von «nicht repräsentativen Gesprächspartnern, die eigene Interessen verfolgen». Das schreibt die GD in einer Antwort auf eine ausführliche Anfrage, und sie fügt an: «Cui bono?» – Wem nützt diese Kritik? In einer idealen Welt, so könnte man vielleicht antworten, zuallererst der Gesundheitsdirektion auf dem Weg zu einer besseren Behörde und einem angenehmeren Arbeitsort.