In Haft in Tunesien: Weder Uno noch EDA können helfen

Nr. 44 –

Mustapha Djemali wird in Tunis vorgeworfen, eine «kriminelle Organisation» gegründet zu haben. Tatsächlich arbeitete der Schweizer Jurist für das UNHCR.

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Mustapha Djemali
Lange Jahre arbeitete Mustapha Djemali für das UNHCR, im Pensionsalter baute er für das ­Flüchtlingshilfswerk ein Büro in Tunis auf. Das wurde ihm zum Verhängnis. Foto: Privatarchiv

Als Mustapha Djemali am 16. Oktober in Tunis vor den Richter trat, konnte er kaum stehen. «Mein Vater ist so erschöpft, alles fällt ihm schwer», sagt Yusra Djemali am Telefon aus Tunis. An jenem Donnerstag war der Antrag auf die sofortige Freilassung des 81-Jährigen aus der Untersuchungshaft abgelehnt worden, er musste zurück in seine Zelle. Die 33-Jährige berichtet, wie sie und ihre drei Geschwister seit Mai 2024 ihr Leben vollständig umgekrempelt haben und zwischen ihrer Heimatstadt Genf und Tunis pendeln, um ihrem Vater beizustehen.

Am 3. Mai 2024 wurde Djemali, Jurist und Menschenrechtsverteidiger, in Tunis festgenommen. Der Doppelbürger mit einem Schweizer und einem tunesischen Pass lebt seit 1980 in Genf und arbeitete 25 Jahre beim Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, unter anderem als Regionaldirektor für Nordafrika und den Nahen Osten. Kurz nach seiner Pensionierung wandte sich das UNHCR an Djemali mit der Bitte, eine neue Menschenrechtsorganisation in Tunesien aufzubauen. Djemali kehrte zurück in sein Geburtsland und gründete den Conseil tunisien pour les réfugiés (CTR), den tunesischen Rat für Geflüchtete. Seit 2016 können sich hier Asylsuchende, überwiegend vom afrikanischen Kontinent, in Tunesien registrieren lassen. Sie erhalten humanitäre Hilfe, solange über ihren Antrag noch nicht entschieden ist. Finanziert wird das Projekt vom UNHCR.

Schutzsuchende als Sündenbock

Doch Tunesiens Präsident Kais Saied, der seit 2019 an der Macht ist, geht drastisch gegen Oppositionelle und Migrant:innen vor. Er stellt Geflüchtete als Gefahr für das Land dar, bezeichnet sie als «Horden», die die Demografie Tunesiens verändern würden – eine tunesische Variante der rechtsextremen Verschwörungserzählung vom «grossen Austausch». Der Autokrat verweigert wirtschaftliche Reformen und benutzt Schutzsuchende als Sündenbock, um von den ökonomischen Problemen des Landes abzulenken. In Tunesien, dem Land, in dem 2010 der Arabische Frühling begann, leiden die Menschen unter niedrigen Löhnen und steigenden Preisen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei rund dreissig Prozent.

Laut dem UNHCR sind rund 10 600 Personen im Land als Schutzsuchende registriert. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren Rückführungen – freiwillige wie erzwungene – enorm ausgeweitet. Viele Geflüchtete leben völlig entrechtet in improvisierten Lagern. All das geschieht auch auf Druck der Europäischen Union: Seit 2023 hat die EU mit Tunesien ein Abkommen. Sie zahlt gut hundert Millionen Euro mit dem Ziel, die Migration einzuschränken und die tödliche Mittelmeerroute nach Europa zu schliessen. Die Schweiz schloss 2012 eine «Rückkehrpartnerschaft» mit Tunesien. Im vergangenen Jahr betonte SP-Bundesrat Beat Jans bei einem Besuch in Tunesien die Bedeutung dieser Zusammenarbeit.

«Kriminelle Organisation» der Uno

Mit der Festnahme von Mustapha Djemali und dessen Mitarbeiter Abderrazek Krimi in ihren Büros in Tunis richtete sich die staatliche Verfolgung erstmals auch gegen Organisationen, die im Auftrag der Uno tätig sind. Nur einen Monat später setzte Tunesien das Asylrecht de facto ausser Kraft, was Schutzsuchende ihrer letzten rechtlichen Sicherheiten beraubte. Djemali und Krimi wird vorgeworfen, eine «kriminelle Organisation» gegründet zu haben, die Migrant:innen in Sachen unerlaubte Einreise und Unterkunft unterstützt haben soll.

Seine Familie, sagt Tochter Yusra Djemali, habe zunächst noch an ein Missverständnis geglaubt – und an Rückendeckung durch Schweizer Behörden und das UNHCR. Doch sie irrten sich. Weil Djemali neben dem Schweizer Pass auch einen tunesischen hat, untersteht er in Tunesien der lokalen Gesetzgebung. Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) dem Inhaftierten helfen könne, sei begrenzt: Die Schweiz habe sich auf höchster Ebene bei den tunesischen Behörden für Mustapha Djemali eingesetzt, teilt es mit. Die Botschaft stehe in engem Kontakt mit den Angehörigen, den lokalen Behörden und dem UNHCR. Auch sei ein Schweizer Vertreter bei der ersten Anhörung Mitte Oktober dabei gewesen. Grundsätzlich respektiere das EDA im Rahmen des konsularischen Schutzes die Souveränität und Rechtsordnung des Aufenthaltsstaats.

Und was sagt der Auftraggeber, das UNHCR in Genf? Man sei tief besorgt, heisst es: Es seien Schritte unternommen worden, um den Fall auf verschiedenen Ebenen anzusprechen – ins Detail gehen könne man aber nicht.

Yusra Djemali wünscht sich politischen Druck. Sie weiss aber auch, wie heikel dieser Wunsch ist, weil er auch verärgern kann. Ihr Vater habe im Gefängnis rund vierzig Kilogramm verloren. Er sitze in einer Zelle mit rund sechzig weiteren Insassen. Darin werde geraucht, es sei schmutzig und eng. Das «Essen» verdiene diese Bezeichnung nicht, und es gehe ihrem Vater auch psychisch schlecht, sagt die Tochter. Seine Familie kann ihn nur einmal pro Woche für zehn Minuten im Gefängnis besuchen, dann sitzt er hinter einer Glaswand, und sie telefonieren miteinander.

Die nächste Anhörung findet am 24. November statt. Die Tochter ist überzeugt, ihr Vater habe sich nie oppositionell engagiert, nun sei er durch seine Arbeit in einen politischen Prozess geraten. Sollte das Gericht Mustapha Djemali schuldig sprechen, drohen ihm und seinem Mitangeklagten Abderrazek Krimi bis zu dreizehn Jahre Haft.