Krisenmanagement in Zürich: Chaostage in der Gesundheitsdirektion

Nr. 11 –

Natalie Rickli, Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich, steht in der Kritik. Ihr Krisenmanagement sei ganz auf Selbstprofilierung ausgerichtet. Im Regierungsrat kam es zur Eskalation.

Im Posteingang der Zürcher HausärztInnen fand sich unlängst ein Schreiben, das gut zusammenfasst, womit die MedizinerInnen derzeit am meisten zu kämpfen haben. «Die Kommunikation rund um das Coronavirus ist wohl die grösste Herausforderung im Umgang mit der Krankheit», schreibt Josef Widler, Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft. Er verstehe die Kritik an «wechselnden Informationen» zur benötigten Schutzausrüstung und kündigt eine «Manöverkritik» nach der Epidemie an.

Widlers Mail ist eines von Dutzenden, das Zürichs ÄrztInnen seit Ausbruch der Coronakrise von vielen verschiedenen Verbänden und Ämtern erhalten haben. In einem wurde den ÄrztInnen etwa empfohlen, sich doch Schutzbrillen im nächsten Baumarkt zu besorgen. «Wir werden überflutet mit Informationen, es kommen praktisch täglich neue Updates», klagt Irene Glauser, Kopräsidentin des Vereins Haus- und Kinderärzte Zürich, «das hilft nicht.» Dabei sind die HausärztInnen neuerdings ein fester Pfeiler in der Epidemiebekämpfung im grössten Kanton der Schweiz. Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli will sie für Tests einspannen, um die Spitäler zu entlasten. Ob die Praxen dafür bereit sind, bleibt unklar. Die dafür nötige Schutzkleidung stand zum Zeitpunkt der Ankündigung jedenfalls noch nicht zur Verfügung.

Zweifel am Krisenhandling der SVP-Frau hegen Zürichs Apotheken. Diese sind im Krisenstab der Direktion nicht vertreten, werden auch nicht über die neusten Schritte informiert. «Obwohl wir hundertmal so viele Anfragen wegen des Virus erhalten wie die Ärzte und die Gesundheitsdirektion», wie Lorenz Schmid sagt, CVP-Kantonsrat und Präsident des kantonalen Apothekerverbands. Er hofft, im persönlichen Gespräch mit Rickli daran etwas zu ändern.

Prioritäten falsch gesetzt

Ricklis KollegInnen in der Zürcher Regierung verfolgen ihr Wirken mit wachsender Sorge. Das ist aus dem Umfeld des Gremiums zu hören. Zwei Sondersitzungen zum Virus seien in einer «wüsten Eskalation» gemündet. Die anderen Regierungsräte hätten ihr vorgeworfen, die Krise zur Profilierung nutzen zu wollen und nur auf ihre Aussenwirkung bedacht zu sein, heisst es. Ihr wird vorgehalten, die Prioritäten falsch zu setzen, wichtige Stakeholder zu vergessen und die Zusammenarbeit zwischen den Fachleuten über die Direktionsgrenzen hinweg aus Angst vor Kontrollverlust zu behindern. Rickli kämpfe mit Vehemenz dafür, alles selbst zu managen, statt sich als Rädchen eines Ganzen zu verstehen.

Die Gesamtregierung versuchte mehrmals, in die Arbeit der früheren SVP-Nationalrätin einzugreifen. Ende Februar, als deutlich wurde, dass der Direktion ein Kommunikationsplan fehlt, wollte Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) Rickli einen erfahrenen Mann aus den eigenen Reihen zur Seite stellen. Rickli sagte zu, dann wieder ab, schliesslich willigte sie doch ein. Mittlerweile beschränken sich die RegierungskollegInnen darauf, Rickli an Sitzungen auf tatsächliche oder befürchtete Versäumnisse hinzuweisen. Zudem einigte man sich auf Absprachen in der Kommunikation. Lange hielt der Frieden aber nicht: Ein von Rickli herausgegebener Infoflyer, wie sich die Bevölkerung am effektivsten schütze, sorgte für neues Erstaunen, weil er in Konkurrenz zur Aufklärungskampagne des Bundesamts für Gesundheit stehe.

Kantonsarzt fällt aus

Auch innerhalb der Direktion rumort es. Als vergangenen Montag Natalie Ricki an einem Point de Presse über die neusten Massnahmen informierte, sass neben ihr nicht wie zuvor Kantonsarzt Brian Martin, sondern dessen Stellvertreterin Bettina Bally. Martin, eigentlich wichtigster Mann in der Epidemiebekämpfung, fällt bis auf Weiteres aus. Er habe faktisch seit Mitte Januar durchgearbeitet. Nun sei die Belastung zu gross geworden, heisst es in seinem Umfeld. Weder seinen Ausfall noch die Auswirkungen davon hat die Direktion bislang kommuniziert.

Gerne hätten wir Natalie Rickli Gelegenheit gegeben, auf die geäusserte Kritik einzugehen. Auf einen schriftlichen Fragenkatalog und eine telefonische Nachfrage der WOZ reagierte die Gesundheitsdirektion nicht. Stattdessen schaltete sich die Staatskanzlei als Stimme der Zürcher Gesamtregierung ein. Deren Sprecher Andreas Melchior teilt mit: «Der Regierungsrat arbeitet in dieser besonderen Lage eng und vertrauensvoll zusammen. Er informiert regelmässig mit Mitteilungen und anlässlich von Medienkonferenzen über seine Tätigkeit und die aktuelle Situation. Wir konzentrieren uns bei der Beantwortung von Medienanfragen auf die für die Bevölkerung und ihre Gesundheit relevanten Aspekte. Vielen Dank für die Kenntnisnahme.»