Basler Herbstmesse: Gemeinsam gruselt es sich besser
Ein Kollektiv hat eine altehrwürdige Geisterbahn gerettet und einen regelrechten Hype ausgelöst. Wie politisch ist das Unpolitische?
Wo soll man seine Energie hineinstecken, um die Welt zu einer besseren zu machen? Patrick Bachmann glaubt: zum Beispiel in eine Geisterbahn. Als Dreijähriger stand er neben seinen Eltern in Kaiseraugst, als dort ein AKW hinsollte. Als Teenager ging er in die GSoA und später zur Anti-Wef-Bewegung. Heute, mit 53 Jahren, läuft er mit einem Skelett in der Hand durch die Wiener-Prater-Bahn, die Geisterbahn der Basler Herbstmesse.
Es ist der Montag nach dem überschäumenden ersten Messewochenende. Bachmann wollte eigentlich einen Ruhetag einlegen, aber jetzt steht er wieder in den Eingeweiden der alten Bahn und begruselt die Fahrgäste. Die Kolleg:innen hätten angerufen und ihm von Beschwerden der Fahrgäste erzählt: Das besonders furchterregende Skelett werde vermisst. «Es ist schon komisch», sagt er in einer Verschnaufpause vom Geistern, «in all meinen politischen Projekten war es so schwierig, ausserhalb der eigenen Bubble Leute zu erreichen – und jetzt, wo ich etwas Unpolitisches mache, kommen die unterschiedlichsten Menschen wie von allein zusammen, um sich zu engagieren.»
Allerdings ist diese Geisterbahn mit dem ganzen Drumherum womöglich politischer, als es zunächst scheint. Die Wiener-Prater-Bahn ist jedenfalls eine Institution der Basler Herbstmesse. Schon ihr Name ist eine Anmassung. Gebaut wurde sie in den 1930er Jahren in der Steiermark, mit dem Wiener Prater hat sie nichts zu tun. Doch in Basel sehnte man sich immer schon nach dem Mondänen. In den vierziger Jahren tourte die Bahn als Dschungelbahn durch die Jahrmärkte, davon zeugt heute noch der Gorilla mit den blutroten Fingern in der zweiten Kurve. Und ein «Waldmensch» aus Massivholz, den irgendjemand mit Schaumstoff so umgestaltet hat, dass er heute gerade so durchgeht. Von 1952 an jagte die Wiener-Prater-Bahn Generationen von Basler Kindern einen Schrecken ein. Bis sie mit der Coronapandemie in einer Lagerhalle verschwand und daraus nicht mehr auftauchte.
30 000 Franken auf Ricardo
Ein Geschäft liess sich da mit der Wiener-Prater-Bahn längst nicht mehr machen. Viel zu lange – zehn Tage – dauert der Aufbau. Betrieb und Wartung sind personalintensiv. Und der Reiz ist auch Jahr für Jahr der gleiche. Im Vergleich mit den modernen Fahrgeschäften, die jedes Jahr ein wilderes Wagnis versprechen, konnte die neunzigjährige Geisterbahn kaum etwas bieten.
Aber da sind all die Kindheitserinnerungen. Es gibt ein Foto, das Bachmann mit seinem Bruder zeigt, wie sie als Kinder die Wiener-Prater-Bahn zu Hause aus Karton nachbauen. Erinnerungen, die wieder hochkamen, als Bachmann die Bahn vergangenes Jahr auf der Auktionsplattform Ricardo entdeckte. Ausgeschrieben war sie für 150 000 Franken. Bachmann mobilisierte ein paar Mitstreiter:innen, sie gründeten einen Verein, boten 30 000 – und erhielten den Zuschlag, weil dem Vorbesitzer die Idee gefiel: die alte Bahn in Basel zu behalten und mit einem gemeinnützigen Verein zu betreiben.
Das Crowdfunding lief problemlos. Für eine Spende von 1500 Franken liess sich etwa ein Geisterbahn-GA fürs lebenslange Mitfahren erstehen. Die Lokalmedien liebten die ganze Geschichte. Der Verein hat nach nicht einmal einem Jahr schon 120 Mitglieder. Und seit die Herbstmesse läuft, werden es jeden Tag zehn mehr. Die Bahn, die bis 2019 ohne grosse Aufmerksamkeit auf der Herbstmesse rumstand, löst plötzlich riesige Reaktionen aus. Vielleicht muss etwas erst bedroht sein, damit es bewahrt werden kann.
«Von einem Skelett verfolgt!»
Bachmann sagt, für ihn sei die Gemeinschaft rund um die Geisterbahn mindestens so wichtig wie die Bahn selber. Leute aus den verschiedensten sozialen Schichten und Berufen seien zusammengekommen, um gemeinsam anzupacken. «Ich finde das ein politisches Zeichen», sagt er. «Wir zeigen damit, dass trotz der oft zitierten Spaltung der Gesellschaft ein konstruktives Miteinander möglich ist. Und dass es selbst in einer kommerziellen Veranstaltung wie der Herbstmesse durchaus auch Nischen gibt, die ausserhalb der monetären Logik funktionieren.»
Auch Luzia Siegrist arbeitet im Vorstand des Geisterbahnvereins, sie ist durch familiäre Verwicklungen reingerutscht und hat nun reichlich zu tun. Schon beim Aufbau war sie dabei – mit sechzig anderen Freiwilligen aus dem Verein. «Es gab Leute, die kamen jeden Tag, um den Fortschritt beim Aufbauen zu beobachten», sagt sie. Passant:innen hätten ihre Erinnerungen bei ihnen deponiert. Wie sie etwa als Kinder ihr kleines Taschengeld für eine Fahrt ausgegeben und an den weiteren Messetagen durch Ritzen in der Tür ins Innere gespäht hätten. Die Jahrmarktsbude als Aufbewahrungsort eines einzelnen und zugleich kollektiven Erinnerns.
Was gibt es Wohligeres als Nostalgie? Vielleicht noch, charmant erschreckt zu werden. Siegrist zeigt das Gästebuch der Geisterbahn. «Wir wurden von einem Skelett verfolgt!», hält da eine Pia fassungslos fest. «Meine Schwester ist nun 67 Jahre alt und hält ihre Augen immer noch geschlossen!», schreibt Olivia über Ursula. Und S&N räumen ein: «Es war viel gruseliger als die anderen Geisterbahnen.» Ein schöneres Kompliment kann es für das erste Geisterbahnkollektiv der Schweiz nicht geben.