Wichtig zu Wissen: Bündnis Scham und Weh
Ruedi Widmer über Fehler, die Zeit und die Bibel
Acht Senator:innen haben nun nachgegeben im Budgetstreit und den Shutdown zur Freude des US-Präsidenten beendet. Eine komplette Niederlage der Demokrat:innen, nur eine Woche nach der vermeintlichen Wende mit den regionalen Wahlsiegen.
Ich frage mich, warum ich seit etwa 2014 dauernd solche peinvollen Sachen erleben muss. Und immer noch nicht newsdepriviert bin.
Liegt es an den Genen demokratischer Menschen, dem Frieden zuliebe auf Macht zu verzichten, aus Rücksicht auf die Hunderttausenden, die unter dem Shutdown gelitten haben? Warum hat niemand einen längeren Atem? Die Republikaner:innen nutzen das schamlos aus. Denen ist alles auf der Welt komplett egal, ausser ihre eigene Macht. Solche Kaputtheit zu kontern, ist schwierig, es verzehrt unmenschlich viel Kraft. Aber Demokrat:innen müssten nach eigener Einschätzung eigentlich gescheiter als Republikaner:innen sein. Der Einzige, der das ist, ist der neue New Yorker Bürgermeister Zohran Mamdani. Man merkt das daran, dass die Reps in Bezug auf ihn nervös sind.
Man hat das Gefühl, dass es reicht, böse, total widersprüchlich, durchgeknallt, gar psychopathisch und gewaltbereit zu sein, um in der US-Führung Karriere zu machen.
Warum hat in den letzten dreissig Jahren eigentlich niemand auf der linken oder liberalen Seite den Kontakt zur evangelikalen Welt gesucht? Es gäbe doch nichts Leichteres, als Leute wie Steve Bannon, Stephen Miller oder Laura Loomer als «vom Teufel gesandt» zu labeln, als dunkle Mächte aus dem Jenseits, die das Gute auffressen wollen. Man hätte die religiösen Kreise so an die Demokrat:innen binden können. Selbst wenn Erstere aufs Abtreibungsverbot pochen, gibt es immer noch viel mehr Bibelinhalte, die die Linke im Gegensatz zur Rechten pflegt, wie Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Wohlfahrt, Hilfe für Schwächere, Suppenküchen, Gewaltlosigkeit, das ist doch biblisch gesehen alles genauso wichtig.
Ich bin zu wenig newsdehydriert, um nicht mitbekommen zu haben, dass irgendwelche Wirtschaftsleute aus Zürich und Genf im Triumphbüro waren und dort «Politik» betrieben haben, so zwischen «Geschäftsmännern». Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung wurde angeblich knapp darüber informiert. Es geht schnell, und die Demokratie ist ausgehebelt.
Total newsdeprimiert ist das deutsche Bündnis Sahra Wagenknecht nach dem Rückzug der Namenspatin als Parteiführerin. Absurderweise heisst der Verein weiterhin BSW. Der Schweizer Freisinn heisst ja auch weiterhin Freisinn, auch wenn inzwischen der Irrsinn die Partei ergriffen hat. Einige Mitglieder traten aus, weil die Delegierten die EU-Verträge unterstützen. Diese einigen werden medial derart hochgejazzt, dass dem klaren Mehrheitsentscheid plötzlich etwas Undemokratisches anhaftet, womit wir in der zunehmenden «alternativen Realität» angelangt sind. Ein ähnlicher Fall sind die SBB, die neue Züge bei Siemens statt Spuhler bestellen und nun von den Bürgerlichen (remember: «Wettbewerb, Wettbewerb»?) ganz im Stil kommunistischer Regierungen getadelt werden, man hätte bei der Partei bestellen müssen.
Der französische Expräsident Nicolas Sarkozy hat ganz real das Gefängnis bereits wieder verlassen können. Er sitzt eine Fünfjahresstrafe ab, aber diese fünf Jahre sind schon nach wenigen Tagen wieder vorbei. Die Zeit vergeht so schnell, das hat wohl mit meinem Alter zu tun. Für meinen Sohn ist Sarkozy vermutlich viel länger eingesperrt gewesen, sicher ein Jahr, und für ein Kleinkind sind es bestimmt fünf Jahre.
Früher wurden die Menschen weniger alt als heute. Das beweisen die alten Stummfilme. Darin sieht man, wie die Leute viel schneller lebten, alle ihre Bewegungen waren schneller. Mit vierzig war man schon sechzig.
Ruedi Widmer fühlt sich sowohl hochgejazzt als auch runtergerockt.